Peter Konwitschny inszeniert Cherubini, Médée an der Oper Stuttgart

Szenen einer Ehe mit Sex, Klamauk, sechs Leichen und klassischem Soundtrack.

Ein Gemeinplatz ist es inzwischen, dass der Mythos nur in seinen Varianten lebt, dass er sich immer wieder neu erzählen lässt, dass man ihn historisieren, aktualisieren, dekonstruieren, parodieren, banalisieren, auf den Kopf stellen und ihn sogar klassisch ernsthaft und tragisch neu erzählen kann und dass nicht zuletzt mythische Figuren als Archetypen fungieren können.

Keine Frage, dass ein so routinierter, intelligenter und feinsinniger Theatermacher wie Konwitschny mit den Materialien des Mythos zu spielen weiß. Und im Fall der Medea kommt noch hinzu, dass diese mit zu den sogenannten ‚starken Frauen‘ wie Alkestis, Kundry, Violetta, Tatjana gehört, die es Konwitschny angetan haben und die er allesamt schon so originell in Szene gesetzt hat.

So sind, so scheint es zumindest, alle Voraussetzungen für einen großen Theaterabend in Stuttgart gegeben. Und doch erfüllt die Inszenierung nicht so ganz die hoch gestellten Erwartungen. Das mag an der uneinheitlichen Grundkonzeption liegen, für die sich die Regie entschieden hat. Man beginnt mit Klamauk und Operettenseligkeit, mogelt sich behäbig durch ‚Szenen einer Ehe‘ und landet schließlich in einem blutrünstigen Krimi mit finalem Shoot Down.

Die Szene beginnt mit einem spießigen Junggesellinnenabschied in der Ekea-Wohnküche des neuen Paares Jason und Kreusa. Die ganze Jungmädchen- und Altmädchengesellschaft ist schon stark angetrunken und führt sich dementsprechend locker und vulgär auf. Nur die etwas altjüngferliche Braut bleibt nüchtern – nicht aus Angst vor der Hochzeitsnacht, sondern aus Angst vor der ersten Frau des Jason, der als Fremde und Verruchte verschrieenen Medea – und versteckt sich vorsorglich in der Besenkammer. Vater Kreon wird als Trinker, Großmaul, abgetakelter Popsänger und Operettenkönig eingeführt. ‚Held‘ Jason ist ein dümmlicher Militär, der es mit Medea nicht aufnehmen kann, den Macho spielt, das übliche Ehegeplänkel durchzieht und durchsteht und, bevor er die Exfrau davon jagt, sie noch mal schnell ‚genießt‘. Ein Paar, das in Hass und Leidenschaft verbunden ist und nicht voneinander lassen kann. Für die Zuschauer dröge Szenen aus dem Eheleben – gewürzt mit Klamauk und billigem Sex.


Wäre Cornelia Ptassek in der Rolle der Medea nicht eine so grandiose Schauspielerin und Sängerin, würde der Abend sich in Langeweile dahin ziehen. Zumal Musik und Text nicht gerade hinreißend herüber kommen. Man spielt die Originalfassung vom Jahre 1797 in der neuen kritischen Ausgabe von Heiko Cullmann. Folgt man dem Programmheft, dann war auch bei den Zeitgenossen die Rezeption dieser opéra comique nicht gerade überwältigend. „Die Rezensenten beschrieben die Musik der Oper  als „large, expressive, majestueuse et terrible“ (S.35). Das Stuttgarter Publikum, wenngleich es alle Mitwirkenden feierte, hätte wohl den einstigen Rezensenten zugestimmt. Warum man sich überdies für eine durchgängig deutschsprachige Textfassung entschieden hat, ist mir nicht nachvollziehbar. Eine Textfassung, die wohl auch dazu beitrug, dass man sich im ersten Teil immer wieder in einer Operette glaubte.

Erst im dritten Akt nimmt die Regie Fahrt auf. Jetzt lässt sie endlich die Klamotte, die Operettenseligkeit oder sagen wir lieber die Parodie der Operettenseligkeit hinter sich und steuert ihre Variante des Medea-Mythos ganz klassisch in die Tragödie oder auch weniger klassisch in einen filmreifen Krimi hinein. Und dabei gelingen ihr außerordentliche, die Zuschauer beeindruckende Szenen: die Introduktion mit der Gewittermusik, in der eine stumme Medea an einem vermüllten Strand hockt, einen Apfel zerkaut und ihre Rache im Wortverstande ausbrütet. Die Ermordung der Kinder, mit denen sie scheinbar liebevoll spielt und ihnen so nebenbei die Kehle durchschneidet. Der provozierte eigene Tod, als eine entsetzte und zugleich aggressive Bussi-Gesellschaft die Fremde lyncht und Jason und Neris, die treue Freundin der Medea, gleich mit, und sie alle da  als Opfer am Bühnenrand liegen.

Die Inszenierung lässt die Zuschauer letztlich ratlos zurück. Medea aktualisiert und banalisiert, herunter gekommen zur Operette und zum Krimi? Vielleicht.


Schaut man nach der Vorstellung ins Programmheft  und liest dort die Diskussionsbeiträge des  Produktionsteams, dann ist angeblich alles, was sich auf der Bühne tut, bedeutungsschwer aufgeladen. Es ginge – nennen wir es die altväterliche marxistische Tradition – um „Gesellschafr“ und natürlich ums Geld und  -nennen wir es schick feministisch – um die Erniedrigung der Frau als Wäre und, nicht  zu vergessen, ökologisch um die Verschmutzung de Meere.

Das mag ja alles so gemeint sein, so gut gemeint sein. Aber herüber gekommen ist es allenfalls in Ansätze und beileibe nicht als Grundkonzeption. Vielleicht sollte das Produktionsteam, um der Gefahr überzgogener Selbstinterpretatonen  zu entgehen, sich an eine Bemerkung Goethes erinnern: „Bilde Künstler! Rede nicht! Nur ein Hauch sei dein Gedicht.“ Was hier auf  die schwatzhaften Poeten zielt, könnte auch die Theatermacher treffen.

Wir sahen die Aufführung am 15. Januar 2018. Die 5.Vorstellung seit der Premiere am 3. Dezember 2017.