„Was für eine furchtbare Inszenierung“. Das Capriccio der Untoten oder Ästhetik nach Stalingrad. Richard Strauss, Capriccio. Konversationsstück für Musik in einem Akt am Theater an der Wien

Zum baldigen Finale der Stagione haben sich die Wiener  für eine Strauss-Produktion eine Theatermacherin aus dem ‚Reich‘ geholt. Eine Dame mit einem Brecht- und Adorno-Schaden, die mit dem späten Strauss wenig anzufangen weiß und wohl  viel lieber Mutter Courage oder den Troubadour oder Die Soldaten inszeniert hätte.

Wie kann man denn, so mögen die Vorüberlegungen zur Capriccio Inszenierung gewesen sein, im Jahre 1942 eine Oper mit einem weltfremden ästhetischen Thema schreiben. Eine Konversation über den Vorrang von Musik oder Text, eine Diskussion, die beinahe so alt ist wie die Gattung Oper selber, ein Streitgespräch über die Hierarchie der Künste, ein Plaudern über das Theater-Machen und das Metatheater, und dies alles  in den Zeiten von Auschwitz und Stalingrad.

Das geht nicht. Das können wir nur als Geisterdiskussion über Gräbern spielen. Gesagt. Getan.  So vertreiben wir erst einmal das Streichersextett von der Bühne, mit dem das Stück beginnt und lassen das Sextett im Graben spielen. Währenddessen darf eine Frau im langen Militärmantel, vom Outfit her eine Melange aus Marketenderin, Flintenweib und Walküre, auf einem Gräberfeld unter den Gefallenen nach Bekannten suchen. Und oh Wunder des Theaters! Die Dame ist „Die Gräfin“ der Oper, und unter den Gefallenen finden sich ihre Mitspieler, „Flamand, ein Musiker“, „Olivier, ein Dichter“, „La Roche, der Theaterdirektor“. Sie stehen alle wieder auf, sind wieder Ulanen des Kaisers oder Soldaten des 18. und des 20. Jahrhunderts, setzten ihren Stahlhelm oder ihre Bärenfellmütze auf, beginnen über die Hierarchie der Künste zu räsonieren, dichten und komponieren ein Sonett, lassen eine Parodie auf die Opera seria singen, setzen eine Militärklamotte in Szene, vergewaltigen eine Tänzerin, projektieren eine Oper in der Oper,  singen allesamt einen wunderschönen Strauss, und im Finale sind sie wieder tot. Und „die Gräfin“  singt noch einmal Strauss: so melancholisch, so schön, so wundersüß.

Capriccio ein Totentanz wie es die Regie will? Oder vielleicht doch, gegen alle destruktiven Tendenzen der Regie, eine Hommage an die Musik, die keine Barbarei erledigen kann? Eine Utopie? „Musik ist heilige Kunst“ – so heißt es in der Ariadne auf Naxos. Auch  diese Oper, so erinnern wir uns, ging in einem Zeitalter der Gewalt in Szene.

„Musik ist heilige Kunst“. Wie schade, dass dieses Diktum von Hofmannsthal unserer so engagierten Theatermacherin entfallen ist. Wie schade, dass sie glaubt, uns Zuschauern mit dem Brecht-Zeigefinger drohen zu müssen. Wie schade, dass sie das dümmliche Reden eines einstigen Frankfurter Professors ernst genommen hat und sich nicht auf ihre „Kunstfertigkeiten“, eben auf das Theater-Machen konzentriert hat.

Wir sahen die Aufführung am 29. April 2016. Die Premiere war am 18. April 2016.29