David Lynch Variationen? Geschichten aus der amerikanischen Depression der 30er Jahre? Nachtseiten der Romantik? Der fliegende Holländer am Opernhaus Dortmund

Opernhaus Dortmund

David Lynch Variationen? Geschichten aus der amerikanischen Depression der 30er Jahre?  Nachtseiten der Romantik? Der fliegende Holländer am Opernhaus Dortmund

Die gerade vor einem Monat herausgekommene Neuinszenierung von Jens-Daniel Herzog wurde in den Feuilletons sehr gerühmt. Nicht unbedingt ein Grund, um nach Dortmund zu fahren, zumal die Zürcher Arbeiten des Regisseurs Herzog mich nicht gerade begeisterten. Doch Neugierde und Lust auf Wagner sind größer als alle Bedenken – und der erste Eindruck, ich meine nicht die Inszenierung, ist Enttäuschung. Das so schick-moderne Opernhaus in Dortmund  ist ein Ort der Tristezza. Sind wir die einzigen, die heute Abend Wagners „romantische Oper“ hören wollen?  Geht es uns vielleicht  wieder so wie vor ein paar Jahren in Duisburg, als man  dort an einem heißen Sommerabend  den dritten Akt des Tristan  praktisch für uns alleine spielte? Nicht doch. In einer halbdunklen Ecke hat sich ein Grüppchen durchweg älterer Besucher versammelt, um den Einführungsworten eines Dramaturgen zu lauschen. Und schließlich füllt sich der Saal doch zu einem Drittel. Oder vielleicht sogar zur Hälfte. Und einige Herren haben sogar Blumensträuße dabei. Es gibt sie also doch noch in Dortmund: die Opernfans und die Wagnerianer, wenngleich sie fast alle so ziemlich in die Jahre gekommen sind.  Und diesen wenigen Interessierten wurde ein durchweg ansprechender, überdurchschnittlicher Fliegender Holländer geboten – natürlich in der pausenlosen Fassung. Das Solistenensemble singt auf hohem Niveau, der Wagnersound ist entsprechend (für den Geschmack der Dilettantin vielleicht ein wenig zu zurückhaltend. Aber das kann und will ich nicht beurteilen). Die Inszenierung scheint auf den ersten Blick der alten „romantischen Oper“ alles Romantische austreiben zu wollen und holt es doch als Nachtseiten der Romantik im Sinne des Unheimlichen, des Unerklärlichen, das in das scheinbar ‚Reale‘ einbricht, wieder hervor.

Es gibt keine Segelschiffe und keine Matrosen,  keinen bleichen Holländer im Rembrandt Outfit, keine Mädchen am Spinnrad, kein düsteres Holländer Bild, das zu Sentas Ballade von der Wand fällt, keinen Jäger Erik mit Kaninchen Jagdbeute, keine Geisterescheinungen und sonstigen Firlefanz. Ort der Handlung ist eine scheinbar ‚reale Welt‘, das Kontor einer wohl amerikanischen Firma in den 30er Jahren, die offensichtlich  vor dem Bankrott steht. Ratlos blättern die Angestellten in ihren Aktenordnern und Papieren. In dieser Konstellation ist es nur konsequent, dass der „Holländer“ als eleganter, offensichtlich über unbegrenzte Mittel verfügender Investor auftritt, die heruntergekommene Firma aufkauft und die Tochter des Besitzers noch dazu nimmt. Ein scheinbar ganz modernes und ganz alltägliches Szenarium, unter der sich dennoch das Unheimliche verbirgt.

Ein plötzlich aufkommender  Windstoß wirft die Blätter der Kontoristen durcheinander, der scheinbar aus dem Nichts plötzlich erscheinende Investor erschreckt und verprügelt den Hauptbuchhalter (bei Wagner der „Steuermann)“. Als plötzliche Erscheinung steht er auch vor Senta, die sich gerade in ihrem Friseursalon fein gemacht hat, nein sich wohl eher zur Puppe, vielleicht zum romantischen Automaten, der willenlos seinem Herrn folgt, zurecht gemacht hat. Im Nichts wird er auch im Finale plötzlich verschwinden und  Senta und den armen kleinen Erik, der bei Herzog zum Wachmann der Firma mutiert ist, vernichten. Er, der doch Senta nur die Pistole entreißen wollte, die Pistole des Holländers, mit der sie sich töten wollte, steht, als sich der tödliche Schuss löst, im Finale vor allen als der Mörder Sentas da – und das Orchester spielt die Erlösungstakte.

Ein ungewöhnliches Finale. Und doch macht dieser Einbruch des romantisch Unheimlichen und Zerstörerischen in das scheinbar Alltägliche  nicht den Clou der Inszenierung aus. Die Referenz auf die Nachtseiten der Romantik wäre nur die konventionelle, traditionelle Deutung des Fliegenden Holländers. Mir scheint, Theatermacher Herzog wollte mehr. Er wollte wohl die Atmosphäre des Unheimlichen, des Ineinander-Übergehens von Realem und Phantastischen, der Grenzerfahrungen, des Kampfes mit den Alpträumen, wie sich in den Filmen eines David Lynch finden, z.B. in dem Kultfilm Twin Peaks, miteinfangen.  Vielleicht  macht diese Melange aus den Nachtseiten der Romantik und amerikanischem Kultfilm das Besondere des Dortmunder Holländers aus. Vielleicht. Ich weiß es nicht.  Vielleicht sollte man sich den Fliegenden Holländer im Opernhaus Dortmund nicht entgehen lassen.

Wir sahen die Vorstellung am 3. November 2011. Die Premiere war am 2. Oktober 2011.