Beziehungskiste nebst Krimi. Alcina als Soap-Opera im Theater an der Wien

Jetzt haben wir in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Inszenierung erlebt, bei der die Regie mit Händels Alcina wenig anzufangen weiß, allen Zauber zerstört und aus einer Opera seria eine Soap-opera macht.

Halten wir der Wiener Aufführung zu Gute, dass es hier nicht ganz so schlimm zugeht wie bei den Karlsruher Händel Festspielen. Dort hatte Captain Roger von der Army sich in der Luxusvilla seiner schwangeren Mätresse eine Auszeit genommen. Doch kaum hat er von seinem alten Ausbilder eine Standpauke abbekommen, da besinnt er sich auf seine militärischen Pflichten und macht zum Abschied Kleinholz aus dem Haus der Mätresse.

In Wien ist – ganz wie es das Libretto will – Schauplatz des Geschehens eine Insel, allerdings „eine wüste Insel“. Auf diesem Felseneiland blüht am Rande ein etwas mickriges Bäumchen, das in dem Maße wie es mit der Liebe und der Macht der Alcina zu Ende geht Früchte und Blätter verliert. Eine etwas sehr durchsichtige, um nicht zu sagen banale Symbolik.

Die schon im Bühnenbild angedeutete Banalisierung des Alcina Mythos wird in der Grundkonzeption der Regie überdeutlich. Theatermacherin Tatjana Gürbaca macht aus der Figur der Alcina, die doch in einer Reihe steht mit Circe und Armida, die doch eine Ikone der ‚Liebe als Passion‘, eine Chiffre für Trug und Schein, eine Symbolfigur für die Scheinwelt des Theaters ist, eine simple Kriminelle. Eine Kriminelle, die ihre abgelegten Liebhaber entsorgt und die einem Loser verfällt (bei Händel ein gewisser Ruggiero), der im Sportdress (kurze schwarze Turnhose und schwarzes Unterhemd) zwischen den Felsen herumspringt, mit den Freundinnen der Alcina Ringlein tanzt und wohl eher vom Fitnessstudio als von Alcina träumt. Degradierung oder auch banalisierende Variante eines Mythos nennt man gemeinhin eine solche Grundkonzeption und eine solche Personenkonstellation.

Im Gegensatz zur Abwertung der Protagonisten steht die  Aufwertung der Figur der Bradamante. Bradamante in der Person der Katarina Bradic ist von der Bühnenerscheinung her eine elegante ‚Amazone‘ im Outfit von heute, die, koste es, was es wolle, das entsprungene Ehegespons wieder einfangen will, die sogar noch den Loser  in Kauf nimmt. Doch als dieser zum Spießer im Outfit des 19. Jahrhunderts mutiert, da lässt sie ihn im Finale einfach stehen und macht sich davon.

Mit ‚der Liebe als Passion‘ ist es in der Ehe und außerhalb der Ehe nichts, wenn frau an einen  solchen simplen Burschen gerät wie diesen Loser Typ Ruggiero. Da haben Bradamante und Alcina  die gleichen Erfahrungen machen müssen. War dies die Message, die uns die Regie mit auf den Weg geben  wollte? Oder ist alles, was wir auf der Bühne sehen, nur leicht versteckte Parodie des Mythos, die aus einer Haltung des Spotts und der Ironie präsentiert wird? Mag sein.

Doch mäkeln wir nicht zu  sehr an der Inszenierung herum. Dem Publikum hat’s gefallen. Mag der lang anhaltende Beifall vielleicht auch mehr Musikern und Sängern als der Theatermacherin und der Bühnen- und Kostümbildnerin gegolten machen. Der Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Stefan Gottfried zelebriert einen durchweg melancholischen Händel. Und dies wohl auch zu Recht. Versinken doch gerade die schönsten Arien geradezu in Melancholie: „Sì, son quella, non più  bella“, „Mi restano le lagrime“, „Ombre pallide“. Arien, in denen Alcina (in der Person der Marlis Petersen) zu brillieren  und anzurühren weiß. Schade nur, dass die Ohrwurm Arie –„Verdi prati, selve amene“ –   die Ruggiero (in der Person des David Hansen) singt, durch einen Regiegag gestört wird. Ruggiero singt die Arie als Traumvision. Und dazu muss er sich mit Bradamante  ins Bett legen – und Alcina legt sich zu ihm und die unglücklich verliebte Morgana zu Bradamante. Ein von der Handlung her gesehen durchaus überzeugender Gag, der leider von der Musik ablenkt.

Mag unsere Theatermacherin auch von der Soap-Opera geträumt haben. Die Musik gibt das nicht her. Und wer sich auf letztere konzentriert, der erlebt im Theater an der Wien einen großen Händel Abend.

Wir besuchten die Vorstellung am 17. September, die zweite Aufführung nach der Premiere am 15. September 2018.