Von der Traumwelt zur Gutmenschen-Orgie ist es nur eine Pause. Torsten Fischer inszeniert Die Zauberflöte am Theater an der Wien

Torsten Fischer ist sicher ein großer Theatermann, ein erfahrener Theatermacher, der sein Handwerk versteht, dem wunderschöne Bilder gelingen, ein Meister der Personenführung, ein Magier des Traumtheaters. Wie schade nur, wie seltsam und leider wie abträglich seiner Kunst ist es doch, dass er sein Achtundsechziger-Trauma nicht zu sublimieren vermag und von seinem Brecht-Schaden nicht loskommt.

Wir wissen alle im Publikum, dass Die Zauberflöte recht plakativ die Freimaurer Ideologie feiert. Doch diese Feierstunde ist Regisseur Fischer nicht genug. Er muss unbedingt noch eins draufsetzen. Die Utopie der Toleranz gerät ihm dabei zum szenischen Religionsgemisch, in dem vor einer überdimensionalen Klagemauer Priester aller nur möglichen Religionen, angetan mit ihrer jeweiligen Dienstkleidung, auf Friede, Freude, Eierkuchen machen und der Darsteller des Tamino ihnen  eine Kantate vorsingt, die Liebe und Toleranz und den Schöpfer des Weltalls feiert. Der Text dieser ach so gut gemeinten Kantate, so erfährt man aus dem Programmheft, stamme von dem Hamburger Kaufmann Ziegenhagen, und Mozart habe dazu eine Klavierfassung geliefert. Mit diesem Spektakel beginnt der zweite Akt.

Mit dem ‚Hohen Lied‘ der Toleranz lässt es die Regie nicht bewenden. Zur Utopie der Toleranz kommt noch die Utopie der Emanzipation der Frauen und der Gleichberechtigung der Geschlechter.Seltsam nur, dass bei dieser Utopie  die Liebe auf der Strecke bleibt und Pamina ihren Tamino gar nicht kriegt bzw. gar nicht mehr kriegen will. Für die Regie ist sie – so Torsten Fischer im Programmheft – „im Prinzip eine Freiheitskämpferin“. Ich muss gestehen, dass sie mir in ihrer weißen Bluse und der weiten schwarzen Hose, die ihr die Ausstatter verpasst haben, eher wie eine Zeugin Jehovas vorkam. Ein Eindruck, der sich im Schlussbild noch verstärkt, wenn sie da abseits von ihrem angeblichen Geliebten steht und das Kantaten-Buch wie eine Trophäe hoch hält. Tamino präsentiert stattdessen seine Flöte. Ein Symbol der Musik, die über alles siegt? Ein Symbol der Liebe, die ja frei nach Vergil auch über alles siegen soll? Oder gibt die Regie den Postfreudianern im Publikum gleichsam augenzwinkernd ein Signal?

Der arme Tamino hat es in der Wiener Zauberflöte überhaupt schwer mit der Liebe. Die schreckliche Schlange, von  der er laut Libretto verfolgt wird, hat die Regie zwar hinweg gezaubert. Stattdessen bekommt er es mit einer ganzen Kohorte eleganter Damen, die es handfest auf ihn abgesehen haben, zu tun. Und anders als Parsifal bei den Blumenmädchen fällt Tamino bei dem Ansturm der Damen vor Schreck gleich in Ohnmacht und überlässt sich deren erotischen Spielchen. Ja, wir wissen schon: die Urangst des Mannes vor dem ‚Ewigweiblichen‘ (vulgo die Kastrationsangst). Nicht genug damit. Kaum ist Tamino aus seiner Ohnmacht erwacht, muss er sich der Zärtlichkeiten der attraktiven Königin der Nacht erwehren und sich auf ein großdimensioniertes Idealbild der Pamina einstellen.

Mag diese Message und ihre szenische Umsetzung in eine Welt von Traumbildern, die den ersten Akt bestimmen, noch amüsant sein, so ist das Finale der Wiener Zauberflöte  eher peinlich und ärgerlich: eine schrecklich abgegriffene Klamotte der ‚Willkommenskultur‘. Zur Feuerprobe rettet  Pamina einen Afrikaner vor der Selbstverbrennung. Zur Wasserprobe ist die Szene über und über mit roten Schwimmwesten bedeckt, und Pamina hält in Pietà Geste einen ertrunkenen Knaben in ihren Armen. Und ganz zum Schluss da jubeln alle: ‚Seid umschlungen Millionen‘. „Zu viel! Zu viel!“.

Man missverstehe uns nicht. Torsten Fischer ist ein brillanter Theatermacher, der vor allen in den Papageno-Szenen zum Gaudi des Publikums seine ‚Kunstfertigkeiten zu produzieren‘ weiß. Und der gesamte erste Akt mit seinen Traumsequenzen und seinen eindrucksvollen Bildern verspricht einen großen Theaterabend. Doch leider wird im zweiten Akt aus dem Theatermagier Fischer der Oberlehrer Fischer. Und der verbreitet durchweg Langeweile. Gut gemeint schafft nicht großes Theater.

Und die Musik? Wenn Maestro René Jacobs dirigiert, dann gibt es nichts zu bekritteln. Und selbstverständlich sind bei dem bekannten hohen Niveau des Hauses alle Rollen angemessen besetzt. Und natürlich ist Papageno in der Person des brillanten Sängers und  so spielfreudigen Schauspielers  Daniel Schmutzhard der Publikumsliebling. Und selbstverständlich ist der Königin der Nacht alias Nina  Minasyan mit ihrer „geläufigen Gurgel“ der Beifall des Hauses sicher.

Wir besuchten die Vorstellung am 19. September, die zweite Aufführung nach der Premiere am 17. September 2017.