Les enfants terribles erledigen eine favola pastorale. Johann Adolf Hasse, Leucippo bei den Schwetzinger SWR Festspielen

Eine Ausgrabung, so löblich sie auch immer ist, sollte, wenn sie denn gefallen soll, angemessen hergerichtet sein. Im Rokoko Theater in Schwetzingen, wo man nicht die Dresdner, sondern entsprechend der Örtlichkeit die „Schwetzinger Fassung“ vom Jahre 1757 spielt, hat man diesen ‚archäologischen‘ Grundsatz missachtet und Hasses Favola ziemlich verunstaltet. Die Mainzer Operndirektorin, die die Inszenierung verantwortet, hatte sich wohl in der Nachbarschaft umgesehen und dort entdeckt, dass sich in Gießen Händels Agrippina als Kindergeburtstagsparty in Szene setzen lässt. Und sie hatte sich wohl auch an Konwitschnys Klassenzimmer Lohengrin in Hamburg erinnert. Anregungen, die die Regie wohl aufgenommen hat, wenn sie Hasses arkadische liebeskranke Hirten in einen Haufen pubertierender, herum polternder Jugendlicher von heute verwandelt, die vom strengen Herbergsvater und seiner intriganten Assistentin nur mühsam gebändigt werden können. Ja, warum nicht. Der Mythos lebt bekanntlich in seinen Varianten, so abwegig sie auch sein mögen, und ein Klassiker soll sich ja dadurch auszeichnen, dass er einfach alles aushält.

Leider geht die aktualisierende Variante bei Pasquinis Libretto und Hasses Musik nicht so recht auf. Todesstrafe bei Übertretung des Liebesverbots und Selbstmord mit kräftig fließendem Theaterblut und zwanghaftem lieto fine durch Intervention der Assistentin (im Libretto der als Hirte verkleidete Gott Apollo). Eine Komödie mit opera seria Zutaten. Und dies alles unter randalierenden, pubertierenden, sich am ‚Frühlings Erwachen‘ ergötzenden und von den misslichen Konsequenzen einer verbotenen Passion verstörten Jugendlichen auf einer Klassenfahrt? Unfreiwillige oder beabsichtigte Komik und Erledigung der favola pastorale Tradition? Vielleicht war dies die Grundkonzeption der Inszenierung.

All dies ließe sich leicht hinnehmen, wenn wenigstens der Musik-Part überzeugt hätte. Doch dieser stand von Anfang an unter einem unglücklichen Stern. Die Primadonna konnte krankheitsbedingt die Rolle der unglücklich-glücklichen Daphne, die der Liebe verfällt, nur mimen. Ein unter vielen Mühen gefundener Ersatz mühte sich redlich im Orchestergraben, und man vermisste schmerzlich die „geläufige Gurgel“, den Schmelz, die exzellente Gesangskunst einer Franziska Gottwald, die als Primadonna vorgesehen war und die nur die Premiere hatte singen können. Wie Hasse klingen kann, wie wunderschön seine Arien sind, das wusste an diesem Abend (vielleicht als einzige der Mitwirkenden) Claudia Rohrbach in der Rolle des Delio/Apollo in aller Brillanz vorzuführen.

Hasses Musik, so bemerkt Maestro Junghänel im Programmheft, lebe von ihrer „Gesangsbezogenheit […] hier kommt die Musik förmlich aus der Stimme heraus, das ist einzigartig“(S.15). Wie schade, dass an diesem Abend in Schwetzingen diese „Gesangsbezogenheit“ so viel weniger als eigentlich erhofft zum Tragen kam. Hasse braucht  halt große Stimmen – wie man im Settecento wohl wusste. Es müssen ja nicht gleich Farinelli und Faustina Bordoni sein. Doch  ein ‚Abglanz‘ solcher Stimmen sollte es schon sein.

Wir sahen die Aufführung am 27. Mai 2014, die „Dernière“. Die Premiere war am 22. Mai 2014. Wie schade doch, dass unsere Musiktheater so selten Hasse auf ihr Programm setzen,