Die Rocky Horror Picture Show nebst der Mär vom weiblichen Begehren. Don Giovanni an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf

Theatermacherin Karoline Gruber hält es in ihren Inszenierungen gern mit der Populärkultur und der Jugendkultur und setzt bei ihrem Publikum – auch beim etwas betagteren  – das Wissen um diese voraus. So präsentierte sie zum Beispiel vor ein paar Jahren in Hamburg und in  Köln einen Giulio Cesare  in einer Art Westside Story Ambiente, in dem sich Gothics, Rocker, Punker, Tunten und Militaries gegenseitig belauerten  und bekämpften. Mittendrin waren die beiden Zicken Kleopatra und Cornelia, die beide mitmischen wollten. Ein unterhaltsamer Abend, der, wenn ich mich recht erinnere, beim Kölner Publikum jedoch  eher auf Unverständnis stieß.  Jetzt in Düsseldorf sind wir bei der Rocky Horror Picture Show. Wer diesen ‚Kultfilm‘ oder Musicals wie den Tanz der Vampire nicht kennt, der Arme ist halt übel dran und kann mit der Inszenierung wenig anfangen – wie das ältere Paar neben mir, das seinen Don Giovanni nicht wieder zu erkennen vermochte. Die Fans der Populärkultur  haben dafür im Düsseldorfer Don Giovanni ihren Spaß,… → weiterlesen

Nächtliche Vergnügungen mit tödlichem Ausgang auf der Chefetage. Don Giovanni an der Opéra Bastille

Der Mythos lebt nur in seinen Varianten‘ – und seien sie auch noch so banal, seien sie auch noch so billig  aktualisierend. Eine Hypothese, die sich beim Pariser Don Giovanni ein weiteres Mal bestätigt. In der Opéra Bastille nimmt man in dieser Saison die Don Giovanni Inszenierung eines bekannten österreichischen Filmemachers wieder auf, die dieser im Jahre 2006 im Palais Garnier herausgebracht hatte. Eine Variante des Don Juan Mythos, die diesen auf seine oberflächlichsten Komponenten reduziert. Dieser Pariser Don Giovanni hat nichts von einem Rebellen oder gar von einem Atheisten – die metaphysischen Komponenten werden ersatzlos gestrichen. Der Don Giovanni in Paris ist nichts weiter als ein haltloser angeberischer Typ, der sich dank seiner wirtschaftlichen und sexuellen Potenz jede Lust erlauben kann. Monsieur Giovanni ist wohl Vorstand eines großen Unternehmens, und Leporello ist sein Co-Direktor oder Assistent Manager. Zwei gelangweilte junge Männer im Business Dress,… → weiterlesen

“Dalla sua pace dipende la mia […]”. Ottavio erschießt Gianni, und Anna entschwindet ihm. Don Giovanni an der Oper Graz

“Dalla sua pace dipende la mia […]”. Ottavio erschießt Gianni, und Anna entschwindet ihm. Don Giovanni an der Oper Graz

In Graz ist ein ungewöhnlicher Don Giovanni zu sehen, ein Don Giovanni, der das Da Ponte Libretto  nur noch als Materialsammlung nimmt, Szenen umstellt, die Konfiguration verschiebt, die Gewichtung der Personen – und natürlich Raum und Zeit verändert. Eine Konzeption, die irritiert und verblüfft und die doch letztlich den Don Juan Mythos nur klein redet, wenn sie alles Rebellentum, allen metaphysischen Bezug und noch dazu alle Erotik streicht und damit auf drei eigentlich essentielle Komponenten des Mythos verzichtet. Spielort ist, wenn ich das richtig verstanden habe, der Gemeinschaftsraum eines Gefängnisses (nein: die Billigsymbolik: Gefangensein im Kerker der Leidenschaften, das ist nicht gemeint). Das Gefängnis als Spielort, das versteht sich wohl  als leicht versteckter Hinweis auf  das Hospiz von Charenton, in dem der Marquis de Sade mit seinen Mitgefangenen die Ermordung Marats nachspielt. War es vielleicht das? Doch Sadismus, Gewalt und Grausamkeit liegen dem Grazer Regieteam fern. Irre sind die Akteure auch nicht. Kindsmörderinnen und Banker wohl auch nicht. Warum sie  im Gefängnis sitzen? Wer weiß das schon, wer will das schon wissen? Ist halt so. Alle Häftlinge haben gerade an einer großen Tafel zu Abend gegessen und als Begleitmusik wohl den Don Giovanni gehört. Das Finale der Wiener Fassung dröhnt gerade noch aus den Lautsprechern – und da bekommen wohl die Damen und Herren Häftlinge Lust, das Stück, das sie da so eben gehört haben, nachzuspielen und nachzustellen. Und bei dieser Gelegenheit können sie alle ihre Komplexe und Traumata  ausspielen: eine gewisse Anna im Nachthemd, die so gern einen potenten Liebhaber hätte, eine Dame aus Burgos, die ihrer Sehnsucht nach der großen Welt hinterher läuft, ein schüchterner Gianni, der so gern den großen Verführer machen will und nie zum Ziele gelangt, eine frustrierte kleine Zerlina, der ein armer Tölpel namens Masetto weder Lust noch große Welt bieten kann, ein eifersüchtiger Ottavio, der im Finale aus der ihm zugedachten Rolle ausbricht, den vermeintlichen Liebhaber seiner Freundin Anna mit einem Schuss aus dem Revolver einfach umlegt, den armen Gianni, der sich gerade noch eine Schimpftirade des Gefängnisdirektors (bei Da Ponte die Statue eines gewissen Komturs) anhören musste. Ja, und unseren kleinen Ottavio, der endlich einmal den Macho herauskehren wollte, den verlassen jetzt all seine Freunde und Freundinnen, und er sitzt ganz allein an der großen Tafel im Gefängnis und darf uns zum Finale des Stücks „Dalla sua pace […]“ vorsingen. Das macht er auch schön und rührend, und auch alle anderen Mitspieler sangen so, wie man es an einem mittelgroßen Haus in der fernen Steiermark erwarten kann. Ein etwas eigenartiges ‚Regietheater’ – in gleicher Weise weit entfernt vom modischen Trash und vom spießigen Historisieren –   ist in Graz  zu sehen. Eine Variante des Don Juan Mythos, die zum Banalisieren neigt doch unterhaltsam alle Male ist. Der Mythos lebt halt in seinen Varianten, und Da Ponte übertreffen, das wollen eben viele Theatermacher. Wir sahen die Aufführung am 21. Jänner, die laut Besetzungszettel 11. Vorstellung nach der Premiere am 6. November 2010.

Ma in Turchia son già mille tre. Kölns Don Giovanni vergnügt sich in Antalya

Die banalisierenden Degradationen des Don Juan Mythos, wie sie immer mehr in Mode kommen (unrühmliche Beispiele aus letzter Zeit sind der Trash Don Giovanni in der Bayerischen Staatsoper oder auch der Waldschrat Don Giovanni der Salzburger Festspiele), diese Herabziehung des Mythos mag ich  eigentlich nicht sonderlich. Aber wenn der Mythos so spritzig (!) und so witzig, so ironisch und so parodistisch neu erzählt  und in unsere Gegenwart versetzt wird, wie das in der Kölner Inszenierung geschieht, ja dann verschmerzen wir gern alle metaphysischen Bezugspunkte des Mythos. Regisseur Laufenberg und sein Team nehmen offensichtlich den Untertitel des Libretto „dramma giocoso“ im Wortverstande und setzen den Don Giovanni  als heiteres Spiel, konkret: als soap opera in einem Strandhotel in der Türkei in Szene. Der Protagonist, ein blonder Kölner Jungmann aus der Oberschicht, und sein Gefährte, ein heruntergekommener Typ aus der Unterschicht, haben sich eine Suite gemietet und beobachten über eine Videoanlage das Geschehen im Hotel. So ist es ihnen ein Leichtes, die rothaarige, sexuell offenbar ausgehungerte Anna, die mit Papa und Möchtegernliebhaber im selben Hotel wohl Urlaub macht, auszuspähen, ein schnelles Opfer für Don Giovanni, der sich im Saunamantel bei ihr einschleicht – und Leporello beobachtet alles über die Videoanlage. Bei dieser Konzeption, in  diesem Milieu überrascht es nicht, dass Annas Papa nicht mit dem Degen, sondern mit dem Golfschläger auf Don Giovanni losgeht, von diesem mit dem Küchenmesser erstochen wird, die Leiche schnell im Bad entsorgt wird, dass Elvira eine schnippische Blonde aus dem Norden ist, die ihrem vermeintlichen Gatten nachgereist ist und gleich von seinem Bett Besitz ergreifen will, dass Leporello zur Registerarie die Bildchen der Geliebten und Verlassenen  auf die Videowand projiziert, dass Don Ottavio den Charme eines Gemüsehändlers mit intellektuellen Ambitionen hat, dass Donna Anna zur „Dalla sua pace…“Arie sich mit Don Giovanni  verlustiert, (womit die Regie gleichsam so nebenbei das alte Problem : Hat sie was mit ihm oder nicht?) erledigt, dass Masetto ein türkischer Macho aus der Unterschicht ist, dass Zerlina mit türkischem Kopftuch daher kommt und für ihre vermeintliche Untreue erst einmal kräftig Prügel bekommt. So reiht sich denn Klischee an Klischee. Aber ganz anders als in der Kölner Carmen wirkt diese Klischee Montage nie langweilig oder altbacken. Die Gemeinplätze werden nicht nur mit Tempo und Schlag auf Schlag serviert, sie appellieren noch dazu  an die alltäglichen Erfahrungen der Fernsehkonsumenten und der Türkeiurlauber: ja, so treiben die’s da droben und  die da drunten, und am Strand von Antalya, da waren die Feste immer ganz wild, genau so wie jetzt auf der Bühne, und ohne Video und Handy geht gar nichts. Da singt doch tatsächlich der Don Giovanni sein Ständchen zu Beginn des zweiten Akts ins Handy, und eine Computerstimme antwortet ihm: “kein Anschluss unter dieser Nummer“. Ja, warum soll man Don Giovanni nicht auch mal als Musical oder als Operette oder meinetwegen als Kölner Karneval in einer Klischee Türkei aufziehen. Amüsant ist das alle Male. Ein Vorschlag an die Intendanz: lassen Sie ihren Don Giovanni zum nächsten Karneval doch von der Cäcilia Wolkenburg nachspielen. Dann hätten wir im Publikum noch mehr Spaß, als wir jetzt schon hatten. Doch im Ernst: in Köln ist ein herausragender, brillant besetzter Don Giovanni zu sehen und zu hören. Und das Orchester? Es ist unsichtbar und parodiert damit Bayreuth noch dazu. Bei der Wiederaufnahme in der nächsten Saison gehe ich noch einmal hin. Wir sahen die Aufführung am  8. Juli. Die Premiere war  am 27. Juni 2010.

Ein Softy Don Giovanni im Opernmuseum. In Genf präsentiert man einen Don Giovanni aus der Welt von Gestern

Wer zuletzt den Don Giovanni in München gesehen hat, sich dort über die Trash Exzesse eines sich unfreiwillig selber erledigenden ‚Regietheater’ gewundert hat und dort einen Mozart gehört hat, der zum Soundtrack verkommen war, der glaubt sich im Grand Théâtre in Genf wahrlich in der Welt von Gestern. Dort wird sanft und getragen musiziert, dort wird auf höchstem Niveau gesungen, dort hat das Produktionsteam noch nie etwas vom ‚Regietheater’ oder gar von der ‚Arbeit am Mythos’ gehört. Dort inszeniert man den Don Giovanni einfach wie er im Buch, sprich: im Libretto steht und denkt nicht weiter darüber nach. In Genf hat man  sich zudem erst gar nicht die Mühe gemacht, eine eigene Version auf die Bühne zu stellen. Hier hat man einfach eine Produktion von der Metropolitan Opera  eingekauft und da man offensichtlich über einen generös bemessenen Etat verfügt, kann man noch dazu Stars wie die Damrau oder Strehl engagieren. Ja, und wenn man noch dazu mit dem Orchestre de la Suisse Romande über ein renommiertes Orchester verfügt, dann kann  musikalisch  einfach nichts schief gehen – szenisch allerdings eine ganze Menge. Da spielt die erste Szene vor dem Palast eines spanischen Granden, und der Verführer stolpert mit der armen Anna die steinerne Treppe hinunter. Wenn sich zu Zerlinas Auftritt die Mauern öffnen, glitzern im Sonnenlicht die Olivenbäume. Im zweiten Akt gibt es  einen richtigen schauerromantischen Friedhof zu sehen: mit Gräbern, schwachem Mondlicht, kahlen Bäumen und einer Mauer, über die Don Giovanni spielend klettert und Leporello sich mühsam hinüber zwängt. Und im Finale da serviert der Diener zum letzten Abendmahle ein üppiges Souper, da fährt ein verärgerter Don Giovanni so richtig zur Hölle, und eine Rauchsäule steigt aus der Tiefe. Der ob solch szenischer Wunderwerke amüsierte Zuschauer fragt sich indes, warum der elegante  Beau aus dem spanischen 18. Jahrhundert eigentlich ein so schlimmes Ende nehmen muss. Hat er doch nicht mehr getan, als einen Angreifer in Notwehr erstochen und mit drei Damen, die alle drei nicht abgeneigt waren, sich mit ihm einzulassen, ein bisschen geflirtet. Von zu bestrafendem Hochmut, Rebellion, Erotik oder gar, Gott bewahre, von Sex ist in der Genfer Inszenierung nichts zu sehen, allenfalls dank der großen Sänger etwas zu hören. Hier ist Don Giovanni der freundliche junge Mann von nebenan, der um seine Wirkung auf die Weiber weiß und davon profitiert. Hier schreiten die Damen in bodenlangen, züchtigen Gewändern majestätisch und, wenn es die Handlung nun unbedingt verlangt, auch schon mal aufregt hin und her. Einzig Zerlina darf rote Schuhe zeigen und wenn sie verführerisch sein soll, darf sie einen Schuh ausziehen. Was da wohl als glitzernde Erotik gemeint war, das wirkt in seiner biederen Bemühtheit allerdings nur hilflos und komisch. Ja, der Schuh, daran erinnern sich die Freudianer noch vom Aschenputtel her, ist halt ein Sexsymbol. Wie dem auch sei.  Seien wir nicht so streng mit den Genfer Kalvinisten. Immerhin haben sie keine Kosten gescheut, um die Metropolitan Opera in ihr Grand Théâtre zu holen. Und dass man in der Met das Museale und Kulinarische liebt und seine Sponsoren ungern verärgert, das haben wir doch schon so viele Male gelesen. Wenn man das Museale mag, dann sollte man sich den New Yorker Don Giovanni in Genf ansehen. Dort ist alles wie einstens bei Ponnelle: schön und einlullend. Zur posthumen Ehre des großen Theatermannes sei indes nicht vergessen: er verstand sein Handwerk. Ob das bei  der Regie führenden berühmten Schauspielerin, die in Genf für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, auch der Fall ist?  Ich habe da meine Zweifel. Hier gab man sich mit einem eher halbszenischen Kostüm- und Ausstattungsfest zufrieden, forderte nie die Sänger als Schauspieler, störte nie die Musik, appellierte nie an die Imagination der Zuschauer, war stets dem Publikum gefällig – und ließ es sanft vor sich hinschlummern. Ach, Du schöne heile Opernwelt. Wir sahen die Premiere am 11. Dezember. Im Stagione Betrieb ist der Don Giovanni noch bis zum 20. Dezember zu sehen.

Und alle Lust will – Langeweil, tiefe tiefe Langeweil. Ein läppischer Trash Don Giovanni in der Bayerischen Staatsoper

Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: wer erstklassige Sängerschauspieler auf der Bühne hören und sehen will, der findet alle Male sein Vergnügen im Münchner Nationaltheater. Wer sich mit einem dürftig dünnen, lust- und lieblos produzierten Mozart-Sound zufrieden gibt, auch der ist im bayerischen Musentempel am Platze. Wer „schwachsinnige“ Inszenierungen – so ein der Münchner Oper eigentlich wohl gesonnener berühmter Kritiker über den unlängst in Szene gesetzten Lohengrin – noch goutiert, wer bei lustlosen  Sexübungen wie jetzt im Don Giovanni den Voyeur mimen mag, auch der ist in der Bayerischen Staatsoper richtig. Mag man beim Lohengrin, der unter dem Motto steht: Häuslebauer Elsa vergrault den Zimmermann, angesichts der Haussymbolik noch eine Konzeption, eine dürftige Konzeption vermuten, so hat jetzt beim Don Giovanni das Regieteam gänzlich der Geist verlassen  bzw. ist ihm in die Hose gerutscht. Und dort ließ er alle Hoffnung fahren. Was hier in München geboten wird, das ist die billigste und banalste Variante des Don Juan Mythos. Hier hat man Don Giovanni, angeblich die „Oper aller Opern“, zum Musical reduziert und dabei implizit einen neuen Titel erfunden: Johnny und Friends im Big Brother Container machen auf Sex und Crime. Irgendein heimtückischer Dramaturg in einem bekannten Theater in Hamburg muss dem dortigen Hausregisseur, Herrn K., als diesen der Ruf ereilte, in München Don Giovanni zu inszenieren, ein Video von Peter Sellers zugesteckt  und ihn in eine Calixto Bieito Inszenierung geschickt haben. Was die können, so mag sich unser deutscher Theatermann gedacht haben, das kann ich schon lange. Es war getan fast eh’ gedacht. Und in der Oper – jetzt frei nach Goethe – hing die Nacht. Aus der ironisch-witzigen Sexkomödie, als die der ach so skandalöse Katalane den Don Giovanni verstand, macht Herr K. ein deutsch-biederes Unterhosen Spektakel im Unterschichtmilieu. Und aus der Bronx, wo der Amerikaner den Don Giovanni spielen lässt, wird bei unserem Hamburger Theatermacher ein  Abstellplatz für Container. Vom Container allgemein zum Container im Besonderen, sprich: zum Big Brother Container ist es dann nur noch ein Schritt. Und so lassen wir ganz konsequent  die ganze Chose in Containern spielen. Eine solche Entscheidung hat natürlich den technischen oder dramaturgischen Vorteil, dass man immer wieder neue Kisten aufmachen kann und sich immer wieder neue Spielstätten auftun. In der Tat ein schöner Einfall: Kai aus der Kiste auf der Opernbühne. Und nicht zu vergessen, dass die Kisten bzw. die Container noch einen weiteren Theatergag erlauben. Die Sänger, wenn sie mal gerade nichts zu tun haben, können auf den Containern herumklettern und den Klettermaxe spielen. So hangelt sich denn die Inszenierung von Albernheit zu Albernheit, von Unbeholfenheit zu Unbeholfenheit, von Spießersex zu Spießersex.  Selbst die simpelste Personenregie geht daneben. Zur Registerarie, die, so dachten wir naiven Opernbesucher bisher, an Donna Elvira gerichtet ist, sperrt Leporello die arme Elvira in einen Container ein und schmettert die Arie von der Rampe – mit obszönen Gesten in Richtung Publikum. Als es galt, das berühmte Sextett im zweiten Akt zu inszenieren, da muss unseren Theatermacher wohl Verzweiflung überkommen haben. Vielleicht hat ihm da sein Assistent zugeflüstert: „Mach doch einfach das Licht aus. Und lass die Sänger bei Notbeleuchtung herumzappeln“ Und es war getan fast eh gedacht. In den Schlussszenen da kommt die Inszenierung endlich zum Höhepunkt. Don Ottavio, den wir in anderen Inszenierungen so oft als impotenten Schwächling erlebt haben, mutiert hier nach dem Rondo der Donna Anna geradezu zum Vergewaltiger. Was die überraschte Donna Anna (in der Person einer scheu-prüden amerikanischen Sängerin) gar nicht so toll findet.  Zum letzten Abendmahle verabredet sich Don Giovanni (Gott bewahre: nicht auf dem Friedhof. Da könnte ja etwas von der mythischen oder gar der metaphysischen Dimension des Don Juan Mythos rezipiert werden) mit dem Komtur im Kühlcontainer inmitten von Schweinehälften. Und das Mahl bereiten Don Giovanni und Leporello ganz realiter vor. Das heißt: zum Mozartsound riecht es im Nationaltheater wie im Steakhaus. Und im Steakhaus da schnappt sich nicht der „steinerne Gast“ den Bösewicht.  Das versuchen in München  Repräsentanten des frankistischen Spaniens: die Kleriker, die Militärs und die Guardia Civil. Ein schöner Einfall. Da hätten wir doch fast vergessen, dass der Don Giovanni  in Spanien spielt und unter Franco Repression herrschte. Da war nichts mit Sex. Und so ist es nur verständlich, dass angesichts der geballten Staatsmacht den armen Juanito, genannt: Don Giovanni der Schlag trifft. Das war’s dann. Leider nicht. In München spielen wir ja die Prager Fassung mit ihrem Moralinschluss. So viel  intellektuelle Dürftigkeit, so viel Einfallslosigkeit, so viel handwerkliches Unvermögen. Mit diesem Don Giovanni erlebt die Bayerische Staatsoper nach dem Lohengrin in wenigen Monaten ihr zweites Desaster. Schade um die grandiosen Sänger, die in einem so erbärmlichen Ambiente agieren müssen. Aber vielleicht habe ich die Konzeption gar nicht verstanden? Vielleicht erzählt uns die Regie die Geschichte vom Niedergang eines Popstars? Vielleicht suggeriert sie uns gar einen mythischen Überbau, eine Referenz auf die Antike? Soll der nackte Alte, der hin und wieder durch die Szene geistert, vielleicht der römische Fruchtbarkeitsgott Priapos sein? Oder ist er ein geiler Gott Pan? Wer weiß das schon so genau. Was ich allerdings weiß, ist, dass so manch ehrgeiziger Schauspielmann doch beim Schauspiel bleiben sollte. Und wenn er es denn unbedingt mit der Oper probieren will, dann sollte er doch bitte vorher ein paar Nachhilfestunden bei Peter Konwitschny nehmen: „Schauspiel inszenieren heißt: komponieren. Oper inszenieren heißt: Musik inszenieren, freilich zusammen mit dem Text“. So einfach ist das, wenn man es kann. In München kann man es nicht. Wir sahen die Vorstellung am 4. November. Es war die zweite Aufführung nach der Premiere am 31. Oktober 2009.