Beziehungskiste nebst Krimi. Alcina als Soap-Opera im Theater an der Wien

Jetzt haben wir in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Inszenierung erlebt, bei der die Regie mit Händels Alcina wenig anzufangen weiß, allen Zauber zerstört und aus einer Opera seria eine Soap-opera macht.

Halten wir der Wiener Aufführung zu Gute, dass es hier nicht ganz so schlimm zugeht wie bei den Karlsruher Händel Festspielen. Dort hatte Captain Roger von der Army sich in der Luxusvilla seiner schwangeren Mätresse eine Auszeit genommen. Doch kaum hat er von seinem alten Ausbilder eine Standpauke abbekommen, da besinnt er sich auf seine militärischen Pflichten und macht zum Abschied Kleinholz aus dem Haus der Mätresse.

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In Pucks Phantasie-Welt nebst Frühlingserwachen in der Schule. Michieletto inszeniert Britten, A Midsummer Night’s Dream am Theater an der Wien

Bei Theatermacher  Michieletto  sind wir nicht am Hofe von Theseus und Hippolyta. Da verirren sich die Liebenden auch nicht im Athener Wald. Da ereignet sich alles in der Turnhalle einer englischen Internatsschule – und in der Imagination eines traumatisierten Teenagers, der sich auf der Flucht vor seinem Trauma eine eigene Welt erschafft (Was es mit dem Trauma auf sich hat, das erfährt das Publikum erst im Finale). In dieser Welt der Phantasie werden die jüngsten Mitschüler zu tölpelhaften Elfen, die älteren zu Laienschauspielern, die sich mit einem Theatercoup außer Fassung bringen lassen oder  zu  Liebespaaren, die an sich selber irre werden. In dieser Welt wird das Kuscheltier zum  Monster und der traumatisierte Einzelgänger  zu Puck, dem Faktotum des Elfenkönigs, das mit all diesen Streichen seine Mitschüler erschrecken und verwirren darf.

Eine durchaus einsichtige und das Stück tragende Grundkonzeption, der alles Romantisierende widerstrebt, die auf die komisch-grotesken Einschübe, wie sie das Libretto vorgibt, nicht verzichtet und die doch den Schwerpunkt auf Traumata und Albträume setzt, die eine Welt in Szene setzt, die ihre Fluchtpunkte weniger bei Shakespeare als bei Strindberg, Freud und Jung hat.

Gleich die erste Szene weist in diese Richtung. Ein sich von allen anderen  fern haltender Schüler will sich vom Direktor und seiner Mitarbeiterin (bei Shakespeare Theseus und Hippolyta)  partout nicht disziplinieren lassen. Kaum lassen diese von ihm ab, holt er aus seinem Ranzen eine Halbmaske, setzt sie sich auf, und schon phantasiert er sich das Elfenreich herbei: eine groteske Horde von Internatsschülern, die zu ihren englischen Schuluniformen Perücken und Masken tragen. Anders als ihr Gefolge im Elfenreich sind Oberon und Tytania von Kostüm und Maske her keine Märchenfiguren, sondern ein Paar mittleren Alters aus der Welt von heute. Oder anders gesagt: beide bewegen sich auf einer Mittellinie zwischen Märchenwelt und  ‚Wirklichkeit‘. Auch dies erklärt sich im Finale.

Bis dahin geht es turbulent in der Turnhalle zu – ganz wie wir das vom Sommernachtstraum her kennen. Da  spielen die Liebespaare ‚Bäumchen verwechsel dich‘, lieben sich und zanken sich. Da mimen in den  Handwerker Szenen gute Schauspieler schlechte Schauspieler. Kein Frage, dass dies alles gekonnt und unterhaltsam in Szene gesetzt wird und dass gesungen und gespielt wird, wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht.

Im Finale wird es dann noch einmal ernsthaft. Das groteske Schauspiel, in  das die Mimen des Schülertheaters das Sterben von Pyramus und Thysbe verdrehen, hat für den Schüler Puck gleichsam die Wirkung eines Heilschlafs. In die Figuren von Oberon und Tytania hatte er – so erfahren wir über Videos –   seine bei einem Verkehrsunfall umgekommenen Eltern projiziert. Im Schlaf, im Sommernachtstraum, befreien ihn die Phantasiefiguren von seinem Trauma und lassen ihn die ‚Wirklichkeit‘ akzeptieren.

Ein vielleicht etwas zu forcierter Schluss, der sich doch aus der von Anfang an angelegten Aufwertung der Figur des Puck ergibt. Eine Aufwertung, die seltsamerweise nicht von der Musik gestützt wird. Die Rolle des Puck ist  bei Britten eine Sprecherrolle. Doch dank der überragenden  Maresi Riegner wird die Figur des Puck auch in der Oper zu einer Hauptrolle, zur tragenden Hauptrolle in der Grundkonzeption der Inszenierung.

Absoluter Star im Bereich der Musik ist ohne Zweifel Oberon  in der Person des Bejun Mehta. Ich hatte diesen Ausnahmesänger  schon länger nicht auf der Bühne erlebt. Bei diesem Sänger gibt es nichts zu bekritteln. Sagen wir es mit ein bisschen Pathos: die Macht dieser schönen Stimme ‚verzaubert‘ das Publikum.

Wir besuchten die Aufführung am 25. April 2018, die Dernière. Die Premiere war am 15. April 2018.

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Der zerschnittene Ring oder das Wiener Ringlein. „Die Ringtrilogie“ am Theater an der Wien

Wie seltsam – so der erste Eindruck – dass ein Stagione-Haus, in dem wir in den  letzten Jahren so viele herausragende Inszenierungen gesehen haben, wie seltsam, dass ein solches Haus sich an den Ring des Nibelungen wagt. Ein Mammut-Projekt, das höchste Anforderungen an den Theaterbetrieb stellt und mit dem sich auch die großen Musiktheater schwer tun.

Am Theater an der Wien ist man sich selbstverständlich all dieser Schwierigkeiten bewusst und hat sich daher zu radikalen Kürzungen entschieden, aus Wagners Tetralogie eine Trilogie gemacht und diese auf drei Abende verteilt. Eine mutige Entscheidung, der eingefleischte Wagnerianer wohl mit Skepsis begegnen, sie vielleicht sogar als Sakrileg werten.

Doch die Fassung, die das Wiener Produktionsteam – Maestro Constantin Trinks, die Regisseurin Tatjana Gürbaca und die Dramaturgin Bettina Auer – vorschlägt,  hat in ihrer Konzentration durchaus ihren Reiz. Sie arbeitet nicht nur mit Kürzungen, sondern versucht, mit Umstellungen der Szenen, mit dazu erfundenen Personen, mit Parallelsierungen von Handlungssträngen eine neue Geschichte zu erzählen – und hat damit einen gewissen Erfolg.… → weiterlesen

Von der Traumwelt zur Gutmenschen-Orgie ist es nur eine Pause. Torsten Fischer inszeniert Die Zauberflöte am Theater an der Wien

Torsten Fischer ist sicher ein großer Theatermann, ein erfahrener Theatermacher, der sein Handwerk versteht, dem wunderschöne Bilder gelingen, ein Meister der Personenführung, ein Magier des Traumtheaters. Wie schade nur, wie seltsam und leider wie abträglich seiner Kunst ist es doch, dass er sein Achtundsechziger-Trauma nicht zu sublimieren vermag und von seinem Brecht-Schaden nicht loskommt.

Wir wissen alle im Publikum, dass Die Zauberflöte recht plakativ die Freimaurer Ideologie feiert. Doch diese Feierstunde ist Regisseur Fischer nicht genug. Er muss unbedingt noch eins draufsetzen. Die Utopie der Toleranz gerät ihm dabei zum szenischen Religionsgemisch, in dem vor einer überdimensionalen Klagemauer Priester aller nur möglichen Religionen, angetan mit ihrer jeweiligen Dienstkleidung, auf Friede, Freude, Eierkuchen machen und der Darsteller des Tamino ihnen  eine Kantate vorsingt, die Liebe und Toleranz und den Schöpfer des Weltalls feiert. Der Text dieser ach so gut gemeinten Kantate, so erfährt man aus dem Programmheft, stamme von dem Hamburger Kaufmann Ziegenhagen, und Mozart habe dazu eine Klavierfassung geliefert. Mit diesem Spektakel beginnt der zweite Akt.

Mit dem ‚Hohen Lied‘ der Toleranz lässt es die Regie nicht bewenden. Zur Utopie der Toleranz kommt noch die Utopie der Emanzipation der Frauen und der Gleichberechtigung der Geschlechter.… → weiterlesen

Alles nur Wolkenguckerei. Das Glück liegt im Altenheim. Konwitschny inszeniert Werner Egk, Peer Gynt am Theater an der Wien

Da steht, noch bevor das Orchester einsetzt,  Peer Gynt in der Person des Bo Skovhus, ein Hüne von Gestalt, ein drahtiger Bursche, ein Außenseiter,  auf der Rampe vor einem Prospekt, das Wolkenspiele zeichnet und erträumt sich ein Wolkenguckungsheim, ein Reich, in dem er der „Kaiser“ ist. Und am Ende da ist der Träumer am Ende, kehrt zu der Frau, die er zu Anfang verlassen hat, zurück  und legt ihr seinen müden Kopf in den Schoss. „Du bist zu Haus“. Und Solveig, die so lange auf Peer Gynt gewartet hatte, serviert ihm Milch und singt ihm das Wiegenlied. Wie schön, wie rührend, wie kitschig. Ein Märchen mit Antimärchen Zutaten: der Held zieht davon, erfährt und erleidet mancherlei Abenteuer und Prüfungen, scheitert und kriegt trotzdem die Prinzessin – eine Prinzessin, die ganz wie ihr Prinz recht ramponiert ist.… → weiterlesen

„Was für eine furchtbare Inszenierung“. Das Capriccio der Untoten oder Ästhetik nach Stalingrad. Richard Strauss, Capriccio. Konversationsstück für Musik in einem Akt am Theater an der Wien

Zum baldigen Finale der Stagione haben sich die Wiener  für eine Strauss-Produktion eine Theatermacherin aus dem ‚Reich‘ geholt. Eine Dame mit einem Brecht- und Adorno-Schaden, die mit dem späten Strauss wenig anzufangen weiß und wohl  viel lieber Mutter Courage oder den Troubadour oder Die Soldaten inszeniert hätte.

Wie kann man denn, so mögen die Vorüberlegungen zur Capriccio Inszenierung gewesen sein, im Jahre 1942 eine Oper mit einem weltfremden ästhetischen Thema schreiben. Eine Konversation über den Vorrang von Musik oder Text, eine Diskussion, die beinahe so alt ist wie die Gattung Oper selber, ein Streitgespräch über die Hierarchie der Künste, ein Plaudern über das Theater-Machen und das Metatheater, und dies alles  in den Zeiten von Auschwitz und Stalingrad.… → weiterlesen