In der vergangenen Woche hörten wir Mozart bei der alljährlich stattfindenden Mozartwoche in Salzburg und waren nicht unbedingt begeistert. Wie man so oft in Salzburg erfahren kann, wohnen dort Hochkultur und Mittelmäßigkeit recht nah beieinander.Wer einen Mozart der absoluten Spitzenklasse hören möchte, der sollte in diesem Monat nach Zürich fahren. Hier zelebriert unter dem Dirigat von Maestro Giovanni Antonini das Orchestra La Scintilla Mozartklänge, wie man sie kaum schöner und in den tragischen Sequenzen der Oper kaum ergreifender hören kann. Hier erlebt der Zuhörer mit Sängern wie Joseph Kaiser in der Titelrolle, Anna Stéphany als Idamante und Hanna-Elisabeth Müller als Illia – um nur die drei Protagonisten zu nennen – ein Fest der Stimmen, Mozartgesang, wie er schöner und ausdrucksvoller und bewegender wohl kaum möglich ist. Doch lassen wir die so leeren Superlative. Dieses Musizieren und Singen, wie es beim Zürcher Idomeneo geboten wird, das mögen die Musikkritiker mit ihren Lyrismen und Metaphern beschreiben. Ich sage einfach: es hat mir mehr als gut gefallen. Bei diesem Hochfest der Musik hat es die Regie schwer mitzuhalten. Der Kern des Idomeneo Mythos: die rituelle Opferung des eignen Kindes, die ein Gott als Preis für eine erwiesene Wohltat oder als Gehorsamsprobe von einem Menschen verlangt, findet sich mit unterschiedlichen Varianten in biblischen und paganen Texten. Jetske Miynssen hat sich in ihrer Inszenierung für eine aktualisierte Variante des IMythos entschieden und macht aus dem Mythos und implizit aus der opera seria die Psychostudie eines Mächtigen, der sich durch ein unbedachtes Versprechen in eine ausweglose Situation manövriert hat. Rettung für ihn und für seinen Staat kann nur die Hinrichtung des eigenen Sohnes bringen. Die Inszenierung setzt die psychischen Quälen, die vergeblichen Versuche Idomeneos, dem tragischen Konflikt zu entfliehen, in Szene. Eine Gelegenheit für den Protagonisten in der Person des Joseph Kaiser zu zeigen, dass er ein exzellenter Sänger und zugleich ein herausragender Charakterdarsteller ist. Eine Aufgabe, die er so brillant löst, dass gleichsam wie in der griechischen Tragödie der Zuschauer „Furcht und Mitleid“ erfährt.Rettung aus der Qual – und hier folgt die Regie der Tradition des Mythos – bringt die Stimme des Orakels, die die Abdankung des Königs und die Übertragung der Macht auf dem Sohn und seine Geliebte verlangt. Ein traditionelles lieto fine? Mitnichten. Idamante, der Sohn, ist ein gebrochner Mann, der seine seelischen und körperlichen Verletzungen wohl nicht überleben wird – so suggeriert es die Regie. Und nicht nur das. Kann es auch schon deswegen kein lieto fine geben, weil die Handelnden nur Schatten im Totenreich sind? Ein Totenreich, in dem Illia die einzige Überlebende ist ? Gleich zu Beginn steht sie allein in einer Friedhofshalle vor aufgereihten Särgen, und ihre ersten Worte sind ein Anruf an ihre Toten:: „, Padre, germani, addio!Voi foste , io vi perdei.“ Im dritten Akt wiederholt sich die Situation – mit einer Variante – Illia steht vor einem mit Grablichtern geschmückten Sarg, bereitet ihren Selbstmord vor und glaubt sich im Elysium.Solitudini amiche, aure amorose,piante fiorite, e fiori vaghj ! Eine stringente und doch zugleich verwirrende Grundkonzeption, die uns die Regie anbietet: eine Psychostudie im Totenreich. Die Rückschau einer Überlebenden, in deren Erinnerung ein traumatisches Geschehen sich stets wiederholt und die im Selbstmord den letzten Ausweg sucht? Ein offener Schluss?Wir besuchten die Aufführung am 7. Februar, die zweite Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 4. Februar 2018.