Seien wir doch froh, dass wir überhaupt Karten bekommen haben und halten wir uns mit kritischen Bemerkungen zurück. Nehmen wir einfach in Kauf, dass der Fliegende Holländer abgespielt und desaströs war, die Walküre – wir kannten sie schon aus dem Ring Zyklus – nicht minder abgespielt und in ihrer musikalischen Interpretation etwas eigenwillig war. Begeistern konnte allein der Tristan. Auch ihn hatten wir schon im vorigen Jahr erlebt (Siehe dazu unsere Bemerkungen im Blog). Die diesjährige Aufführung war, wenn das überhaupt möglich ist, in Orchesterklang, Stimmen und Szene noch brillanter und ergreifender als die vom vergangenen Jahr. Vielleicht lag es daran, dass mit Andreas Schager ein jugendlich wirkender Tristan sang und agierte.
Schlagwort-Archive: Tristan und Isolde
Ertrinken – Versinken. Tristan und Isolde an der Staatsoper unter den Linden
Ein glücklicher Zufall war es, der uns erlaubte, im Abstand von nur wenigen Tagen Tristan und Isolde gleich an zwei renommierten Musiktheatern zu hören und zu sehen, am Samstag in de Nationale Opera Amsterdam und am Donnerstag darauf an der Staatsoper in Berlin. Beide Male mit einem hochkarätigen Ensemble, beide Male mit hochberühmten Dirigenten, beide Male mit Orchestern der Spitzenklasse und beide Male in Inszenierungen, für die hoch geschätzte Theatermacher verantwortlich zeichnen.
Kein Zweifel. Ein Wagner Festival der Extraklasse. Wem gebührt bei diesem imaginären Wettspiel zwischen zwei großen Opernhäusern der Lorbeerkranz? Amsterdam oder Berlin? Ich weiß es nicht. Zu unterschiedlich sind die Aufführungen.
In Berlin, so schien es mir, setzt Daniel Barenboim mehr auf ein Versinken und Ertrinken in der Musik, auf einen unendlichen Klangteppich, auf ein Auskosten aller Nuancen, auf ein Zelebrieren, vielleicht auch auf die Wagner „Hypnose“, der sich der Zuhörer nur schwer entziehen kann. In Amsterdam – so schien es dem Laien, der sich als ‚Wagnerianer‘ versteht und der doch nicht in der Lage ist, das, was er hört zu analysieren, geschweige denn auf Begriffe zu bringen – in Amsterdam ging es unter der Leitung von Marc Albrecht ‚intellektueller ‘zu. Dort verzichtet man auf alles Rauschhafte, setzt mehr auf die Leitthemen Tod, Trauer und Verzweiflung und macht den dritten Aufzug zum Höhepunkt des Abends.… → weiterlesen
„Brangäne, du – Sag, wo sind wir?“ Tristan und Isolde an De Nationale Opera Amsterdam
Nein, wir sind nicht an „Kornwalls grünem Strand“. Wo sind wir? Das fragt sich nicht nur Isolde. Das fragt sich auch der Zuschauer im Amsterdamer Opernhaus. Im ersten Akt sind wir wohl irgendwo in archaischer Zeit. Vielleicht in Japan? Vielleicht in einer Bob Wilson Inszenierung: statuarische Bewegungen. Licht- und Schattenspiele. Gestalten in langen grauen Mänteln. Oder sind wir vielleicht – ganz wie es das Libretto will – in den Luxuskabinen eines Schiffs? Sind die mit Jugendstil Ornamenten verzierten Vorhänge vielleicht stilisierte Segel?
Im zweiten Akt sind wir auf einem Friedhof. Die todessüchtigen Liebenden tragen Schwarz, nutzen flach liegende Grabsteine als Sitz- und Ruhegelegenheiten. Erzählte Zeit ist vielleicht ein unbestimmtes Mittelalter. Der König – von der Kutte her, die er trägt, zu urteilen – ist wohl der Abt eines Klosters. Seine Diener sind mit Spießen bewaffnet. Der Bösewicht Melot, ein rüstiger Greis mit Rollator, sticht mit seinem Taschenmesser zu.
Aber vielleicht ist der Friedhof mit der Fülle seiner phallisch aufgereckten Pflanzen zugleich ein Treibhaus und verwiese damit auf ein in der Dekadenzliteratur häufig genutztes erotisch konnotiertes Bildsymbol. Und dann stünde der phallische Friedhof für die Symbiose von Eros und Thanatos, wäre die szenische Realisierung des dominanten Leitmotivs in Tristan und Isolde, dem Eins-Sein von Liebe und Tod. War das die Intention von Regisseur und Bühnenbildner? Vielleicht.
Im dritten Akt lösen sich die Rätsel von Zeit und Raum. Jetzt sind wir beim Beckett Müll gelandet. Estragon und Wladimir alias Tristan und Kurwenal warten auf Godot alias Isolde. Sie kommt immerhin anders als Godot. Zu spät, wie es das Libretto verlangt. Im Finale macht die Regie noch einmal eine Kehrtwendung, kehrt zur Bob Wilson Manier des Anfangs zurück. Isolde singt ihr „Mild und leise […]“, ihr „ertrinken – versinken“ als schwarzer Schattenriss im Bob Wilson Licht.
In Amsterdam – dies ist anscheinend die Grundkonzeption der Inszenierung – hat Pierre Audi, der langjährige Intendant des Amsterdamer Musiktheaters, wohl seinen eigenen Abschied inszeniert, hat noch einmal auf frühere Arbeiten und die berühmter Gastregisseure verwiesen.
Doch lassen wir die Inszenierung. Zum Tristan geht man nicht wegen der Inszenierung, auch nicht wegen der „Handlung“, sondern – eine banale Bemerkung – wegen der Musik. Mag Nietzsche auch versucht haben, uns glauben zu machen, dass Wagner „die Musik krank gemacht habe“, dass er mit seiner Musik uns „hypnotisieren“ wolle. Es stört uns nicht. Im Gegenteil. Wir lieben die Wagnerdroge. Und auch so wie sie Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest bereitet: nicht rauschhaft, sondern – so vor allem im dritten Akt – düster, traurig, verzweifelt. Der „Liebestod“ nur ein Wahn – ganz im Einklang mit der Inszenierung.
Auf der Bühne Stars des internationalen Musiktheaters. Da gibt es nichts zu bekritteln: Stephen Gould als Tristan, Ricarda Merbeth als Isolde, Günther Groissböck als König Marke, Michelle Breedt als Brangäne.
Wir besuchten die Aufführung am 10. Februar 2018. Die Premiere war am 18. Januar 2018.
Ein Triumpf für Isolde in einer hybriden Inszenierung. Tristan und Isolde an der Oper Graz
Es mag ja sein, dass der Zauber sich nicht gleich einstellt. Es mag auch sein, dass die Tristan-Klänge zu Beginn ein wenig matt herüber kommen. Ich maße mir da kein Urteil an. Doch wenn Isolde (in der Person der Gun Brit Barkmin) zu singen beginnt, dann begreift man sofort, dass in Graz eine Tristan Aufführung der Spitzenklasse geboten wird. Wir haben lange nicht mehr eine so überragende Isolde gehört, eine Sängerin, der jeglicher ‚Schreigesang‘, in den sich so manche Isolde flüchtet, gänzlich fern liegt, eine Sängerin, die souverän über alle Register verfügt, die hochdramatisch und lyrisch zu singen weiß, die noch den berühmten Liebestod ohne eine Spur von Ermüdung ergreifend zu gestalten versteht: „ertrinken – versinken“ im Wagner Rausch. Wagner, findet er nur die seiner Musik angemessenen Interpreten, „hypnotisiert“ noch immer mit seiner Musik – um es frei nach Nietzsche zu sagen. In Graz findet Wagner die ihm angemessenen Interpreten. Auch Tristan (in der Person des Zoltán Nyás) weiß mitzuhalten, wenngleich an diesem Abend Isolde der erste Preis gebührt und sich die Titelvariante Isolde und Tristan geradezu aufdrängt.… → weiterlesen
Unter Mafiosi im Casino. Tristan und Isolde am Badischen Staatstheater Karlsruhe
Zum Musiktheater in Karlsruhe gehe ich gern. Man muss schon sehr viel Pech haben, wenn man in eine nicht gelungene Aufführung gerät. Doch jetzt passierte es gleich zweimal hintereinander, dass äußere Umstände die Aufführung beeinträchtigten. Bei den Händel Festspielen im Februar dieses Jahres war es ein Unfall in der Bühnenmaschinerie (ein letztlich noch relativ glimpflich verlaufener Unfall), der nur noch eine konzertante Aufführung zuließ. Jetzt beim Tristan – man kann es kaum glauben – war es das pfeifende Geräusch eines defekten(?) Hörgeräts, das den Basso continuo im zweiten Akt des Tristan beisteuerte, ein Misston, der Sänger und Musiker und große Teile des Publikums nervte. Doch Wagner hält auch die Misstöne aus dem Saale aus, und es war bewundernswert, wie alle Mitwirkenden es trotzdem schafften, die berüchtigte Wagner Droge ihrem Publikum zu bereiten.
Auch die Regie, der – mit Verlaub gesagt – nur eine recht banalisierende Variante des Mythos eingefallen war, war der Aufführung nicht gerade von Nutzen.… → weiterlesen
Manieriert und anspruchsvoll. Ein höchst gelungener Tristan an der Oper Stuttgart
Warum nach Bayreuth pilgern und dort sieben Jahre vor verschlossenen Türen harren, wenn in Stuttgart Sylvian Cambreling und Jossi Wieler einen Tristan der Spitzenklasse zelebrieren, wenn brillante, herausragende Sänger wie Erin Caves als Tristan und Christiane Iven als Isolde auf der Bühne stehen, Sänger, denen der berüchtigte Wagner Schreigesang gänzlich fern liegt, die niemals schrill klingen, die, um es pathetisch zu sagen, mit der Macht des Gesangs ihr Publikum verzaubern. Ja, und wenn dann noch wie jetzt in Stuttgart das Orchester in Hochform ist, dann stellt sich wieder einmal der ‚Wagnerrausch‘, ein, die „narkotisierende Wirkung von Wagners Musik“ (Bernd Loebe).
Und die Inszenierung? Das Regieteam um Jossi Wieler fordert sein Publikum von Anfang an. Vielleicht muss man kunsthistorisch und zugleich literaturgeschichtlich beschlagen sein, um die Vielzahl der Verweise, die noch dazu häufig parodiert und ironisiert werden, zu erkennen. Das fängt schon beim Bühnenprospekt an. Es gibt keinen Vorhang. Zu sehen ist ein ringförmiger Zellentrakt und in der Mitte ein Wachturm, von dem sich alle Zellen beobachten lassen, ohne dass der Beobachtende selbst gesehen wird. Tristan und Isolde, ein kriminelles Paar, für das es keine Privatheit gibt, das unter ständiger Beobachtung lebt, ist dies das Inszenierungskonzept oder zumindest ein ‚Leitthema‘ der Inszenierung? Muss man den Verweis auf das Panopticon von Jeremy Bentham erfassen und noch dazu die entsprechenden Ausführungen von Michel Foucault kennen, um das Regiekonzept zu verstehen? Nicht unbedingt, zumal die Regie nach der Ouvertüre das Gefängnis im Wortverstande zusammenfallen lässt und mit einem romantischen Bild überrascht: der Fahrt über das Meer. Und wieder ist das Publikum gefordert, wieder wird an seine kunsthistorischen Kenntnisse appelliert. Tristan steht am Steuer des großen Kahns: in Kostüm und Maske eine Caspar David Friedrich Figur. Und Isolde und Brangäne, beide orientalisch kostümiert, haben einen komfortablen Platz am Bug. Welches Bild bzw. welche Bildelemente werden fragmentarisch zitiert? Ist die ganze Meerfahrt-Szene ein romantisches Pastiche? Ironisiert und parodiert die Regie die romantische Seefahrt, wenn Isolde wegen des kräftigen Wellengangs sich an der Reling übergeben muss? Parodiert die Regie konventionelle Inszenierungen, wenn sie der Isolde ein langes Schwert in die Hand drückt und der arme Tristan schon den Kopf über die Reling legt, auf dass die Dame ihm selbigen abschlagen kann? Bekanntermaßen tut sie ja das nicht und reicht ihm dafür mit viel Pathos den Todestrank (vulgo Liebestrank). Ist auch das eine Parodie? Vielleicht ist überhaupt Parodie und Komik die Grundkonzeption der Inszenierung?
Zumindest im zweiten Akt mangelt es nicht an parodistischen Zügen. Da sitzt Isolde zum „Hörner Schall“ am Spinnrad, da spielt sie zum Todesmotiv Tristan schon mal einen Selbstmord vor. Da tobt Tristan seine Männlichkeit an glitzernden Seilen aus, die wie Weihnachtsschmuck vom Bühnenhimmel herab hängen, da werfen als Höhepunkt erotischer Ekstase beide ihre Schuhe von sich. Der obligatorische Freud Verweis? Da zieht sich Isolde im Finale wieder an das Spinnrad zurück und zur Einladung, ihm in das Reich des Todes zu folgen, darf Tristan die Wollfäden halten. Isolde eine träumerische Senta und eine Norne zugleich?
Im dritten Akt, da ist das stolze Schiff aus dem ersten Akt geborsten. Ein geborstenes Schiff: die bekannte barocke Chiffre für die Vanitas, für Vergänglichkeit und Tod. Ein stringenter Verweis, den wir leicht nachvollziehen können. Doch warum geht der moribunde Tristan am Stock? Ein humpelnder Kapitän Ahab, der nicht Moby Dick, sondern Isolde sucht? Ist der Hirte ein Wilder aus dem Robinson Crusoe Arsenal? Und der gute König, der im proletarischen Outfit auftritt, auf welche Figur verweist er? Erträumt sich Isolde im finalen Liebestod eine Auferstehung Tristans, die dieser statt zu „ertrinken“, zu „versinken“ mit Trockenschwimmübungen karikiert?
Tristan und Isolde, eine Inszenierung, die mit einer Fülle von Verweisen arbeitet, die den Mythos parodiert und die doch dem Zuschauer die Freiheit lässt, all die Referenzen auf Literatur und Malerei zu ignorieren, die Parodien zu übergehen, sich der Mär und den Klängen vom ewigen Sehnen zu überlassen oder einfach nur„ein traurig Stück“ zu sehn und zu hören. „Von Tristan und Isolde kenn ich ein traurig Stück“ wird Hans Sachs mahnend zu Eva sagen.
Ein großer Opernabend in Stuttgart. Ein Ensemble, ein Orchester, eine Inszenierung der Spitzenklasse. Wir sahen die Aufführung am 27. Jul 2014. Die Premiere war am 20. Juli 2014.