Wer zuletzt den Don Giovanni in München gesehen hat, sich dort über die Trash Exzesse eines sich unfreiwillig selber erledigenden ‚Regietheater’ gewundert hat und dort einen Mozart gehört hat, der zum Soundtrack verkommen war, der glaubt sich im Grand Théâtre in Genf wahrlich in der Welt von Gestern. Dort wird sanft und getragen musiziert, dort wird auf höchstem Niveau gesungen, dort hat das Produktionsteam noch nie etwas vom ‚Regietheater’ oder gar von der ‚Arbeit am Mythos’ gehört. Dort inszeniert man den Don Giovanni einfach wie er im Buch, sprich: im Libretto steht und denkt nicht weiter darüber nach. In Genf hat man sich zudem erst gar nicht die Mühe gemacht, eine eigene Version auf die Bühne zu stellen. Hier hat man einfach eine Produktion von der Metropolitan Opera eingekauft und da man offensichtlich über einen generös bemessenen Etat verfügt, kann man noch dazu Stars wie die Damrau oder Strehl engagieren. Ja, und wenn man noch dazu mit dem Orchestre de la Suisse Romande über ein renommiertes Orchester verfügt, dann kann musikalisch einfach nichts schief gehen – szenisch allerdings eine ganze Menge. Da spielt die erste Szene vor dem Palast eines spanischen Granden, und der Verführer stolpert mit der armen Anna die steinerne Treppe hinunter. Wenn sich zu Zerlinas Auftritt die Mauern öffnen, glitzern im Sonnenlicht die Olivenbäume. Im zweiten Akt gibt es einen richtigen schauerromantischen Friedhof zu sehen: mit Gräbern, schwachem Mondlicht, kahlen Bäumen und einer Mauer, über die Don Giovanni spielend klettert und Leporello sich mühsam hinüber zwängt. Und im Finale da serviert der Diener zum letzten Abendmahle ein üppiges Souper, da fährt ein verärgerter Don Giovanni so richtig zur Hölle, und eine Rauchsäule steigt aus der Tiefe. Der ob solch szenischer Wunderwerke amüsierte Zuschauer fragt sich indes, warum der elegante Beau aus dem spanischen 18. Jahrhundert eigentlich ein so schlimmes Ende nehmen muss. Hat er doch nicht mehr getan, als einen Angreifer in Notwehr erstochen und mit drei Damen, die alle drei nicht abgeneigt waren, sich mit ihm einzulassen, ein bisschen geflirtet. Von zu bestrafendem Hochmut, Rebellion, Erotik oder gar, Gott bewahre, von Sex ist in der Genfer Inszenierung nichts zu sehen, allenfalls dank der großen Sänger etwas zu hören. Hier ist Don Giovanni der freundliche junge Mann von nebenan, der um seine Wirkung auf die Weiber weiß und davon profitiert. Hier schreiten die Damen in bodenlangen, züchtigen Gewändern majestätisch und, wenn es die Handlung nun unbedingt verlangt, auch schon mal aufregt hin und her. Einzig Zerlina darf rote Schuhe zeigen und wenn sie verführerisch sein soll, darf sie einen Schuh ausziehen. Was da wohl als glitzernde Erotik gemeint war, das wirkt in seiner biederen Bemühtheit allerdings nur hilflos und komisch. Ja, der Schuh, daran erinnern sich die Freudianer noch vom Aschenputtel her, ist halt ein Sexsymbol. Wie dem auch sei. Seien wir nicht so streng mit den Genfer Kalvinisten. Immerhin haben sie keine Kosten gescheut, um die Metropolitan Opera in ihr Grand Théâtre zu holen. Und dass man in der Met das Museale und Kulinarische liebt und seine Sponsoren ungern verärgert, das haben wir doch schon so viele Male gelesen. Wenn man das Museale mag, dann sollte man sich den New Yorker Don Giovanni in Genf ansehen. Dort ist alles wie einstens bei Ponnelle: schön und einlullend. Zur posthumen Ehre des großen Theatermannes sei indes nicht vergessen: er verstand sein Handwerk. Ob das bei der Regie führenden berühmten Schauspielerin, die in Genf für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, auch der Fall ist? Ich habe da meine Zweifel. Hier gab man sich mit einem eher halbszenischen Kostüm- und Ausstattungsfest zufrieden, forderte nie die Sänger als Schauspieler, störte nie die Musik, appellierte nie an die Imagination der Zuschauer, war stets dem Publikum gefällig – und ließ es sanft vor sich hinschlummern. Ach, Du schöne heile Opernwelt. Wir sahen die Premiere am 11. Dezember. Im Stagione Betrieb ist der Don Giovanni noch bis zum 20. Dezember zu sehen.