Die Flucht aus der Sekte. Ariodante ohne lieto fine. Eine Händel-Wiederaufnahme in Amsterdam

Die so ganz ungewöhnliche und darum nicht minder spektakuläre Variante der Ariodante / Ginevra Geschichte, die Richard Jones vorschlägt, hatten wir vor zwei Jahren schon  beim Festival in Aix-en-Provence gesehen – und waren begeistert. Und dasselbe gilt für die Wiederaufnahme der Produktion, die Ende Januar und Anfang Februar in Amsterdam zu sehen war  und in der mit Ausnahme der Rolle der Ginevra, die mit Anett Fritsch neu besetzt war, das Ensemble aus Aix-en-Provence sang und agierte. Eine Besetzung, die keine Wünsche offen lässt.

Man mag unsere Glosse unter der Rubrik „Aix-en-Provence“ nachlesen. Hier nur so viel: Richard Jones verlegt die Handlung in eine schottische Sektengemeinde von heute, die von einem tyrannischen und sexgeilen Guru beherrscht wird, in eine  klaustrophobische Welt, in der Ariodante und sein Bruder Fremde sind, in der alle Figuren sich wie Marionetten bewegen und aus der allein dem Opfer der Intrige, Ginevra, die Flucht gelingt.

Wir sahen am 3. Februar 2016, die letzte Aufführung der Wiederaufnahme.

 

„Du bist mein Bub, du bist mein Schatz!“ – und das schreibt er sich gleich ins Tagebuch. Der Rosenkavalier an De Nationale Opera Amsterdam

Einen in Orchesterklang und Gesang höchst brillanten Rosenkavalier präsentiert das Muziektheater in Amsterdam. Das Nederlands Philharmonisch Orkest unter seinem Dirigenten Marc Albrecht schwelgt geradezu in wundersüßen Klängen. Ganz anders als beim Salzburger Rosenkavalier, wo Maestro Welser-Möst mit den Wiener Philharmonikern ganz auf Melancholie setzte, sich ganz der  Melancholie hingab, setzt man in Amsterdam auf Kitsch, auf Kitsch im positiven Sinne, eben auf ein geradezu lustvolles Schwelgen im wundersüßen Klang. Und wir alle im Publikum sind begeistert, sind süchtig nach dem Rausch und Klangzauber dieser Musik, bewundern die hohe Kunst des Strauss Gesangs, wie sie  die drei Solistinnen Camilla Nylund als Marschallin, Paula Murrihy als Octavian und Hanna-Elisabeth Müller in der Rolle der Sophie in Vollendung bieten.

Mit der Brillanz des musikalischen Parts kann die Inszenierung nicht so recht mithalten. … → weiterlesen

‚Er ist, mein ich, ein Regisseur? Da wird Er sich halt gar nichts denken.‘ Eine missglückte Arabella Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein

Nun, ganz so schlimm ist es nicht. In Düsseldorf hat man sich viel Mühe gegeben. Doch bei allem Nachdenken ist Theatermacherin Gürbaca nicht sehr weit gekommen und letztlich wohl auf eine Bemerkung bei La Bruyère gestoßen: „Tout est dit […]“. Alles ist schon gesagt und das schon seit viertausend Jahren. Ja, was soll man da noch mit der Arabella anfangen.  Eine Satire auf die Macht des Geldes (vulgo Kapitalismus)? Das gab ‘s schon so viele Male und ist überdies reichlich platt. Die politischen Komponenten zur Zeit der Uraufführung herausstellen (vulgo Uraufführung 1933)? Auch dies ist nicht sonderlich originell. Eine Wiener Operette inszenieren? Das ist ziemlich flach, und auch das hat man schon gemacht. Das ganze unter Mafiosi in der Tiefgarage spielen lassen? Auch das hat man schon gemacht.… → weiterlesen

„Ertrinken – Versinken“ – in Melancholie und dazu „eine wienerische Maskerad‘ und weiter nichts“. Der Rosenkavalier in Salzburg

Ein Rosenkavalier as you like it. Ein Rosenkavalier für das Salzburger Luxuspublikum. Ein Rosenkavalier aus der Welt von Gestern.  Es alles so schön, so wunderschön, so wundersüß.

Am Pult der Stardirigent aus den  Habsburgischen Ländern, der die Melancholie bis zum Exzess auskostet, der von Erotik nichts wissen will und dem alle Walzerseligkeit zuwider ist. Im Graben die Wiener Philharmoniker, die ihren Strauss, ihren Hausgott, geradezu zelebrieren, auf der Bühne eine Starbesetzung: Krassimira Stoyanova als Marschallin, Sophie Koch als Octavian, Günther Groissböck als Ochs, Golda Schultz als Sophie. Die Szene  – nicht das fiktive Wien der Maria Theresia, sondern das prachtvolle Wien vor dem ersten Weltkrieg, das Wien der Entstehungszeit des Rosenkavaliers: die Paläste der Ringstraßen mit dem Stadtpalais der Marschallin, das Foyer des Kunsthistorischen Museums, das der Herr von Faninal für das Hochzeitsfest seiner Tochter angemietet hat, der Park und ein Beisel im Prater, all dies zaubert der Videodesigner als Bühne herbei. Ach ja, „Wien, Wien, nur du allein sollst stets die Stadt meiner Träume sein!“ Peinlich, dass einem angesichts des Salzburger Dekorationstheaters gleich dieses „Liedel“ einfällt.… → weiterlesen

Neurotiker in der Psychohölle. Claus Guth inszeniert Fidelio in Salzburg

An die schöne Mär von der aufopferungsvollen Gattenliebe und der Staatsmacht, die einem Deus ex machina gleich im gefährlichsten Moment herbei schwebt, die Guten rettet und die Bösen straft, an diese schöne Geschichte glaubt schon lange niemand mehr. So machen denn unsere Theatermacher den rettenden Minister gern zum Popanz oder zum Joker, den armen Gefangenen zum Tölpel und Leonore/Fidelio zur amazonenhaften Emanze avant la lettre.

Doch so konsequent und radikal und zugleich so intelligent und brillant wie jetzt Claus Guth in Salzburg Fidelio entstaubt und dekonstruiert, das ist schon eine sehr ungewöhnliche und originelle Deutung der betagten Beethoven Oper.… → weiterlesen

In hübschen Rokokokostümen und weiter nichts Besonderes. Le Nozze di Figaro am Staatstheater Nürnberg

Einen nicht sonderlich anspruchsvollen, um nicht zu sagen, einen recht populären Figaro präsentiert die Nürnberger Oper zum Finale der Saison. Natürlich wird nach einem  wohl durch die hochsommerlichen Temperaturen bedingten etwas müden Beginn gesungen und musiziert, wie es dem Niveau des Hauses entspricht. Doch macht  die etwas zu museale Inszenierung aus diesem Nürnberger Figaro nicht viel mehr als über weite Strecken langweiliges und nicht unbedingt durchdachtes Stadttheater.

Man muss ja nicht immer gleich aktualisieren oder gar politisieren oder wie kürzlich am Theater an der Wien den Figaro von psychisch Gestörten in einer geschlossenen Anstalt spielen lassen. Doch museales Rokokotheater, zu dem man jetzt in Nürnberg zurückkehrte, ist wohl auch nicht unbedingt die Alternative. Ich will ja nicht sagen, dass es der  Inszenierung von Mariame Clément an Einfällen und Gags mangelt – aber wohl an einer stringenten Grundkonzeption.  Da beginnt man gleich zur Ouvertüre und  im ersten Akt  mit einem Metatheater Kunstgriff, mit dem Signal: Achtung, wir spielen Theater. Alle Akteure, mögen sie nun ihren Auftritt erst im Laufe des ersten Akts oder gar erst im zweiten Akt haben, sind auf der Szene versammelt. Die Contessa liegt im Bett, der Conte spielt mit seinen Jagdgewehren, Cherubino übt schon mal seine Kanzonetta auf der (stummen) Laute, Basilio gibt Gesangstunden, Susanna hängt die Wäsche auf, Figaro quält sich mit seinen Zahlen herum, die er sich auf bunten Zetteln notiert hat, das Dienstpersonal  kocht und bügelt und arrangiert die Möbel. In dem großen Einraum Palais des Conte Almaviva geht es halt recht  geschäftig zu. Das ist alles hübsch anzusehen – und lenkt doch nur von der Musik ab.

Es fehlt, wie schon gesagt, in dieser Inszenierung nicht an Gags. Die „Voi che sapete“ Arie intoniert Cherubino ohne Orchesterbegleitung zunächst gezielt falsch, und singt sie dann auf eine stumme Bitte der Contessa hin so, wie wir sie alle kennen. Zur „Porgi Amor“ Arie will sich die Contessa mit dem Brotmesser erstechen, das ihr glücklicherweise Susanna aus der Hand nimmt. Zum Duett Conte/Susanna im dritten Akt empfängt der Graf die  Angebetete in langen weißen Unterhosen. Und im Finale da darf der Conte auf der Fragonard Schaukel Platz nehmen, und alle dürfen der Schaukel einen Stoß geben. Ein Akt der Respektlosigkeit oder gar der erste Anlauf zur Revolution? War dies die Grundkonzeption der Inszenierung? So billig und so einfach macht es sich die Regie nun doch nicht.

Die Fragonard Schaukel als erotisches Symbol konzentriert nach all dem so oft ablenkenden Aktionismus  noch einmal die Grundthematik des ganzen Stücks. Le Nozze di Figaro ist, so will es wohl die Regie im Finale signalisieren, ein in  Szene gesetzter Liebesreigen, in dem eine Vielzahl von Liebesdiskursen gleichsam durchgetanzt werden: die Galanterie, die Eifersucht, die ‚Liebe als Passion‘, die Nachsommerliebe usw. Wie schade, dass die Regie diese Grundthematik nicht stärker betont hat. Und wie schade vor allem, dass sie die Person der Susanna als Dummchen hingestellt hat, wo sie doch bei Mozart und Da Ponte die einzige Person ist, die sowohl mit der Liebe als Passion  als auch mit der Galanterie zu spielen weiß und deswegen den Conte ‚auszutricksen‘ vermag.

Wie dem auch sei. Dem Publikum und vor allem den vielen jungen Leuten, die das Haus füllten, hat es gefallen. Mir auch, wenngleich ich, mit Verlaub gesagt, ein bisschen mehr erwartet hätte.

Wir sahen die Vorstellung am 21. Juli 2015. Die Premiere war am 27. Juni 2015.