Schwüle, sinnliche Klangwelten mit angeblichen Hitchcock Assoziationen. Barrie Kosky inszeniert und Vladimir Jurowski dirigiert Die Gezeichneten am Opernhaus Zürich

Auf Hitchcock – auf ihn verweist Kosky im Programmheft – wäre ich nicht gekommen. Die Inszenierung – so schien es mir – setzt ganz andere Akzente. Ihr geht es –  so schien es mir – um die Abgründe der Kunstwelt, in der der Sammler und Kunstmäzen selber zum Objekt wird, nein sich selber dem Künstler als Objekt ausliefert. Hier im konkreten Fall wird der Mäzen von der Malerin manipuliert und vernichtet. Von der Malerin Carlotta, die von ihrem Objekt einen bestimmt Ausdruck verlangt, diesen einfängt und das Objekt, nachdem es seinen Dienst getan hat, vernichtet.

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Ein russisches Sängerfest. Boris Godunow in der Urfassung an der Opéra Bastille

Als meinethalben verknöcherter Wagner- und Berlioz Fan, dem auch Tschaikowski und Borodin und  Rimski-Korsakov nicht ganz fremd sind, habe ich nie so richtig verstanden, was so viele Opernfans  an Moussorgski und seinem Boris Godunow so fasziniert.

Die Handlung ist disparat. Geht es um den Aufstieg eines machtlüsternen Betrügers? Geht es um einen Volksaufstand, gar um eine Revolution? Geht es um den fortschreitenden Wahnsinn eines Politikers, der durch ein Verbrechen an die Macht gelangt ist? Geht es um Machtspiele, bei der auch die Kirche in der Person eines intriganten Mönchs kräftig mitmischt? Geht es um die Rache des Himmels, der einen Bösewicht mit Wahnsinn straft? Geht um die Praktiken in einem Polizeistaat? Von allem gibt es ein bisschen.

Sieben nur locker verbundene Szenen reiht das Libretto aneinander. Sieben Szenen, die geradezu dazu einladen, ein Filmspektakel mit scharfen Schnitten und Überblendungen zu inszenieren. Da demonstriert eine Masse auf der Vorderbühne für oder gegen den Machthaber, und die Gesichter der ‚Demonstranten‘ erscheinen in Großaufnahme im Hintergrund. Da sieht Boris Godunow in seinem Wahn in Großaufnahme das gemordete Kind, den legitimen Zarewitsch. Da verfolgen ihn in seinem Wahn gleich ein Dutzend Wiedergänger des Toten. Keine Frage, dass all dies handwerklich gekonnt in Szene gesetzt wird und  so spannend wirkt wie ein Thriller von heute, der einen politischen Plot mit dem – im doppelten Sinn – Fall eines Psychopathen verknüpft. Regisseur Ivo van Hove versteht sich auf spektakuläres Theater und weiß sein Publikum zu faszinieren.

Doch es ist nicht die Inszenierung und seltsamerweise auch nicht der Orchesterklang, die von diesem Opernabend in Erinnerung bleiben. Die Inszenierung, mag sie auch souverän die modernen Techniken nutzen, bleibt letztlich konventionell im Stil der ‚Grand Opéra“. Und die Musik? Maestro Jurowski hat sie, so schien es mir, ganz stark zurückgenommen – zu Gunsten eines Ensembles von grandiosen, höchst brillanten Sängern, denen er allen Raum zur Entfaltung lässt. Mit Sängern  und Darstellern dieses Formats wird der Boris Godunow zum Ereignis. Nennen wir stellvertretend für alle anderen nur zwei Namen: Alexander Tsymbalyuk in der Titelrolle und Ain Anger als Mönch Pimène.  Jetzt nach dieser Aufführung in Paris habe ich verstanden, was so viele Opernfans an Moussorgski begeistert: die Macht des Gesangs, genauer: die Männerstimmen.

Wir besuchten die Vorstellung am 13. Juni 2018, die dritte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 3. Juni 2018.