Eine postfreudianische Harry Potter Show mit politischen Implikationen. Rodelinda am Teatro Real in Madrid

Wie soll man eine Händel Oper in Szene setzen, eine ganz klassische opera seria, in der sich Arie an Arie reiht, die sich auf zwei Duette beschränkt, in der gleich zwei Countertenöre um die Wette singen, in der Sopran und  Mezzosopran, Tenor und Bass brillieren. Eine Oper, deren Libretto von den üblichen Machtspielen, von den Ränken um die Herrschaft, von Rivalitäten und Eifersüchteleien und natürlich von der Liebe erzählt. Mit anderen Worten, in der es ganz konventionell um Macht und Leidenschaft geht und in der die entsprechenden Diskurse durchgespielt werden.

David Alden hatte in seiner Münchner Inszenierung, die dort vor mehr als zehn Jahren zu sehen war, die Handlung ins amerikanische Gangstermilieu der Dreißigerjahre verlegt und aus einer scheinbar verstaubten Oper einen spannenden Film Noir gemacht, einen Film, in dem aus der so treuen und libevollen Königin Rodelinda eine Gangsterbraut wird, um die die Bosse verschiedener ‚Familien‘ streiten.

Von simplen Gangstern will Claus Guth in seiner Madrider Rodelinda nichts wissen. Seine Gangster sind Politgangster, die mit allen Mitteln um die Macht im Staate streiten und dabei auch vor   Mordanschlägen auf die Rivalen nicht zurückschrecken. Doch Guth will keinen politischen Thriller in Szene setzen. Machtgier und Verbrechen, wenngleich sie die Handlung vorantreiben, sind für ihn nur sekundäre Themen.

In den Inszenierungen Claus Guths geht es nie um das Vordergründige. Hier steht die Psyche, besser: das latent Psychopathische der Figuren im Zentrum des Interesses. Und ganz entsprechend sind geschlossene Räume, Räume, in denen die Akteure gleichsam nicht mehr vor sich selber fliehen können, die bevorzugten Spielorte. Die Frankfurter Marschallin verbringt in einem Lungensanatorium ihre letzten Tage, der Wiener Tannhäuser endet im Otto Wagner-Spital, die Gralsritter sind allesamt vom Krieg Traumatisierte, die im Lazarett vor sich hin dösen. (So waren sie in Barcelona vor ein paar Jahren zu erleben).

Abgeschlossen und unter sich leben auch die Rodelinda Figuren. Spielort ist ein viktorianisches Landhaus mit Park  wohl  im England der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. In diesem Haus besetzt Rodelinda, das ‚Objekt der Begierde‘, das obere Stockwerk. Die beiden um deren Gunst streitenden Rivalen bleiben im Untergeschoss, wohl wissend,  dass sie die Treppe (Freud würde sagen: die Leiter)) nicht hinauf steigen können, solange Rodelinda ihrem angeblich im Exil verstorbenen  Bertarido nachtrauert.  Dass dieser zurück ist und bereits ums Haus streicht, bemerken sie nicht. Eingeschlossen wie sie in ihrem Wahn sind, einem Wahn, der sie glauben läßt, dass sie die Macht nur gewinnen, wenn sie zuvor die ‚Prinzessin‘ gewinnen.Zwei Monomanen der Gier nach Macht und Sex.

Doch so wenig wie der Politthriller steht die Erzählung von den Monomanien im Zentrum des Geschens, obgleich auch sie die Handlung voran treibt. Eine dritte Erzählung – nennen wir sie die Harry Potter Variante – ist der Clou der Inszenierung. Aus der stummen Rolle des Kindes Fllavio, das bei seiner Mutter Rodelinda auf die Rückkehr des Vaters wartet, macht die Regie die eigentliche Hauptfigur des Stücks. Flavio ist stets präsent. In seiner Phantasie ereignet sich das Geschehen, in seiner Phantasie verwandeln sich die Handelnden  in riesige Puppen, in drohende Monster. Um sich von dem Grauen, das ihn wie ein Albtraum verfolgt, zu befreien, um das Geschehen für sich zu ’sublimieren‘ oder zu ‚verdrängen‘ , zeichnet er alles, was er er zu sehen glaubt, als Strichmänchen, visualisiert gleichsam das Geschehen und kreiert auf diese Weise ein zweites Bühnenbild, ein Bühnenbild aus kindlichen Träumen und kindlichem Schrecken. Die Geschichte von Rodelinda und Bertarido und von den streitsüchtigen Rivalen  – sie  hat Flavio alias Harry Potter erdacht  und  dabeii eine Variante des Odysseus-Penelope Mythos visualisiert.

Die Madrider Rodelina Inszenierung – eine Coproduktion mit  Lyon, Barcelona und Frankfurt – ist ein hybrides Kunstwerk, ein Beispiel für ‚ Regietheater‘ im besten Sine des Wortes, eine Inszenierung, die mit der Brillanz des Musik-Parts durchaus  mitzuhalten weiß.

Dass mit Ivor Bolton am Pult, Lucy Crowe als Rodelinda, Bejun Mehta als Bertarido, um nur die beiden Protagonisten zu nennen, Händel vom Allerfeinsten zu hören war, versteht sich von selber.

Wir sahen die Aufführung am 2. April 2017. Die Premiere war am 24. März 2017.