Spiel mir die Oper vom Tod. Don Giovanni als barockes Vanitas-Theater an der Oper Frankfurt

Wenn Christof Loy inszeniert und ein so berühmter Liedersänger wie Christian Gerhaher sein Debut als Don Giovanni gibt, dann sind die Erwartungen hoch, und, sagen wir es gleich, sie werden nicht enttäuscht. Loy hat einen ungewöhnlichen, einen Don Giovanni gegen den Strich in Szene gesetzt. Dieser Don Giovanni liebt nicht die Frauen, diesen Giovanni lieben nicht die Frauen, dieser Don Giovanni liebt einzig den Tod und sich selber und das Theater, in dem er das alte Stück vom Burlador de Sevilla noch einmal, ein letztes Mal spielt und spielen lässt. Die Bühne ein ausgeräumter Theatersaal in einem verfallenen Palast, vielleicht im Palast des Komturs, vielleicht im Palast des Burlador. Zu Beginn, zur Ouvertüre öffnet sich nicht der Vorhang, nein er fällt einfach herab, wird zur Kulisse, in dem die Toten vergraben werden und hinter und in dem sich die Lebenden verstecken können.  Ein ältlicher, müder Don Giovanni ist schon auf der Szene, ersticht den herbei eilenden Komtur, schaut dem Sterbenden in die Augen, zu lange in die Augen, und ist von nun an dem Tode verfallen, verfallen wie ein Liebender seinem Objekt der Begierde.

Was im Folgenden geschieht, sind Fetzen der Erinnerung, die bekannten Episoden, in denen Don Giovanni, ganz wie es das Libretto will, agiert und doch, ganz wie es die Regie will,  seltsam unbeteiligt ist. Die einzige Szene, in der  der aristokratische Verführungsdiskurs ihm scheinbar noch einmal gelingen wird, endet für ihn im Desaster. Nicht, oder nicht primär, weil Elvira interveniert, sondern weil ihn einzig der Diskurs, das Gerede von der Liebe interessiert, die Aktion ist nur eine ferne Erinnerung. Während Zerlina erwartungsvoll davon eilt, bleibt Don Giovanni einfach stehen: uninteressiert, in Gedanken verloren, müde und matt. Und das gleiche gilt für sein Verhältnis zu Elvira. Hier interessiert ihn noch nicht einmal mehr die Erinnerung an den Verführungsdiskurs, wie ihn die Dame aus Burgos vorträgt und ihm nachträgt. Elvira, die  –  ganz wie es  den Klischees eines spanischen Barockstücks entspricht – sich als junger Mann verkleidet hat, um in diesem Kostüm den entsprungenen Liebhaber wieder einzufangen, hat von der Todesverfallenheit  ihres scheinbaren Liebhabers nichts begriffen. Einzig Donna Anna kommt Don Giovanni in der Empathie zum Tode nahe. Nicht weil er ihre sexuellen Sehnsüchte erweckt hat – diese gängigen Deutungen interessieren die Regie nicht –, sondern weil er sie mit dem Tode konfrontiert hat, sie gleichsam mit dem Todesgedanken infiziert hat. Von dieser ‚Krankheit zum Tode‘ wird sie kein Ottavio befreien. Dieser Tod ist kein romantischer Tod und auch keine dekadente  Todessehnsucht. Dieser Tod ist ein barocker Tod, das Bewusstsein von der Vanitas, von der Vergänglichkeit und Nichtigkeit aller Pracht. Und in diesem Kontext ist es nur folgerichtig, dass Ort des Geschehens ein maroder, verfallener Palast ist, dass Don Giovanni kein Liebhaber und kein Empörer gegen eine wie auch immer geartete Ordnung ist, sondern ein müder  älterer Mann, der zum Fest im Palazzo und zur Bravourarie „Fin ch’han dal vino calda la testa“ von Leporello auf jugendlich geschminkt werden muss. Alles ist – ganz im barocken Sinne – nur Trug und Schein. So ist es wiederum nur konsequent, dass das Fest im Finale des ersten Akts kein ausgelassenes Fest oder gar eine Orgie ist, sondern ein Totentanz. Die Musiker, die zum Tanz aufspielen, tragen Totenmasken. Der Tod lässt aufspielen.

Das Todesthema, wie sehr es auch die Regiekonzeption bestimmt, ist nicht der einzige Träger, der einzige ‚générateur‘ der Inszenierung. Hinzu kommt als Komplementärthema der Narzissmus des Protagonisten. Nicht nur, dass er alle Akteure auf sich ausgerichtet sieht. Auch der Tod in der Person des Komturs ist nur sein Spiegelbild, und die höllischen Geister, die im Finale erscheinen, sind allesamt nichts anderes als geklonte Don Giovanni.

Don Giovanni als todessüchtiger Narziss in einem barocken Ambiente, der noch seinen eigenen Tod als Selbstinszenierung gestaltet. Dies mag wohl die Variante, die schlüssige und überzeugende Variante des Don Giovanni-Mythos sein, die Christof Loy in Frankfurt vorschlägt.

Keine Frage, dass eine solch subtile und anspruchsvolle Inszenierung nur gelingen kann, wenn der Regie wie hier in Frankfurt ein hochkarätiges, spielfreudiges Ensemble zur Verfügung steht. Ob der berühmte Mahler-Sänger der ideale Don Giovanni ist, darüber mag man vielleicht geteilter Meinung sein. Hier in der Christof Loy Inszenierung ist er von Stimme, Spiel, Kostüm und Maske der ideale Don Giovanni. Dass auch alle anderen Rollen höchst brillant besetzt sind, dass musiziert wird, wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht, all das versteht sich an der Frankfurter Oper gleichsam von selber. Ein großer Opernabend, der in Musik und Szene fasziniert.

Wir sahen die Aufführung am 25. Mai, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 11. Mai 2014.