„Du bist mein Bub, du bist mein Schatz!“ – und das schreibt er sich gleich ins Tagebuch. Der Rosenkavalier an De Nationale Opera Amsterdam

Einen in Orchesterklang und Gesang höchst brillanten Rosenkavalier präsentiert das Muziektheater in Amsterdam. Das Nederlands Philharmonisch Orkest unter seinem Dirigenten Marc Albrecht schwelgt geradezu in wundersüßen Klängen. Ganz anders als beim Salzburger Rosenkavalier, wo Maestro Welser-Möst mit den Wiener Philharmonikern ganz auf Melancholie setzte, sich ganz der  Melancholie hingab, setzt man in Amsterdam auf Kitsch, auf Kitsch im positiven Sinne, eben auf ein geradezu lustvolles Schwelgen im wundersüßen Klang. Und wir alle im Publikum sind begeistert, sind süchtig nach dem Rausch und Klangzauber dieser Musik, bewundern die hohe Kunst des Strauss Gesangs, wie sie  die drei Solistinnen Camilla Nylund als Marschallin, Paula Murrihy als Octavian und Hanna-Elisabeth Müller in der Rolle der Sophie in Vollendung bieten.

Mit der Brillanz des musikalischen Parts kann die Inszenierung nicht so recht mithalten. … → weiterlesen

„Ertrinken – Versinken“ – in Melancholie und dazu „eine wienerische Maskerad‘ und weiter nichts“. Der Rosenkavalier in Salzburg

Ein Rosenkavalier as you like it. Ein Rosenkavalier für das Salzburger Luxuspublikum. Ein Rosenkavalier aus der Welt von Gestern.  Es alles so schön, so wunderschön, so wundersüß.

Am Pult der Stardirigent aus den  Habsburgischen Ländern, der die Melancholie bis zum Exzess auskostet, der von Erotik nichts wissen will und dem alle Walzerseligkeit zuwider ist. Im Graben die Wiener Philharmoniker, die ihren Strauss, ihren Hausgott, geradezu zelebrieren, auf der Bühne eine Starbesetzung: Krassimira Stoyanova als Marschallin, Sophie Koch als Octavian, Günther Groissböck als Ochs, Golda Schultz als Sophie. Die Szene  – nicht das fiktive Wien der Maria Theresia, sondern das prachtvolle Wien vor dem ersten Weltkrieg, das Wien der Entstehungszeit des Rosenkavaliers: die Paläste der Ringstraßen mit dem Stadtpalais der Marschallin, das Foyer des Kunsthistorischen Museums, das der Herr von Faninal für das Hochzeitsfest seiner Tochter angemietet hat, der Park und ein Beisel im Prater, all dies zaubert der Videodesigner als Bühne herbei. Ach ja, „Wien, Wien, nur du allein sollst stets die Stadt meiner Träume sein!“ Peinlich, dass einem angesichts des Salzburger Dekorationstheaters gleich dieses „Liedel“ einfällt.… → weiterlesen

Lustvolles Schwelgen in Melancholie – und in Komik und Parodie. Der Rosenkavalier im Teatro Real.

Lustvolles Schwelgen in Melancholie – und in Komik und Parodie. Der Rosenkavalier im Teatro Real.

In Madrid, im Teatro Real, ist jetzt im Dezember eine Rarität zu sehen und zu hören. Warum sagen wir nicht gleich: zu bewundern. Wernickes einst vor vielen Jahren in Salzburg entstandener, dann in Paris nachgespielter Rosenkavalier wird im Teatro Real noch einmal neu in Szene gesetzt. Und das gleichsam Wunderbare ist, dass die Inszenierung nicht eine Spur von Patina angesetzt hat. Gleichsam – um es mit einer Spur von vielleicht zu viel Pathos zu sagen – neu entstanden ist. Wie Wernicke die latente Melancholie, die das Libretto als Leitmotiv durchzieht, mit sanfter Ironie, mit einer Fülle von leicht verfremdeten fragmentarischen Zitaten aus Malerei, Film und Theater zu brechen weiß, das ist geradezu faszinierend. Die Marschallin in ihrem eleganten Kostüm scheint geradezu  aus einem Klimt Porträt herausgetreten zu sein, und Sophie in ihrem Brautkleid ist geradewegs einem Sissy Film entstiegen, der Baron Ochs ist eine Art Hans Moser Verschnitt, Faninal ein beflissener Diener aus einer französischen Boulevard Komödie. Und wenn Octavian im zweiten Akt im weißen Frack und weißem Zylinder auftritt und auf einer vielstufigen Treppe hereingeschoben wird, dann erinnert er an den Showmaster aus einem Musical. Und im ersten Akt, da kniet er nicht auf einem Schemel vor dem Bett der Marschallin, wie es das Libretto will, sondern hockt lässig  auf einer Chaiselongue und raucht eine Zigarette.  Nach getaner Arbeit entspannt sich der Liebhaber – parodistisches Zitat eines Klischees aus französischen Liebesfilmen. Der „kleine Neger“ ist zu einer Commedia dell’arte Figur geworden: zum Harlekin, der das Spiel eröffnet, der den Showmaster begleitet und der das Spiel beschließt. „Das war halt eine Farce und weiter nichts“? Nein, das ist es nicht. Trotz all der gebrochenen Filmzitate, trotz all der komödiantischen Einlagen (die versoffenen Lerchenauer, der halb verhungerte „Sänger“, die Rosenkavalier Erscheinungen, die den armen Ochs im dritten Akt verwirren, usw., usw.), trotz des Commedia dell’arte Signals ist das Farcenhafte nur die Oberfläche, unter der sich Melancholie und Traurigkeit, Vergänglichkeit und Tod verbergen. Das Schlussbild zeigt eine herbstliche Allee. Oder vielleicht einen weiträumigen Friedhof. Die Marschallin und Faninal fahren in Kutschen davon. Das neue Liebespaar liegt regungslos am Boden. „[…] beieinand’ für alle Zeit und Ewigkeit“. Und Harlekin legt eine rote Rose auf das Paar. Kitsch? Oder endet die Komödie vom Rosenkavalier als Variante des Mythos von der Einheit von Eros und Thanatos, als Spiel von Liebe und Tod? War es das? Vielleicht.  Keine Frage, dass ein erlesenes, höchst brillantes und noch dazu spielfreudiges  Sängerensemble (Joyce DiDonato in der Titelrolle, Franz Hawlata als Ochs, Anne Schwanewilms als Marschallin) mit zum großen Erfolg beitragen. Ganz zu schweigen von Jeffrey Tates Interpretation.  Maestro Tate, dessen Deutung des Rings, die mich  mit ihren so zurückgenommenen Tempi vor ein paar Jahren in Köln beeindruckt hat, dirigiert  jetzt in Madrid einen Rosenkavalier mit einer solchen Sanftheit, mit einem solchen Piano, mit geradezu schmerzhafter Langsamkeit, mit einem solchen Auskosten der melancholischen Gestimmtheit, dass es dem nicht sonderlich disziplinierten Publikum  vor allem im Finale des ersten und des dritten Akts im Wortverstande die Sprache verschlägt und selbst meine sonst so kühle Freundin Ariadne zu Tränen gerührt ist. Ja, ich weiß, das ist alles Wiener Kitsch par excellence. Sei’s drum. Aber ein schöner Kitsch – ein Rosenkavalier, wie man ihn selten hört und sieht. Musik und Gesang, Inszenierung und Ausstattung auf höchstem Niveau. Da gibt es einfach nichts zu kritteln, denn besser und schöner und brillanter geht es wohl nicht. Wir sahen die Premiere am 3. Dezember. Weitere Vorstellungen sind noch am 9., 11., 14., 17., 19., und 22. Dezember 2010.

„Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding.“ Ein Rosenkavalier der Vergänglichkeit in Karlsruhe

„Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding.“ Ein Rosenkavalier der Vergänglichkeit in Karlsruhe

Nach dem szenisch und wohl auch musikalisch reichlich misslungenen Samson präsentiert das Badische Staatstheater am Abend darauf den Rosenkavalier: einen sanften, zurückhaltenden oder auch, wenn man so will, einen konventionellen Rosenkavalier, der auf den ersten Blick auf allen inszenatorischen Ehrgeiz zu verzichten scheint. Will das Produktionsteam im Bühnenbild, in der Ausstattung, im Auftritt der Personen vielleicht die Dresdner Uraufführung nachstellen oder zumindest mit sanfter Ironie und vorsichtiger Parodie auf die Rezeptionsgeschichte verweisen?  – so fragt sich  zunächst die etwas irritierte Zuschauerin. Da finden sich  auf der Bühne das elegante Boudoir der Hochadligen, das protzige Palais des reichen Bürgers, das Heurigenlokal in der Vorstadt, die barocken Staatsroben, die Perücken, die Unzahl der Lakaien, der Don Juan vom Lande und sein  halbdebiles Gefolge, das schüchterne und doch zugleich zielstrebige Mädchen, der androgyne Jüngling, die schöne und noch immer sehr jugendliche große Dame. Eigentlich alles, wie man das so kennt. Und doch ist alles ein bisschen anders, und diese Variatio, diese unaufdringliche Variation des Althergebrachten  macht den Reiz der Aufführung aus. Die Zeit, die vergehende Zeit („In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie…“), ist das Grundmotiv der Inszenierung: ein schöner Einfall, eine Sichtweise ganz im Sinne eines barock verstandenen Hofmannsthal. Hat man den Vanitas Gedanken, der eben nicht nur Vergänglichkeit, sondern  auch die Lust an der Vergänglichkeit bedeutet, einmal als Grundkonzeption der Inszenierung verstanden, dann befremdet das scheinbar Historisierende nicht mehr. Die Zitate aus der Rezeptionsgeschichte, eben aus einer vergangenen Zeit, und ihre mal vorsichtigen, mal plakativen Brechungen erscheinen dann nur konsequent. Vielleicht wird die Konzeption im ersten Akt noch nicht ganz deutlich, im zweiten und vor allem im dritten Akt wird sie geradezu überdeutlich. Mag der sommerliche Heurigengarten im dritten Akt noch eher ein vorsichtiges Absetzen von der Tradition der dämmrigen Schuppen als Ort der Handlung sein, so ist der zweite Akt geradezu ein Zitatenkonglomerat aus Altem und Neuem: aus dem scheinbar so konventionellen Lever im Boudoir ist eine Holiday on Ice Show im Foyer der Semper Oper geworden, in der das neue Paar indes etwas verloren wirkt. Das Pseudoballett  der Choristen  agiert dafür umso wuchtiger (das Eislaufen hat man indes den Choristen erspart. Das haben ein paar schlanke Jünglinge aus der Statisterie übernommen). Im dritten Akt wird das Leitthema der Vergänglichkeit geradezu parodiert. Aus dem „kleinen Mohren“, der noch im ersten Akt für die Schokolade und den Transport der silbernen Rose zuständig war, ist im letzten Akt ein hoch gewachsener Farbiger im weißen Anzug geworden, ein Zuschauer, den die Maskerade amüsiert, die da vonstatten geht, ein Rosenverkäufer, der das Taschentuch aufnimmt, das Sophie aus dem Alkoven wirft und der eine rote Rose vor der Bettstatt deponiert. Kitsch pur? Natürlich. Aber ein sanfter. Und während das neue Paar sein berühmtes Schlussduett singt, entledigt sich die Marschallin  der Staatsrobe und der Perücke und steht  wie am Anfang im Negligé da – und macht sich auf die Suche nach einem neuen Liebhaber. Die vergangene Liebe macht Platz für eine neue. Ein bisschen banal. Aber warum auch nicht. Die vergehende Zeit, die ist halt „ein sonderbares Ding“. Phrasen, wie Oktavian zu Recht bemerkt (und wie sich Hofmannsthal korrigiert): „Sie spricht ja heute wie ein Pater“.

Ein schöner Abend – ganz im Gegensatz zu dem ärgerlich verlorenen gestrigen. Eben die „schöne Musik“ – detailverliebt dirigiert und mit wenigen Ausnahmen recht brillant gesungen. Wir sahen die Vorstellung am 16. Oktober 2010. Die Premiere war am 10. Juli 2010.

Im Panoptikum der Bilder und Figuren. Stefan Herheim inszeniert den Rosenkavalier in der Staatsoper Stuttgart

Wer zu Herheim geht, der weiß von vornherein, dass ihn ein großes Spektakel erwartet, dass Komponist und Librettist  nur noch die Stichwortgeber sind für die alles überbordende Phantasie eines hoch begabten Theatermachers, mit der er auch die bekanntesten Stücke des Repertoires zum Gaudi oder auch zum Entsetzen des Publikums neu erzählt. Die Kehrseite der Medaille ist, dass in Herheims Operninszenierungen Musik und Gesang Gefahr laufen, zur quantité negligeable zu werden, zum Soundtrack zu verkommen drohen. So geschah es vor ein paar Jahren in Salzburg der Entführung aus dem Serail und im vergangenen Jahr dem Lohengrin in der Staatsoper unter den Linden. Und so geschah es jetzt dem Rosenkavalier in Stuttgart. Ohne Zweifel wurde durchweg auf hohem Niveau gesungen und musiziert. Doch angesichts des großen Spektakels, das sich  da auf der Bühne ereignete,  fiel der musikalische Part nicht weiter auf. So fragte sich denn am Ende eines höchst unterhaltsamen Theaterabends  die Opernbesucherin, die sich ganz in die Rolle des Voyeurs gedrängt sah, ob da nun eine „Komödie für Musik“ geboten wurde oder ob das Ganze „halt eine Farce [war] und weiter nichts“. Ich glaube, es war weder das eine noch das andere. Was wir in Stuttgart erlebten, das war  – wie zu erwarten – ein großer Stefan Herheim Abend – und weiter nichts, ein Fest des Theaters, in dem sich barocker und akademischer Malerei des 19. Jahrhunderts entsprungene Silen und Satyrn, Rokokoporzellanfiguren, Strauss Karikaturen, Personen aus der Commedia dell’arte, Karnevalstypen aus Venedig, ein leibhaftiger Lohengrin, Kindersoldaten aus der K. und K. Monarchie, eine Madonna im Strahlenkranz und wer weiß was noch für Personal  tummelten. Wie unser Theatermacher in Berlin dem Lohengrin alles Romantische ausgetrieben hatte, so nimmt er jetzt in Stuttgart  dem Rosenkavalier alles Sentimentale und alle Süßlichkeit und setzt auch hier wie schon in Berlin auf die Karnevalisierung des Geschehens: auf Komik, Groteske und Gelächter und hin und wieder, wenn ihn die Lust am Karneval verlässt, auch auf Nachdenklichkeit und vielleicht auch auf einen Gran Betroffenheit. So wird aus der Mär von der ach so entsagungsvollen, ach so großherzigen Dame von Welt, die in konventionellen Inszenierungen die sentimentalen Kühe im Publikum schon im Finale des ersten Akts zu Tränen rührt, ein Satyrspiel um die verdrängten sexuellen Gelüste und Sehnsüchte einer etwas überreifen Dame. Und dies auch im ganz konkreten Sinne. Noch vor der Ouvertüre sieht der Zuschauer eine Marschallin, die den Spiegel zerschlägt und in einem ganz konkreten Wolkenkuckucksheim  bei dichtem Theaternebel von leibhaftigen Satyrn bedrängt wird und die ein höchst androgyner, schmächtiger Oktavian, der wie ein zu klein geratener Sankt Michael oder wie ein zu groß geratener Eros Knabe aus der Höhe herabfährt, nur mühsam vertreiben kann. Und wenn dann schließlich Marschallin und Oktavian ihr Liebespiel beginnen, dann schaut ein Satyr von einem Prospekt,  eine Art Collage aus Nymphen und Faun (so genau kann man das nicht erkennen), breit grinsend herab: und alle (Woll)lust will Ewigkeit, und das Satyrspiel geht weiter. Mit einer ganzen Horde von Satyrn schneit der Baron  Ochs auf Lerchenau  herein und wenn er dann im zweiten Akt zum Liebesspiel mit der Duenna die Perücke abnimmt, dann trägt auch er die Hörner des Satyrs. Dass der Ochs zum Satyr wird, das ist nicht unbedingt originell – das Liebestolle oder meinetwegen das Geile ist ja in der Rolle schon angelegt. Originell ist indes, wie diese Anlage in aller Deutlichkeit in Szene gesetzt wird. Wenn der Ochs von seinen Eroberungen unter den Landmädchen erzählt, („Wollt  ich könnt  sein wie Jupiter selig / in tausend Gestalten, /wär Verwendung für jede“) dann springt er auf das Bett der Marschallin und sucht diese und ihre angebliche Kammerzofe gleichzeitig  handgreiflich  zu ‚erobern’. Mögen die Lerchenauer und ihr Anführer in ihrer Rolle als Satyrn dem Fundus der Museen entsprungen sein, so reiht sich der Graf Octavian in seiner Schmächtigkeit und in seinem Rokokokostüm in die  Welt der Porzellanfiguren ein, wie sie in so mach einem Schlösschen aus galanter Zeit zu bewundern sind. Mag sein, dass er ähnlich wie die Satyrn nur in den erotischen und wollüstigen  Träumereien  der Marschallin existiert. Und Sophie? In ihrem ganzen Outfit ist sie als die Jungmädchenausgabe der Marschallin angelegt. Und jetzt könnten, wenn sie denn wollten, die alten Damen und die müden Greise im Publikum mit einem Male verstehen, was Oktavian in der Begegnung mit Sophie geschieht: er ist nicht untreu oder gar flatterhaft. Er ist verliebt in das Idealbild seiner Marschallin und glaubt es in der jungen Sophie gefunden zu haben. Ereignet sich die Begegnung des neuen Paars  in einem geradezu kammerspielartigen Ambiente, geraten die Szenen mit Ochs und seiner Entourage zum großen Karnevalsfest – vor einer nur eben angedeuteten venezianischen Kulisse. Da erscheinen die Masken, die Harlekine, der Vogel Strauss(!), und selbst die Marschallin mischt sich unter die Ausgelassenen, ja und die sonst so keusche Duenna, die „Jungfer Marianne“, mutiert zur kleinen Femme fatale, die sich an den Ochs heranmacht. Und jetzt verstehen wir im Publikum auch, dass ein von all diesem lustvollen Treiben erschöpfter Ochs, ein trunkener Silen, dem Wein und Weib zu Kopf gestiegen sind, auf dem großen Himmelbett einschläft und zum Rendez-vous mit Mariandel/Oktavian aus Schlaf und Bett gezogen werden muss und schlaftrunken, wie er ist, gar nicht mitkriegt, was ihm angetan wird. Auch im dritten Akt, der in den konventionellen Inszenierungen sich in albernen Gags und Sentimentalitäten erschöpft, weiß Herheim sein Publikum noch zu verblüffen. Da fährt die edle Marschallin als Karikatur der Jungfrau Maria im Strahlenkranz vom Bühnenhimmel herab, da versinkt das neue Traumpaar – getrennt voneinander – im Nebel in der Unterbühne, da darf der dickleibige Faninal sein abschließendes Sprüchlein – „Sein schon aso, die jungen Leut!“ – aus einer Loge im ersten Rang aufsagen, und die Marschallin antwortet ihm von der gegenüber liegenden. Ein hübscher Metatheatergag: die  scheinbar so hoch gesinnten Theaterfiguren – jetzt in Alltagskleidung  – denken und schwatzen genau so banal wie das durchschnittliche Publikum. Die Antwort gibt in einer Pantomime der Satyr: er zerbeißt und verschluckt die silberne Rose, die doch nur ein billiges Glasprodukt, Glitzerzeug, war und verendet zum Ende des Spektakels. „Alle Lust will Ewigkeit“? Nein, alle Lust ist zu Ende. In Stuttgart – um es noch einmal zu sagen – ist ein grandioser Rosenkavalier zu sehen, ein Rosenkavalier indes, bei dem der musikalische Part ganz im Schatten der Inszenierung steht, ein Rosenkavalier, bei dem Richard Strauss letztlich zur Unperson, zur Karikatur wird. Nicht von ungefähr schlägt in einer Schlüsselszene im dritten Akt ein genervter Ochs  so lange auf den Vogel Strauss ein, der da hilflos auf der Bühne herumsteht, bis dieser zusammensinkt. In Berlin hatte Theatermacher Herheim mit seinem Lohengrin den kleinen Sachsen erledigt. In Stuttgart war der kleine Bayer an der Reihe. Prima la messa in scena, e poi…?  Wir sahen die Aufführung vom 10. Januar 2010, die 9. Vorstellung nach der Premiere am 1. November 2009.

21. 02. 09 Rokoko Gespensterkomödie nebst viel Klamauk. Der Rosenkavalier in der Staatsoper unter den Linden

In München scheut sich die Intendanz nicht, ihrem Publikum noch immer eine jetzt nahezu vierzig Jahre alte Produktion anzubieten. In Berlin ist man im Vergleich dazu geradezu jugendlich frisch. Der Berliner Rosenkavalier bringt es nur auf gerade vierzehn Jahre, und die Aufführung, die wir sahen, war laut Besetzungszettel erst die „47.Vorstellung“. In den  beiden so renommierten Häusern verfährt man offensichtlich mit dem Rosenkavalier nach dem gleichen Rezept: man nehme für die Hauptrollen bekannte, herausragende Sänger, fülle den Rest mit Mitgliedern des Ensemble auf, stecke sie alle in Rokokokostüme, lasse alle spielen, wie sie wollen. Als routinierte Sängerschauspieler finden sie sich so oder so zurecht, eben ganz wie Zerbinetta und ihre Truppe. Für das Orchester ist der Rosenkavalier sowieso nur Routine. Den Strauss haben sie alle unter den unterschiedlichsten Dirigenten bis zum Überdruss gespielt. Und im Saale sitzt sowieso ein mehrheitlich touristisches Publikum, das vielleicht doch lieber den Barbier von Sevilla oder Die lustige Witwe gesehen hätte, schon weil die Stücke kürzer sind. Wie respektlos und wie lieblos in Berlin und kaum anders in München mit  der  „Komödie für Musik“ umgegangen wird, das ist geradezu ein Ärgernis.

… → weiterlesen