Sprechgesang und Biedermeierkostüme. Heinz Holliger, Lunea. Lenau – Szenen in 23 Lebensblättern. Eine Uraufführung an der Oper Zürich

Nach dem Parsifal, einer Koproduktion mit dem Liceu in Barcelona, die wir dort vor wohl sieben Jahren schon gesehen und kommentiert hatten und jetzt noch einmal als Wiederaufnahme in Zürich erlebt haben, sollte man nicht unbedingt am Abend darauf zu einer Uraufführung zeitgenössischer Musik gehen. Man neigt dann  „unbewußt“ dazu, den Komponisten und seinen Librettisten gegen den Großmeister des Musiktheaters auszuspielen und ihnen damit Unrecht zu tun.

Holliger verzichtet, wenn ich das als Nichtmusiker richtig gehört habe, auf alle Melodienbögen, auf alles Aufbrausen des Orchesters, auf alle scharfen Dissonanzen. Statt dessen setzt er auf einen Kammermusik – Stil, auf einen eher zurückhaltend begleiteten Sprechgesang und auf ein Verklingen, das nicht Kommunikatives ‚untermalen‘, sondern eher Traumvisionen und Stimmungen einfangen will. Dass es dabei manchmal etwas einschläfernd zugehen kann – der Herr in der Reihe hinter mir war schon nach einer halben Stunde in schnarchenden Tiefschlaf versunken – das ließ sich wohl nicht gänzlich vermeiden.… → weiterlesen

Operette mit Leichen oder Tragédie lyrique mit Operetten Intermezzi? Marc-Antoine Charpentier, Médée an der Oper Zürich

Das Feuilleton jubelt, feiert enthusiastisch William Christie, den Dirigenten und Musikhistoriker, den großen Kenner und Förderer der französischen Musik des 17. Jahrhunderts, der Charpentiers einzige Oper, seine Médée vom Jahre 1693, wieder für die Bühne entdeckt hat, bringt William Christie zu Recht Standing Ovations dar und wirft Andreas Homoki, der die Inszenierung verantwortet, ein paar verärgerte Buhs hinter her – und das wohl zu Recht.

Die Musik Charpentiers ist uns – oder sagen wir besser: ist mir fremd. In der klassischen französischen tragédie lyrique – so belehren uns die Musikhistoriker – käme, so habe es Lully durchgesetzt, dem Text gegenüber der Musik  Vorrang zu. Erst im 18. Jahrhundert bei Rameau habe sich das Verhältnis von Musik und Text umgekehrt. Charpentier stünde genau in der Mitte zwischen den beiden Extremen. Bei seiner Médée haben wir es „wahrscheinlich mit der perfektesten Synthese von Text und Musik dieses Zeitalters zu tun“ – so William Christie im Programmheft der Zürcher Oper auf Seite 30.… → weiterlesen

Marionettentheater unter Irren. Andreas Homoki inszeniert Wozzeck am Opernhaus Zürich

Um es gleich vorweg zu sagen:  diese Zürcher Inszenierung ist einfach grandios. Sie fasziniert mit ihrer Grundkonzeption, hält den Spannungsbogen über eineinhalb Stunden hinweg, ist weder belehrend noch ideologisch, verzichtet auf Sozialkitsch und allen kruden Realismus, macht aus einem der Lieblingsstücke der Brechtianer groteskes Marionetten- und Kasperletheater – und legt mit dieser Konzeption den Kern des Stücks frei.

Die Figuren, die da auf der Bühne agieren: der geschundene Wozzeck, die sexhungrige Marie, der geile Tambourmajor, der Jammerlappen von Hauptmann, der zynische Doktor, sie alle sind, mögen sie auch als Irre und Wahnsinnige daher kommen, keine Menschen. Sie sind Puppen, Marionetten, geleitet von unsichtbaren Fäden, die ein unsichtbarer Spieler in den Händen hält. Das Fatum? Ein Gott?  … → weiterlesen