Ein Sängerfest in der Welt von Vorgestern. Lucia di Lammermoor an der Oper Leipzig

Hat man nur drei herausragende Sänger, eine Sopranistin, einen Tenor, einen Bariton, drei Sänger, die in der Kunst des Belcanto bravourös sind, dann ist die Inszenierung eine quantité négligeable. Ein so viele Male nachgesprochener Gemeinplatz, der sich jetzt auch in Leipzig wieder einmal bewahrheitet.

Anna Virovlansky ist eine so brillante und zugleich so anrührende fragile Lucia, dass die szenischen Mätzchen, die die Regie von ihr verlangt, nicht weiter stören. Im ersten Akt muß sie aus einer Art Minnegrotte heraus singen. In der Wahnsinnsszene muß sie, ausgiebig mit Theaterblut beschmiert, auf einem Esstisch hocken und sich immer wieder neu in die weißen Tischtücher einrollen. Der nicht minder brillante Edgardo in der Person des Antonio Poli hat es da schon etwas leichter. Bei seinem großen Auftritt im Finale des zweiten Akts darf er immerhin auf dem Tisch stehen und mit dem Messer herumfuchteln.

Doch spotten wir nicht zu sehr über die Inszenierung. Die so hochberühmte Schauspielerin und Theatermacherin Katharina Thalbach, die die Leipziger Lucia verantwortet, hat halt ein Faible für das Traditionelle, um nicht zu sagen für Omas Dekorationstheater. Da leuchtet der Vollmond über Schottlands blauen Bergen, da wabbeln die Nebelstreifen, da blitzt und donnert es, da drohen Shakespeares Hexen von der Seite, da hat das Gespenst der weißen Frau, der ewige Wiedergänger der vom eifersüchtigen Ehemann erstochenen jungen Frau, einen großen Auftritt. Da gibt es, wie schon gesagt, eine Minnegrotte, die vielseitig verwendbar ist: im ersten Akt noch Lucias Zufluchtsort, wird sie im zweiten Akt zum Kamin, in dem die Scheite lodern und vor dem der böse Bruder seine Intrigen spinnt. In der Hochzeitsszene ist sie die Versenkung, aus der Edgardo plötzlich auftaucht und der Zugang zum Schlafzimmer, in das Arturo Lucia gewaltsam drängt usw. ( Eine kleine Verbeugung vor den Freudianern im Publikum macht sich immer gut).

Erst im Schlussakt gelingt dem Regieteam ein starkes Bild. Die Grotte und alle Türen öffnen sich und geben den Blick frei auf einen Friedhof am See. Im aufsteigenden Nebel schaufeln zwei dunkle Gestalten ein Grab, in das Lucias brennender Sarg versenkt wird.

Schauerromantik nebst Shakespeare Zitaten  und einem Verweis auf eine glückliche Schwester der Lucia, auf Rossinis La Donna del Lago.

Man muß Lucia di Lammermoor nicht unbedingt ins amerikanische Gangsterfilm Milieu versetzen und aus dem unglücklichen Liebhaber einen James Dean Verschnitt machen – wie das in München geschieht. Man braucht die Lucia auch nicht unbedingt  in eine Mater dolorosa auf dem Hexensabbat zu verwandeln – wie das in Amsterdam geschieht. Aber ein bisschen mehr als ein Reiseprospekt vom ländlichen Schottland, in dem Hexen und Gespenster herumhuschen und in dem  zwei Männer im Kilt, der eine aus Leidenschaft, der andere aus Machtgier,  eine fragile junge Frau in den  Wahnsinn treiben, sollte eine Lucia Inszenierung schon bieten. ‚Allein, was tut’s‘. Ich habe Belcanto in Perfektion gehört und ein Sängerfest erlebt. ‚ Der Rest ist Schweigen‘.

Wir sahen die Aufführung am 11. Dezember 2016, die dritte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 26. November 2016.