Peter Konwitschny inszeniert Cherubini, Médée an der Oper Stuttgart

Szenen einer Ehe mit Sex, Klamauk, sechs Leichen und klassischem Soundtrack.

Ein Gemeinplatz ist es inzwischen, dass der Mythos nur in seinen Varianten lebt, dass er sich immer wieder neu erzählen lässt, dass man ihn historisieren, aktualisieren, dekonstruieren, parodieren, banalisieren, auf den Kopf stellen und ihn sogar klassisch ernsthaft und tragisch neu erzählen kann und dass nicht zuletzt mythische Figuren als Archetypen fungieren können.

Keine Frage, dass ein so routinierter, intelligenter und feinsinniger Theatermacher wie Konwitschny mit den Materialien des Mythos zu spielen weiß. Und im Fall der Medea kommt noch hinzu, dass diese mit zu den sogenannten ‚starken Frauen‘ wie Alkestis, Kundry, Violetta, Tatjana gehört, die es Konwitschny angetan haben und die er allesamt schon so originell in Szene gesetzt hat.

So sind, so scheint es zumindest, alle Voraussetzungen für einen großen Theaterabend in Stuttgart gegeben. Und doch erfüllt die Inszenierung nicht so ganz die hoch gestellten Erwartungen. Das mag an der uneinheitlichen Grundkonzeption liegen, für die sich die Regie entschieden hat. Man beginnt mit Klamauk und Operettenseligkeit, mogelt sich behäbig durch ‚Szenen einer Ehe‘ und landet schließlich in einem blutrünstigen Krimi mit finalem Shoot Down… → weiterlesen

Alles nur Wolkenguckerei. Das Glück liegt im Altenheim. Konwitschny inszeniert Werner Egk, Peer Gynt am Theater an der Wien

Da steht, noch bevor das Orchester einsetzt,  Peer Gynt in der Person des Bo Skovhus, ein Hüne von Gestalt, ein drahtiger Bursche, ein Außenseiter,  auf der Rampe vor einem Prospekt, das Wolkenspiele zeichnet und erträumt sich ein Wolkenguckungsheim, ein Reich, in dem er der „Kaiser“ ist. Und am Ende da ist der Träumer am Ende, kehrt zu der Frau, die er zu Anfang verlassen hat, zurück  und legt ihr seinen müden Kopf in den Schoss. „Du bist zu Haus“. Und Solveig, die so lange auf Peer Gynt gewartet hatte, serviert ihm Milch und singt ihm das Wiegenlied. Wie schön, wie rührend, wie kitschig. Ein Märchen mit Antimärchen Zutaten: der Held zieht davon, erfährt und erleidet mancherlei Abenteuer und Prüfungen, scheitert und kriegt trotzdem die Prinzessin – eine Prinzessin, die ganz wie ihr Prinz recht ramponiert ist.… → weiterlesen

Im Museum des Regietheaters. Die Hamburgische Staatsoper nimmt Konwitschnys Lohengrin und Deckers Salome wieder auf

An die zwanzig Jahre alt ist die Lohengrin Inszenierung, und die Salome bringt es noch auf ein par Jahre mehr. Und doch wirken beide nicht wie  Relikte aus grauer Vorzeit wie so mancher Opernschinken, den die großen Häuser jahrzehntelang  im Repertoire haben. Ganz im Gegenteil. Beide Inszenierungen sind nicht im geringen abgespielt, faszinieren noch immer. Und hat man Gelegenheit wie jetzt Hamburg, sie nacheinander an zwei aufeinander folgenden Abenden zu sehen, dann entdeckt man eigentümliche Parallelen. Dass Herodes ein Pädophiler ist, dass Salome mit dem von ihm geforderten Tanz diesen an seine Gelüste erinnert und dass sie den Lustgreis mit dem Messer des „jungen Syrers“ geradezu aufschlitzen will, das mag man aus dem Libretto herauslesen. (Über Deckers Salome, die wir vor nunmehr sechs Jahren schon gesehen hatten, findet der Interessierte im Zerlina Blog eine Notiz). Dass indes auch die Person des Lohengrin, wie ihn Konwitschny sieht, nicht ganz frei von pädophilen Neigungen ist, das ist eine eher ungewohnte Variante des Mythos. Und doch ergibt sie sich konsequent aus der Regiekonzeption.

In Hamburg spielt eine Schulklasse, eine Laienspielschar im kaiserlichen Deutschland, Lohengrin, und alle, Lehrer wie Schüler, spielen mit. Der beliebteste und von allen Mädchen umschwärmte Lehrer mimt den Lohengrin. Die Mädchen drängen sich um ihn, streiten um seinen Mantel. Eine linkische, zur Schwärmerei neigende große Blonde hat es Oberlehrer Lohengrin besonders angetan. Und sie macht die Elsa. Ein tölpelhafter, übergewichtiger Jungmann spielt den Telramund, und die kleine rothaarige Zicke ist die böse Hexe Ortrud. Der Klassensprecher ist der König, und der den Zeigestock oder auch den Rohrstock schwingende Junglehrer macht den Heerrufer. Spielort ist das Klassenzimmer mit den alten ausgedienten Bänken, dem Podium für den Lehrer und der grünen Wandtafel, auf der sich die Personenkonstellation und noch manches andere skizzieren lassen.

Lohengrin als ‚Frühlings Erwachen‘ für Pubertierende? Nein, eher nicht. Angesagt ist wohl Lohengrin als Nestroy Posse. Ja, warum nicht. Die komischen und parodistischen Elemente im Lohengrin hatten ja schon die Zeitgenossen Wagners gesehen, und die Regie stellt sich wohl auch in diese Tradition – und variiert sie. In Hamburg beginnt die Komik schon bei der Kostümierung. Ehrwürdige Choristen  treten als kurzbehoste Schüler auf, und nicht mehr ganz junge Damen zwängen sich in Mädchenkleider und albern wie Gören. Im ersten Akt geht die Nestroy Posse noch so einigermaßen auf. Doch je weiter die Handlung voran schreitet, wird der Kontrast zwischen Spiel auf der Bühne und Musik aus dem Graben immer größer, wird die Musik immer übermächtiger und drängt die Schülerposse beiseite. Im dritten Aufzug, im zweiten Bild, kapituliert schließlich die Regie und gibt alles Possenhafte auf, unterwirft sich geradezu der Musik und setzt dann doch noch in die Schlussakkorde hinein einen starken Akzent. Aus den Schülern sind junge Männer geworden und aus den Ranzen Tornister. Versammlungsort ist nicht mehr das helle Klassenzimmer, sondern ein dunkler Platz. Der junge Gottfried, der da im Wortverstande aus der  Versenkung auftaucht, ist ein Kind mit Stahlhelm und Maschinenpistole. Die Posse ist aus. Die Tragödie des ersten Weltkriegs beginnt.

Kein Zweifel. Eine eigenwillige und spektakuläre Inszenierung ist in Hamburg zu sehen, die mit den gängigen Floskeln wie Theater auf dem Theater, Metatheater, Aktualisierung, Variante des Mythos, Komik und Posse nicht zu fassen ist. Mir scheint, es ging um etwas anderes, um etwas, das  schon bei der Ouvertüre deutlich wurde. Bei den so einschmeichelnden Klängen, bei der so sanften und doch so wirkungsvollen Wagnerdroge, die Maestro Nagano mit dem  Philharmonischen Staatsorchester Hamburg bereitete, schien es mir, als ob der alte Streit über der Vorrang der Musik gegenüber Wort und Szene  implizit noch einmal aufgenommen würde: Prima la musica, dopo le parole (dopo la messa in scena). In Hamburg siegte im Streit der Künste die Musik.

Wir sahen die Aufführung am 24. November 2016, die „43. Vorstellung seit der Premiere am 18. Januar 1998“.