Alles nur Wolkenguckerei. Das Glück liegt im Altenheim. Konwitschny inszeniert Werner Egk, Peer Gynt am Theater an der Wien

Da steht, noch bevor das Orchester einsetzt,  Peer Gynt in der Person des Bo Skovhus, ein Hüne von Gestalt, ein drahtiger Bursche, ein Außenseiter,  auf der Rampe vor einem Prospekt, das Wolkenspiele zeichnet und erträumt sich ein Wolkenguckungsheim, ein Reich, in dem er der „Kaiser“ ist. Und am Ende da ist der Träumer am Ende, kehrt zu der Frau, die er zu Anfang verlassen hat, zurück  und legt ihr seinen müden Kopf in den Schoss. „Du bist zu Haus“. Und Solveig, die so lange auf Peer Gynt gewartet hatte, serviert ihm Milch und singt ihm das Wiegenlied. Wie schön, wie rührend, wie kitschig. Ein Märchen mit Antimärchen Zutaten: der Held zieht davon, erfährt und erleidet mancherlei Abenteuer und Prüfungen, scheitert und kriegt trotzdem die Prinzessin – eine Prinzessin, die ganz wie ihr Prinz recht ramponiert ist.

Von Märchen und von Antimärchen will die Regie allerdings nichts wissen Sie hält sich lieber an die Reality Klischees oder – so im siebten und achten Bild, in den Szenen mit den Untoten –  an Fantasy Filme und stellt all dies zu einem großen Bilderbogen zusammen. Von der Bauernhochzeit mit Prügelszenen über Bordelle und zwielichtige Kneipen in Nord und Süd, vom Ramschkaufhaus, in dem sich eine kauflüsterne Masse austobt bis hin zum Rendezvous mit Untoten und zum Chorsingen im Altenheim gibt es alles zu besichtigen.

Ja, warum, so fragt sich die etwas irritierte, doch immerhin aufgeschlossene Zuschauerin, setzt man ein solches Stück aufs Programm, ein Stück mit einer verquerten Ideologie, einem Frauenbild aus der Mottenkiste, einem Macho-Jammerlampen als Held, ein Stück, das mit einer üblen Rezeptionsgeschichte belastet ist (in brauner Zeit galt es als antisemitisches Paradestück und Lobgesang auf den nordischen Helden)? Ja, warum?

Wenn das Libretto schon nicht sonderlich anziehend ist, ist vielleicht dann die Musik so herausragend und bedeutend?  Für Maestro Leo Hussain ist Egks Musik „eine Collage aus verschiedenen Stilen“. Sicher gäbe es einen „Einfluss von Richard Wagner […]. Aber auch viel Jazz, Tango, viel, was an die Werke von Bertold Brecht und Kurt Weil erinnert […]. Aber prinzipiell  ist diese Oper eine Mischung der verschiedenen Stile des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts“. Und natürlich fehlen in dieser Mischung nicht Schlager wie Peers Lied vom Hähnchen oder Referenzen auf die Filmmusik jener Zeit. Und nicht zu vergessen: Solveigs Volkslied oder Wiegenlied im Finale ist sicherlich ein Hit (vgl. Programmheft, Seite 18ff). „Bei Egk – so ergänzt der Regisseur- finden wir sehr gute, abwechslungsreiche Theatermusik“ (Seite 21 ebenda). Das mag ja so sein.

Und wie steht es um die Inszenierung? Keine Frage, dass  Konwitschny wieder einmal tief in seine Theaterkiste gegriffen hat und mit seinen „Kunstfertigkeiten“ nicht gegeizt hat, sie mit Bravour eingesetzt hat. Wie er, um nur einige Beispiele zu zitieren, die lateinamerikanische Bananenrepublik und ihren korrupten Präsidenten, der von Peer Gynt seinen Anteil einfordert, parodiert, wie er im letzten Bild die singende Moribunden im Altersheim karikiert und die ewig auf ihren Prinzen  wartende  Solveig mit sanfter Ironie behandelt, wie er die rothaarige Femme fatale und die blonde sehbehinderte Dulderin – beide Objekte der Begierde des Protagonisten – mit ein und derselben Sängerin besetzt und damit die Sehnsüchte des Macho Peer karikiert, das ist schon brillant gemacht. Oder wie er die heikle Szene „Im Reich der Trolle“ von ihren politischen Belastungen befreit, die Szene, in der einst parteitreue Regisseure antisemitische Klischees aneinander reihten. Aus den Trollen ist bei Konwitschny eine von hemmungsloser  Kaufgier und Unterhaltungslust besessene Masse von heute geworden. Aus der linientreuen Propaganda Show hat die Regie eine Groteske der ‚Konsumgesellschaft‘ gemacht. Ein bisschen ‚Gesellschaftskritik‘ macht sich immer gut, zumal wenn sie mit so bösem Spott daher kommt wie bei Konwitschny.

Und natürlich gelingt das alles nur, weil die Regie mit Bo Skovbus in der Titelrolle über einen grandiosen Sänger und Schauspieler verfügt, der in Gesang und Spiel und  Bühnenerscheinung geradezu die Idealbesetzung für die Rolle des Peer Gynt ist.

Und trotzdem. Ich fand die Musik, mögen die Kenner sie auch rühmen, eher langweilig und das Libretto fad und démodé. Gerettet hat den Abend eigentlich nur die brillante und höchst unterhaltsame Inszenierung. Richtig gestört haben mich allerdings die ewigen Lichtpausen – nach jedem Bild.  Warum, so habe ich mich immer wieder gefragt, nutzt das Produktionsteam nicht die Drehbühne und dreht mit schnellen Filmschnitten das dürftige und belanglose Leben des Helden und seiner Gefährtin ab? Aber  vielleicht gibt es im Theater an der Wien gar keine Drehbühne.

Wir sahen die Aufführung am 19. Februar, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 17. Februar 2017.