Am Ende des Krieges müssen auch die Royals an die Front. Ein Glück für die Hochgeborenen und für Great Britain, dass ihnen in der Not ein schmächtiger junger Mann (bei Händel ein gewisser Teseo, hier in der Person der Mezzosopranistin Lena Belkina) zu Hilfe kommt und ihnen die Kastanien aus dem Feuer holt. So können sie dann gleich wieder so agieren, wie es die Klatschpresse mag: der in die Jahre gekommene König kriegt Angst vor der femme fatale, die bei ihm am Hofe lebt und der er die Ehe versprochen hat (bei Händel eine gewisse Medea). So möchte er denn lieber die hausmütterliche Prinzessin, die auch bei ihm am Hofe lebt, ehelichen (bei Händel eine gewisse Agilea). Dumm nur, dass diese sich in den Kriegshelden Teseo verknallt hat – und umgekehrt.
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Ein barockes Fest der Stimmen. Teseo und Arminio bei den Händel Festspielen in Karlsruhe
Hier singen Primadonna und seconda donna, primo uomo und secondo uomo gleichsam um die Wette. Hier in Karlsruhe singen und agieren in diesem Jahr Barocksänger der ersten Garnitur. Hier wird ein Festival der Stimmen angeboten, wie man es in dieser Zusammensetzung höchst selten hört. Max Emanuel Cencic in der Titelrolle des Arminio, Valer Sabadus als Teseo, Vince Yi als secondo uomo in der Rolle des Sigismondo im Arminio. Und die Damen stehen hinter den Counter kaum zurück. Yetzabel Arias Fernández als gleich von zwei Countern umschwärmte Primadonna im Teseo. Layla Claire als Primadonna im Arminio in der Rolle der liebenden und leidenden Tusnelda, die fest zum Ehemann und ‚vaterländischen Helden‘ Arminio steht.
Welche Arien soll man zitieren? Die nur vom Cembalo begleitete Auftrittsarie des Teseo, die Valer Sabadus im Pianissimo singt oder die „Schlummerarie“ der Agilea aus dem vierten Akt oder die bravourösen Rachearien der Medea? Oder die melancholische „Gefängnisarie“, die Cencic als das Lied vom Tode gestaltet. Oder die Bravourarie mit Oboenbegleitung „Quella fiamma“, wie sie der Soprancounter Vince Yi einem geradezu atemlos lauschenden Publikum vorträgt? So, denkt man, muss es wohl zu Händels Lebzeiten geklungen haben – diese Kombination, dieses Ineinander-Übergehen von virtuosem Gesang und nicht minder virtuosem Soloinstrument. Und man ahnt, warum in jener Zeit die Opernstars wie heutige Popstars gehandelt und behandelt wurden.… → weiterlesen
Eine Medea Variante in Cine Città? Oder eine philosophische Parabel? Händels Teseo in der Staatsoper Stuttgarts
Dieses Mal habe ich von den Intentionen der Regie, geschweige denn von deren Grundkonzeption überhaupt nichts begriffen. Als naiver Theaterbesucher dachte ich bisher, eine Inszenierung sei gleichsam ein aufgeschlagenes Buch, ein Text, den der Zuschauer lesen und deuten sollte, um das Spektakel zu begreifen. Falsch. Ganz falsch. In Stuttgart muss man zuerst das Programmheft lesen, um zu erkennen, was die Welt, die Scheinwelt des Theaters im Innersten zusammenhält. Wer erst nach der Vorstellung ins Programmheft schaut – so halte ich es, um nicht Opfer eines Vor-urteils zu werden – findet dort schon mal Anregungen und Ergänzungen, zusätzliche Informationen, die die eigene Deutung stützen oder ihr widersprechen können. Beim Stuttgarter Teseo bestehen zwischen der Theorie, wie sie sie die Regie im Programmheft darlegt und der Bühnenwirklichkeit, wie das Publikum sie sieht, zwischen den Intentionen der Regie und der Rezeption beim Zuschauer geradezu absurde Kontraste. Auf der Bühne sehen wir in scharfen Schnitten Szenenfolgen aus der Welt des faschistischen Kinos: eine Megäre namens Medea, die ihre Intrigen spinnt, einen Politiker, der über Großbildschirme zu den Massen spricht und zu Hause nicht mit den Weibern zurecht kommt, ein jammerndes Frauchen namens Agilea, das an die Liebe glaubt und das die Megäre von ihren Schwarzhemden quälen lässt, einen etwas unbedarften Jungmann (Titelheld Teseo), der ebenfalls an die Liebe glaubt und der beinahe von seinem eigenen Vater, dem großmäuligen Politiker, umgebracht worden wäre, wenn nicht….. Mit anderen Worten: wir sehen einen Kitschfilm. Sehen sollten wir allerdings eine philosophisch, politisch, moralische Parabel: „Teseo handelt von Integrität in einer korrupten Gesellschaft. Es geht um Teseo und Agilea, zwei Menschen, die […] nicht bereit sind, ihre Werte zu verraten. Und es geht um die Impotenz der Macht gegenüber diesen Menschen. […] Teseo hat John Lockes Staatsentwurf vorweggenommen. Historisch gesehen ist das in großem Stil erst wieder bei der Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, also zu Händels Zeiten, umgesetzt worden“(Igor Bauersima, Programmheft S. 16 und 20). Wir Zuschauer, sehr geehrter Herr Theatermacher Bauersima, sind so unbedarft, dass wir Ihre hehren Intentionen in Ihrer Inszenierung nicht erkennen konnten. Doch das darf Sie nicht stören. Wenn ich mich recht erinnere, hatte schon ein gewisser Dramatiker, Philosoph und Professor namens Schiller seine Schwierigkeiten damit, seinem Publikum das Theater als moralische Anstalt zur Erziehung des Menschengeschlechts schmackhaft zu machen. Und da sind Sie in guter Gesellschaft. Das Publikum will eben unterhalten werden. Und unterhaltsam, vielleicht gegen Ihre Absichten, war Ihr Teseo alle Male: unterhaltsam als Persiflage auf das faschistische Kino, auf die Filmbranche mit ihren alternden rachsüchtigen Diven, ihren machtlüsternen Diktatoren, ihren edlen Gutmenschhelden und deren nicht minder edlen Gefährtinnen. Ehe ich es vergesse: „Musik ist heilige Kunst“ – und gesungen und musiziert wurde in Ihrem Teseo brillant und – schön. „Musik ist heilige Kunst“ – teutsche Gedankenschwere kann ihr sowieso nichts anhaben. Wir sahen die 12. Vorstellung am 18. Juli 2009. Die Premiere war am 2. Mai 2009.