Und alle Lust will – Langeweil, tiefe tiefe Langeweil. Ein läppischer Trash Don Giovanni in der Bayerischen Staatsoper

Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: wer erstklassige Sängerschauspieler auf der Bühne hören und sehen will, der findet alle Male sein Vergnügen im Münchner Nationaltheater. Wer sich mit einem dürftig dünnen, lust- und lieblos produzierten Mozart-Sound zufrieden gibt, auch der ist im bayerischen Musentempel am Platze. Wer „schwachsinnige“ Inszenierungen – so ein der Münchner Oper eigentlich wohl gesonnener berühmter Kritiker über den unlängst in Szene gesetzten Lohengrin – noch goutiert, wer bei lustlosen  Sexübungen wie jetzt im Don Giovanni den Voyeur mimen mag, auch der ist in der Bayerischen Staatsoper richtig. Mag man beim Lohengrin, der unter dem Motto steht: Häuslebauer Elsa vergrault den Zimmermann, angesichts der Haussymbolik noch eine Konzeption, eine dürftige Konzeption vermuten, so hat jetzt beim Don Giovanni das Regieteam gänzlich der Geist verlassen  bzw. ist ihm in die Hose gerutscht. Und dort ließ er alle Hoffnung fahren. Was hier in München geboten wird, das ist die billigste und banalste Variante des Don Juan Mythos. Hier hat man Don Giovanni, angeblich die „Oper aller Opern“, zum Musical reduziert und dabei implizit einen neuen Titel erfunden: Johnny und Friends im Big Brother Container machen auf Sex und Crime. Irgendein heimtückischer Dramaturg in einem bekannten Theater in Hamburg muss dem dortigen Hausregisseur, Herrn K., als diesen der Ruf ereilte, in München Don Giovanni zu inszenieren, ein Video von Peter Sellers zugesteckt  und ihn in eine Calixto Bieito Inszenierung geschickt haben. Was die können, so mag sich unser deutscher Theatermann gedacht haben, das kann ich schon lange. Es war getan fast eh’ gedacht. Und in der Oper – jetzt frei nach Goethe – hing die Nacht. Aus der ironisch-witzigen Sexkomödie, als die der ach so skandalöse Katalane den Don Giovanni verstand, macht Herr K. ein deutsch-biederes Unterhosen Spektakel im Unterschichtmilieu. Und aus der Bronx, wo der Amerikaner den Don Giovanni spielen lässt, wird bei unserem Hamburger Theatermacher ein  Abstellplatz für Container. Vom Container allgemein zum Container im Besonderen, sprich: zum Big Brother Container ist es dann nur noch ein Schritt. Und so lassen wir ganz konsequent  die ganze Chose in Containern spielen. Eine solche Entscheidung hat natürlich den technischen oder dramaturgischen Vorteil, dass man immer wieder neue Kisten aufmachen kann und sich immer wieder neue Spielstätten auftun. In der Tat ein schöner Einfall: Kai aus der Kiste auf der Opernbühne. Und nicht zu vergessen, dass die Kisten bzw. die Container noch einen weiteren Theatergag erlauben. Die Sänger, wenn sie mal gerade nichts zu tun haben, können auf den Containern herumklettern und den Klettermaxe spielen. So hangelt sich denn die Inszenierung von Albernheit zu Albernheit, von Unbeholfenheit zu Unbeholfenheit, von Spießersex zu Spießersex.  Selbst die simpelste Personenregie geht daneben. Zur Registerarie, die, so dachten wir naiven Opernbesucher bisher, an Donna Elvira gerichtet ist, sperrt Leporello die arme Elvira in einen Container ein und schmettert die Arie von der Rampe – mit obszönen Gesten in Richtung Publikum. Als es galt, das berühmte Sextett im zweiten Akt zu inszenieren, da muss unseren Theatermacher wohl Verzweiflung überkommen haben. Vielleicht hat ihm da sein Assistent zugeflüstert: „Mach doch einfach das Licht aus. Und lass die Sänger bei Notbeleuchtung herumzappeln“ Und es war getan fast eh gedacht. In den Schlussszenen da kommt die Inszenierung endlich zum Höhepunkt. Don Ottavio, den wir in anderen Inszenierungen so oft als impotenten Schwächling erlebt haben, mutiert hier nach dem Rondo der Donna Anna geradezu zum Vergewaltiger. Was die überraschte Donna Anna (in der Person einer scheu-prüden amerikanischen Sängerin) gar nicht so toll findet.  Zum letzten Abendmahle verabredet sich Don Giovanni (Gott bewahre: nicht auf dem Friedhof. Da könnte ja etwas von der mythischen oder gar der metaphysischen Dimension des Don Juan Mythos rezipiert werden) mit dem Komtur im Kühlcontainer inmitten von Schweinehälften. Und das Mahl bereiten Don Giovanni und Leporello ganz realiter vor. Das heißt: zum Mozartsound riecht es im Nationaltheater wie im Steakhaus. Und im Steakhaus da schnappt sich nicht der „steinerne Gast“ den Bösewicht.  Das versuchen in München  Repräsentanten des frankistischen Spaniens: die Kleriker, die Militärs und die Guardia Civil. Ein schöner Einfall. Da hätten wir doch fast vergessen, dass der Don Giovanni  in Spanien spielt und unter Franco Repression herrschte. Da war nichts mit Sex. Und so ist es nur verständlich, dass angesichts der geballten Staatsmacht den armen Juanito, genannt: Don Giovanni der Schlag trifft. Das war’s dann. Leider nicht. In München spielen wir ja die Prager Fassung mit ihrem Moralinschluss. So viel  intellektuelle Dürftigkeit, so viel Einfallslosigkeit, so viel handwerkliches Unvermögen. Mit diesem Don Giovanni erlebt die Bayerische Staatsoper nach dem Lohengrin in wenigen Monaten ihr zweites Desaster. Schade um die grandiosen Sänger, die in einem so erbärmlichen Ambiente agieren müssen. Aber vielleicht habe ich die Konzeption gar nicht verstanden? Vielleicht erzählt uns die Regie die Geschichte vom Niedergang eines Popstars? Vielleicht suggeriert sie uns gar einen mythischen Überbau, eine Referenz auf die Antike? Soll der nackte Alte, der hin und wieder durch die Szene geistert, vielleicht der römische Fruchtbarkeitsgott Priapos sein? Oder ist er ein geiler Gott Pan? Wer weiß das schon so genau. Was ich allerdings weiß, ist, dass so manch ehrgeiziger Schauspielmann doch beim Schauspiel bleiben sollte. Und wenn er es denn unbedingt mit der Oper probieren will, dann sollte er doch bitte vorher ein paar Nachhilfestunden bei Peter Konwitschny nehmen: „Schauspiel inszenieren heißt: komponieren. Oper inszenieren heißt: Musik inszenieren, freilich zusammen mit dem Text“. So einfach ist das, wenn man es kann. In München kann man es nicht. Wir sahen die Vorstellung am 4. November. Es war die zweite Aufführung nach der Premiere am 31. Oktober 2009.