Zu den diesjährigen Maifestspielen hat man in Wiesbaden für die Così fan tutte gleich zwei Weltstars verpflichtet: Julia Lezhneva als Fiordiligi und William Shimell als Don Alfonso. Keine Frage, dass beide alle Erwartungen erfüllen, dass die Lezhneva, die man schon so viele Male als Barocksängerin gehört hat, auch als Mozartsängerin brilliert und dass für die Rolle des Don Alfonso ein Sängerschauspieler wie William Shimell geradezu eine Idealbesetzung ist. Doch in Wiesbaden will man nicht ausschließlich Startheater bieten. Hier wissen auch alle anderen Solisten wie Silvia Hauer als Dorabella, Ioan Hotea und Christopher Bolduc in den Rollen der beiden naiven jungen Männer durchaus mitzuhalten. So wird die Wiesbadner Così fan tutte zu einem Fest der Stimmen, zu einem großen Mozartabend.
Inszenierung und Ausstattung halten sich ganz zurück. Mehr noch. Sie überlassen im Musiktheater der Musik den Vorrang und schaffen es trotzdem mit wenigen Mitteln und ganz auf die Personenregie konzentriert einen höchst amüsanten Theaterabend in Szene zu setzen. Uwe Eric Laufenberg und Matthias Schaller, die für die Inszenierung bzw. die Ausstattung verantwortlich zeichnen, verzichten auf die traditionelle Guckkastenbühne, heben die scharfe Trennung von Bühne und Zuschauerraum auf, machen die Bühne zum zweiten Zuschauerraum, setzen die Solisten in die erste Parkettreihe und die Solistinnen in die erste Reihe unter die Zuschauer auf der Bühne. Spielfläche ist die Passarelle um den Orchestergraben herum und die Vorderbühne, der schmale Bereich zwischen dem Publikum auf der Bühne und dem Orchestergraben. Requisiten bis auf die dramaturgisch notwendigen wie ein paar Stühle, einen Esstisch, eine Flasche Wein braucht man nicht.
Natürlich ist diese Aufhebung der Trennung von Akteuren und Publikum nicht neu. Der erfahrene Opernbesucher hat sie schon so manches Mal erlebt. Vielleicht besonders spektakulär bei Jan Bosses La Calisto in Basel. Doch diese Art des totalen Theaters, bei der der Zuschauer gleichsam in das Geschehen hineingezogen wird, Teil der Welt der Illusionen wird, die Distanz zum Geschehen verliert, ist immer wieder faszinierend. Die Passionen, die da in der Scheinwelt des Theaters ausgelebt werden und bei denen wir Zuschauer als Voyeure fungieren, ereignen sich mit einem Male gleichsam hautnah. Erzählt wird nicht mehr eine Geschichte aus dem fernen 18. Jahrhundert in Kostümen aus der Welt von Vorgestern. Die jungen Leute, die sich da unter Anleitung eines snobistischen Herrn aus den besseren Kreisen auf ein Spiel mit der Liebe einlassen und gar nicht merken, dass sie gegen sich selber spielen, sind junge Leute von heute. Sie sitzen im Parkett gleich neben uns, tragen die lässige Kleidung von heute, haben, die Mädels wie die Jungs, Spaß am Spielen, erkennen im Finale, zusammen mit den Zuschauern, dass alles doch nur ein Spiel war, ein zwar gefährliches, doch kein tragisch ausgehendes Spiel. Das Spielen mit der Liebe, das Experimentieren mit Gefühlen und Leidenschaften, so schmerzlich es auch für die Beteiligten sein mag, ist doch nur eine Komödie, die , mag sie auch schon mal das Tragische streifen, doch immer eine Komödie bleibt. Eine Buffa eben. So laufen denn am Ende, wie uns das so manch gedankenschwerer Theatermacher bei der Così fan tutte aufdrängen will, die Paare nicht frustriert auseinander, sondern nur verwirrt durcheinander. Keiner/Keine weiß mehr, wohin er/ sie denn gehört. Gefangen sind sie alle im Labyrinth der Gefühle. Und dieses Labyrinth ist ihnen nicht unangenehm. Vielleicht sogar neuer Lustgewinn.
In Wiesbaden hat Theatermacher Laufenberg eine heitere Così fan tutte inszeniert, auf totales Theater und Minimalismus gesetzt, uns mit der Türkenposse („Turchi, Polacchi“) und den üblichen billigen Maskeraden verschont, keine aufgesetzte Ideologie verkündet und erst recht keine Lektionen für junge Liebende erteilt. Ein in Szene und Musik höchst gelungener Abend. Bei nächster Gelegenheit gehe ich noch einmal hin.
Wir sahen die Aufführung am 9. Mai 2016. Die Premiere war am 1. November2015.