Der zerschnittene Ring oder das Wiener Ringlein. „Die Ringtrilogie“ am Theater an der Wien

Wie seltsam – so der erste Eindruck – dass ein Stagione-Haus, in dem wir in den  letzten Jahren so viele herausragende Inszenierungen gesehen haben, wie seltsam, dass ein solches Haus sich an den Ring des Nibelungen wagt. Ein Mammut-Projekt, das höchste Anforderungen an den Theaterbetrieb stellt und mit dem sich auch die großen Musiktheater schwer tun.

Am Theater an der Wien ist man sich selbstverständlich all dieser Schwierigkeiten bewusst und hat sich daher zu radikalen Kürzungen entschieden, aus Wagners Tetralogie eine Trilogie gemacht und diese auf drei Abende verteilt. Eine mutige Entscheidung, der eingefleischte Wagnerianer wohl mit Skepsis begegnen, sie vielleicht sogar als Sakrileg werten.

Doch die Fassung, die das Wiener Produktionsteam – Maestro Constantin Trinks, die Regisseurin Tatjana Gürbaca und die Dramaturgin Bettina Auer – vorschlägt,  hat in ihrer Konzentration durchaus ihren Reiz. Sie arbeitet nicht nur mit Kürzungen, sondern versucht, mit Umstellungen der Szenen, mit dazu erfundenen Personen, mit Parallelsierungen von Handlungssträngen eine neue Geschichte zu erzählen – und hat damit einen gewissen Erfolg.

Das Bühnengeschehen ereignet sich nicht in mythischer Vorzeit, sondern in unserer Zeit. Ausgangspunkt ist an jedem Abend die pantomimische Darstellung der Ermordung Siegfrieds, ein Ereignis, das zugleich zur Klammer wird, die die Erzählung zusammen hält. Um diesen Kriminalfall und dessen Vorgeschichte und dessen Folgen dreht sich alles. Und dies wird aus der Perspektive Hagens, Siegfrieds und der Brünnhilde erzählt. Dass eine solche Grundkonzeption nicht immer ganz aufgehen will und dass sie  beim Zuschauer die Kenntnis des Rings voraussetzt, lassen wir auf sich beruhen.

Es beginnt gleich spektakulär. Hagen ist als Kind mit dabei, wenn sein Vater Alberich sich mit den Rheintöchtern eine Schlammschlacht liefert. Das Kind erlebt auch den  Raub des Rings und die Demütigung seines Vaters durch die  beiden Mafiosi Wotan und Loge.  – Und dies ist alles, was von Wagners Vorabend übrig bleibt. Nach der Pause springt die Regie gleich in den zweiten Akt der Götterdämmerung und konzentriert sich dabei auf Hagens Intrige gegen Siegfried.

Am zweiten Abend, der Siegfried tituliert wird, sieht dieser, als er nach seiner Herkunft fragt, erlebt dieser gleichsam in einer Vision die Geschichte seiner Eltern. Mit anderen Worten: aus der Walküre wird uns jetzt der erste Akt präsentiert. Und dieser erste Akt der Walküre ist unbestreitbar der Höhepunkt aller drei Abende, die Klimax der Wiener Trilogie. Hier singen und spielen Liene  Kinca als Sieglinde und Daniel Johansson als Siegmund  so grandios, hier musiziert das ORF Radio-Symphonie Orchester so brillant, so schön, so verführerisch, dass der berühmte Wagner-Rausch entsteht, dass die Musik gleichsam eine Sogwirkung entfacht.

Den gleichen Effekt erzielt das Orchester auch im Finale des Siegfried und auch in Siegfrieds Rheinfahrt. Es gibt sicherlich noch mehr solcher musikalischer Höhepunkte, in denen das Orchester brilliert. Doch die drei genannten sind mir ganz besonders in Erinnerung geblieben. Überhaupt gebührt bei dieser Wiener Ring-Trilogie, ohne dass damit die Leistungen der Solisten auf der Bühn  klein geredet werden sollen, der erste Preis, die Palme, dem Orchester und seinem Dirigenten Constantin Trinks. Es mag ja sein, dass in der ersten Parkettreihe  der Orchesterklang besonders wirkungsvoll ist und dass man dort ein Übermaß von der Wagnerdroge mitbekommt. Wie dem auch sei. Schön war es alle Male.

Bei der Wiener Trilogie hat es die Regie schwer. Der Kriminalfall und die unterschiedlichen Erzählperspektiven mit ihren Rückblenden halten das Ganze eben doch nur recht mühsam zusammen. So konzentriert sich die Regie auf die Ausgestaltung von Einzelszenen. Und da ist sie, vor allem wenn sie das Tragische oder auch nur das Traurige ins Komische umkippen  lässt, besonders stark. Sieglinde will den fremden Mann, der da in ihre Wohnküche eindringt, mit ihrer schnell ausgezogenen Strumpfhose  erdrosseln, und zum Abschied aus der dumpfen häuslichen Enge kippt sie dem Macho Hunding noch schnell die Suppe in die Küche. Der arme Gunther mit seinem Brillchen und der blonden Tolle ist die Karikatur eines Männleins. Zum Weltenuntergang da schließen sich die Rheintöchter, die inzwischen zu Pennerinnen mutiert sind, zusammen mit Gutrune in einem schmalen Raum ein und prosten einander zu, während ein schon halbtoter Hagen an die Tür klopft und den Ring fordert. Wotan hockt im Rollstuhl, und Brünnhilde hat sich nach ihrer großen Schlussszene irgendwie davon gemacht. Frauenpower über alles, nachdem die Männer hin sind? Komik, Parodie, Ironie? Mag das Orchester auch von Untergang und Neubeginn erzählen, auf der Bühne  enden wir in der Komödie. Und das ist auch gut so. Am Silvesterabend haben wir keine Lust auf Apokalypse. Da gibt die Intendanz Künstlern und Publikum Sekt aus. Grazie Professor Roland Geyer.

Wir besuchten die Dernière am 29. 30. und 31. Dezember 2017. Die Premiere war am 1. Dezember 2017.

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