Und Gianni macht Rabatz. Eine recht anspruchslose Don Giovanni Komödie beim Festival d’Aix-en-Provence 2017

Es ist nun nicht so, dass im Innenhof des einstigen erzbischöflichen Palais, im Théâtre de l’Archevêché, keine herausragenden Inszenierungen geboten würden. Im vergangenen Jahr setzte Krzysztof Warlimkowski Händels Oratorium Il Trionfo del Tempo e del  Disinganno spektakulär als Gran Teatro del Mundo und zugleich als Kinofilm im Theater in Szene. Ein Jahr zuvor hatte Martin Kusej aus der scheinbar so harmlosen Entführung aus dem Serail eine Tragödie gemacht und dabei alles aufklärerische Geschwafel und Getue von Toleranz und Generosität als Lügenmärchen entlarvt. Für Konstanze und die Ihrigen, die unter die Islamisten geraten waren,  gab es kein lieto fine. Ganz im Gegenteil. Sie alle werden von einer enthemmten … → weiterlesen

Die Don Giovanni Posse. Ein Gaudi für Akteure und Publikum an der Komischen Oper in Berlin

Der Don Juan Mythos hält alles aus: Tragödie, Komödie, Puppenspiel, Karnevalsposse, Parodie. Man kann das Geschehen ganz traditionell in einem  andalusischen Stadtpalais im späten 18. Jahrhundert ansiedeln und in den Kostümen jener Zeit auftreten. Man kann die Handlung in die Bronx, in einen Containerbahnhof, in die Vorstandsetage einer Großbank, in die habsburgischen Wälder, ins Foyer eines Hilton Hotels, in ein Motel im Mittleren Westen verlegen. Letztlich kann man den Don Giovanni überall spielen lassen. Vom Rokoko bis zum Trash ist alles möglich und wahrscheinlich. Und das gleiche gilt für die Figur des Don Giovanni: spanischer Grande, moribunder Greis, drogensüchtiger Popsänger, impotenter Verbalerotiker, schwuler Macho. Alles ist möglich, alles ist wahrscheinlich, wenn man nur den „Kern“ des Mythos, die tragende Grundstruktur, nicht zerstört und wenn man die einmal gewählte Variante konsequent, stringent und überzeugend in Szene zu setzen weiß. So meinte ich bisher – im Hinblick auf den „Kern“.  Doch dem ist  nicht so. Auch  wenn man den Kern des Mythos zerschlägt, funktioniert das Ganze immer noch – wie es jetzt  beim Don Giovanni in der Komischen Oper zu erleben ist.… → weiterlesen

Ein schwuler, ausgebrannter Popstar in der Drogenszene der Upperclass. Krzysztof Warlikowski inszeniert Don Giovanni im Théâtre La Monnaie in Brüssel

Jetzt habe ich doch schon so viele Male Don Giovanni gehört und gesehen. Doch wohl zum ersten Male hat mich die Szene so fasziniert, dass Mozarts Musik mir fast zum Soundtrack für ein grandioses Spektakel geworden ist. Und dabei wurde doch so brillant gesungen und musiziert – eben wie es dem Niveau eines renommierten Hauses entspricht. Noch dazu durfte man die berühmte Spezialistin für zeitgenössische Musik, Barbara Hannigan, in einer klassischen Partie hören, in der Rolle der Donna Anna. Und doch hat die Inszenierung die Musik geradezu erschlagen. Prima la messa in scena, poi la musica? So schien es mir.

Die Szene ist offen und bleibt offen. Eine Einheitsszene. Die Penthouse-Wohnung des Popstars. Teure Sitzgarnituren, ein Glasschreibtisch, ein Computer. Nichts geschieht. Zur Ouvertüre eine Filmaufnahme, ein verwackeltes Video: ein Kapuzenträger mit Dreitagebart  bandelt in der U-Bahn mit einer kleinen Blondine an, gibt  ihr seine  Adresse. Don Giovanni fährt mit der Metro und lernt dort  Zerlina kennen, und Zerlina wird  ihn in seinem Attico besuchen.

Noch immer geschieht nichts auf der Szene. Dafür tut sich etwas in den beiden Proszeniumslogen. Don Giovanni geht mit Donna Anna in die Oper. Der Commendatore und seine Maitresse haben den gleichen Einfall. Beide Paare sitzen sich in den Proszeniumslogen gegenüber. Was Giovanni mit der Anna in seiner Loge treibt – die ungünstig sitzenden Zuschauer mit Voyeur Ambitionen können es über ein verwackeltes Video verfolgen – missfällt dem Komtur. Und was dann geschieht und was in Giovannis Loge gesungen wird, das wissen wir noch aus anderen Don Giovanni Inszenierungen – mit zwei Varianten: Anna ist und bleibt verrückt nach Giovanni (damit hat sich das Problem der Beziehung zwischen den beiden, das so viele Interpreten beunruhigt hat, für die Regie erledigt). Der Alte wird mit der Pistole erschossen. Einer Pistole, die Anna wohl dabei hatte und mit der sie auch später herumspielen wird – mit letalen Folgen für einen der Herren. Doch greifen wir nicht vor.

Erst die vierte Szene nutzt die Bühne. Präsentiert einen völlig ausgepowerten Giovanni, der sich kaum auf den Beinen halten kann, von seinem Personal angezogen und an den Tropf gehängt werden muss. Don Giovanni ein Drogenabhängiger, und sein Alter Ego Leporello, mit dem er zur Verwirrung der Zuschauer im Finale des ersten Akts die Identitäten tauscht und seinen Gästen wohl einen Auszug aus einer seiner Shows bietet, nicht minder. Die Groupies Elvira und mehr noch Anna sind ebenfalls Abhängige. Bei dieser Konstellation überrascht es nicht, dass Don Ottavio nicht der unerhörte  Liebhaber, sondern eher der Therapeut der Anna ist und dass er im Finale beim scheinbaren lieto fine nicht mitsingen darf bzw. kann. Anna versetzt ihm einen Schuss – nicht mit Rauschgift und Spritze, sondern mit Blei und Pistole.

Trash, Videos, Theater auf dem Theater, Degradierung des Mythos, Aktualisierung des Mythos und Transferierung in die Subkultur,  Drogensucht,  ein ‚Held‘ auf der Suche nach dem höchsten Kick, dem Tod, ein Giovanni, der nicht den Frauen nachsteigt, sondern diese ihm, ein Giovanni in homoerotischer Beziehung zu Leporello, Gender switching und Voodoo Priesterin, ein Giovanni, den nicht eine von außen kommende Macht, welcher Art sie auch sei, vernichtet, sondern der sich selbst tötet. Das berühmte Rondo der Donna Anna im zweiten Akt nichts anderes als ein Orgasmus der Dame. Man glaubt, all dies  irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Allerdings wohl noch nie in dieser Kontamination und Konzentration, wie sie Warlikowski arrangiert und wohl auch noch nicht mit dieser Spielleidenschaft, mit der alle Solisten sich geradezu bis zur Selbstaufgabe in  ihre Rollen stürzen und diese lebendig und glaubhaft machen. Eine Don Giovanni Variante, die, mag sie auch manch verknöcherten Mozartanhänger verdrießen,  fasziniert und begeistert.

Ein großer Opernabend in Brüssel. Wir sahen die Aufführung am 18. Dezember 2014. Dass der Stagione Betrieb nur Aufführungen im Dezember 2014 ermöglicht, kann man nur bedauern. Diesen Warlikowski Don Giovanni hätten wir gerne noch einmal gesehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Spiel mir die Oper vom Tod. Don Giovanni als barockes Vanitas-Theater an der Oper Frankfurt

Wenn Christof Loy inszeniert und ein so berühmter Liedersänger wie Christian Gerhaher sein Debut als Don Giovanni gibt, dann sind die Erwartungen hoch, und, sagen wir es gleich, sie werden nicht enttäuscht. Loy hat einen ungewöhnlichen, einen Don Giovanni gegen den Strich in Szene gesetzt. Dieser Don Giovanni liebt nicht die Frauen, diesen Giovanni lieben nicht die Frauen, dieser Don Giovanni liebt einzig den Tod und sich selber und das Theater, in dem er das alte Stück vom Burlador de Sevilla noch einmal, ein letztes Mal spielt und spielen lässt. Die Bühne ein ausgeräumter Theatersaal in einem verfallenen Palast, vielleicht im Palast des Komturs, vielleicht im Palast des Burlador. Zu Beginn, zur Ouvertüre öffnet sich nicht der Vorhang, nein er fällt einfach herab, wird zur Kulisse, in dem die Toten vergraben werden und hinter und in dem sich die Lebenden verstecken können.  Ein ältlicher, müder Don Giovanni ist schon auf der Szene, ersticht den herbei eilenden Komtur, schaut dem Sterbenden in die Augen, zu lange in die Augen, und ist von nun an dem Tode verfallen, verfallen wie ein Liebender seinem Objekt der Begierde.

Was im Folgenden geschieht, sind Fetzen der Erinnerung, die bekannten Episoden, in denen Don Giovanni, ganz wie es das Libretto will, agiert und doch, ganz wie es die Regie will,  seltsam unbeteiligt ist. Die einzige Szene, in der  der aristokratische Verführungsdiskurs ihm scheinbar noch einmal gelingen wird, endet für ihn im Desaster. Nicht, oder nicht primär, weil Elvira interveniert, sondern weil ihn einzig der Diskurs, das Gerede von der Liebe interessiert, die Aktion ist nur eine ferne Erinnerung. Während Zerlina erwartungsvoll davon eilt, bleibt Don Giovanni einfach stehen: uninteressiert, in Gedanken verloren, müde und matt. Und das gleiche gilt für sein Verhältnis zu Elvira. Hier interessiert ihn noch nicht einmal mehr die Erinnerung an den Verführungsdiskurs, wie ihn die Dame aus Burgos vorträgt und ihm nachträgt. Elvira, die  –  ganz wie es  den Klischees eines spanischen Barockstücks entspricht – sich als junger Mann verkleidet hat, um in diesem Kostüm den entsprungenen Liebhaber wieder einzufangen, hat von der Todesverfallenheit  ihres scheinbaren Liebhabers nichts begriffen. Einzig Donna Anna kommt Don Giovanni in der Empathie zum Tode nahe. Nicht weil er ihre sexuellen Sehnsüchte erweckt hat – diese gängigen Deutungen interessieren die Regie nicht –, sondern weil er sie mit dem Tode konfrontiert hat, sie gleichsam mit dem Todesgedanken infiziert hat. Von dieser ‚Krankheit zum Tode‘ wird sie kein Ottavio befreien. Dieser Tod ist kein romantischer Tod und auch keine dekadente  Todessehnsucht. Dieser Tod ist ein barocker Tod, das Bewusstsein von der Vanitas, von der Vergänglichkeit und Nichtigkeit aller Pracht. Und in diesem Kontext ist es nur folgerichtig, dass Ort des Geschehens ein maroder, verfallener Palast ist, dass Don Giovanni kein Liebhaber und kein Empörer gegen eine wie auch immer geartete Ordnung ist, sondern ein müder  älterer Mann, der zum Fest im Palazzo und zur Bravourarie „Fin ch’han dal vino calda la testa“ von Leporello auf jugendlich geschminkt werden muss. Alles ist – ganz im barocken Sinne – nur Trug und Schein. So ist es wiederum nur konsequent, dass das Fest im Finale des ersten Akts kein ausgelassenes Fest oder gar eine Orgie ist, sondern ein Totentanz. Die Musiker, die zum Tanz aufspielen, tragen Totenmasken. Der Tod lässt aufspielen.

Das Todesthema, wie sehr es auch die Regiekonzeption bestimmt, ist nicht der einzige Träger, der einzige ‚générateur‘ der Inszenierung. Hinzu kommt als Komplementärthema der Narzissmus des Protagonisten. Nicht nur, dass er alle Akteure auf sich ausgerichtet sieht. Auch der Tod in der Person des Komturs ist nur sein Spiegelbild, und die höllischen Geister, die im Finale erscheinen, sind allesamt nichts anderes als geklonte Don Giovanni.

Don Giovanni als todessüchtiger Narziss in einem barocken Ambiente, der noch seinen eigenen Tod als Selbstinszenierung gestaltet. Dies mag wohl die Variante, die schlüssige und überzeugende Variante des Don Giovanni-Mythos sein, die Christof Loy in Frankfurt vorschlägt.

Keine Frage, dass eine solch subtile und anspruchsvolle Inszenierung nur gelingen kann, wenn der Regie wie hier in Frankfurt ein hochkarätiges, spielfreudiges Ensemble zur Verfügung steht. Ob der berühmte Mahler-Sänger der ideale Don Giovanni ist, darüber mag man vielleicht geteilter Meinung sein. Hier in der Christof Loy Inszenierung ist er von Stimme, Spiel, Kostüm und Maske der ideale Don Giovanni. Dass auch alle anderen Rollen höchst brillant besetzt sind, dass musiziert wird, wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht, all das versteht sich an der Frankfurter Oper gleichsam von selber. Ein großer Opernabend, der in Musik und Szene fasziniert.

Wir sahen die Aufführung am 25. Mai, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 11. Mai 2014.

Sex-Komödie mit Totschlag- Introduktion oder wie man am Staatstheater Nürnberg Don Giovanni zu erledigen sucht

In Nürnberg – so soll es im Feuilleton gestanden haben – sei ein recht beachtlicher Don Giovanni zu sehen. Da muss der Kritiker – oder ich als simple Opernbesucherin – wohl etwas missverstanden haben. Im Staatstheater Nürnberg präsentiert man mitnichten einen beachtlichen Don Giovanni: eine lärmende, undifferenzierte Ouvertüre, die ein Großteil des Publikums desinteressiert und munter weiter schwatzend zur Kenntnis nimmt. Ein völlig indisponierter Leporello, für den im zweiten Akt einer der Starsänger des Hauses  vom Bühnenrand her den Gesangpart übernimmt. Ein Don Giovanni, der, um es vorsichtig zu sagen, an diesem Abend nicht in Hochform war. Gerettet haben die Vorstellung Donna Anna und Donna Elvira, deren Rollen hochkarätig besetzt waren. Auch Don Ottavio, dessen zweite Arie man leider gestrichen hatte, sang durchaus brillant.

Und die Inszenierung?… → weiterlesen

Don Giovanni. Dramma giocoso oder die Don Giovanni Operette an der Oper Stuttgart

„Dramma giocoso“ – ein heiteres Stück, eine Komödie, eine Buffa,  so lautet der (selten beachtete) Untertitel  von Da Pontes Libretto. In Stuttgart hat Andrea Moser, die in Personalunion für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, das Attribut ‚giocoso‘ im Wortverstande  genommen und aus der angeblichen „Oper aller Opern“ eine  Buffa, eine amerikanische Operette gemacht, die in einem Motel spielt, ein Stück, in dem alle Figuren ‚lustige Personen‘ sind, in dem zum Gaudi des Publikums immer wieder die konventionellen Theaterillusionen zerstört werden, (der Sänger des Don Giovanni tritt aus seiner Bühnenrolle heraus und küsst den Damen in der ersten Parkettreihe die Hand („Non si picca se sia rica, se sia brutta, se sia bella“), ein Stück, in dem alle Personen ‚dekonstruiert‘ werden, d.h. (in diesem konkreten Falle),  dass alle ‚ komischen‘ Anlagen, über die diese gemäß dem Libretto verfügen, auf die Spitze getrieben werden, noch stärker parodiert und ins Komische verzerrt werden. Aus dem angeblichen Rebellen und Verführer Don Giovanni   ist ein reicher Geschäftsmann geworden, der mit Dollarscheinen nur so um sich wirft und der sich mit den Damen, die er im Motel trifft, amüsieren will. Donna Anna ist eine unbefriedigte  reife Dame, die von ihrem Methodistenprediger  nie das bekommt, was sie sich erhofft, die dem Signor Giovanni in der Bar hinter dem Rücken des Predigers ein Zeichen gibt, auf dass er sie im Hotelzimmer besuche und  die diesem wohl nur deswegen eine Szene macht, weil er sich zu früh aus ihrem Bett davon gemacht hat. Donna Elvira ist eine hysterische, magersüchtige Alkoholikerin, die nach Sex giert, und Zerlina ist ein Flittchen aus der Unterschicht, die in der Garage und auf dem Vorplatz des Motels eine Grillparty  organisiert. Leporello ist ein mediterraner Prolet, der Komtur ist ein älterer Hotelgast, der mitnichten zu Beginn verscheidet, sondern im Streit mit Giovanni nur einen Stich abkriegt.  Die Friedhofsszene hat er wohl mit Leporello ausgeheckt , und im Finale droht er –  wegen seiner Verletzung noch ein bisschen wackelig auf den Beinen –  diesem ein wenig mit der Pistole (Schusswaffen, das wissen wir inzwischen alle aus den Zeitungen, tragen die Amerikaner ja ständig mit sich herum). Ins Jenseits befördert sich Giovanni ganz alleine. Statt sich von den Freunden Masettos, die im Finale mit Knüppeln auf ihn eindringen,  erschlagen zu lassen, erschießt er sich mit theatralischer Geste gleich  selber. Und damit wir im Publikum trotz der Leiche auf der Bühne nicht vergessen, dass wir in der Operette sind, dürfen  zu Don Ottavios Gejammer, (der sich beim Rondo der Donna Anna auch schon mal mit zittriger Hand aus lauter Frust erschießen wollte) und zur verlogenen Schlusskanzone die Damen sich um den Sommerhut Giovannis als Souvenir balgen.… → weiterlesen