21. 02. 09 Rokoko Gespensterkomödie nebst viel Klamauk. Der Rosenkavalier in der Staatsoper unter den Linden

In München scheut sich die Intendanz nicht, ihrem Publikum noch immer eine jetzt nahezu vierzig Jahre alte Produktion anzubieten. In Berlin ist man im Vergleich dazu geradezu jugendlich frisch. Der Berliner Rosenkavalier bringt es nur auf gerade vierzehn Jahre, und die Aufführung, die wir sahen, war laut Besetzungszettel erst die „47.Vorstellung“. In den  beiden so renommierten Häusern verfährt man offensichtlich mit dem Rosenkavalier nach dem gleichen Rezept: man nehme für die Hauptrollen bekannte, herausragende Sänger, fülle den Rest mit Mitgliedern des Ensemble auf, stecke sie alle in Rokokokostüme, lasse alle spielen, wie sie wollen. Als routinierte Sängerschauspieler finden sie sich so oder so zurecht, eben ganz wie Zerbinetta und ihre Truppe. Für das Orchester ist der Rosenkavalier sowieso nur Routine. Den Strauss haben sie alle unter den unterschiedlichsten Dirigenten bis zum Überdruss gespielt. Und im Saale sitzt sowieso ein mehrheitlich touristisches Publikum, das vielleicht doch lieber den Barbier von Sevilla oder Die lustige Witwe gesehen hätte, schon weil die Stücke kürzer sind. Wie respektlos und wie lieblos in Berlin und kaum anders in München mit  der  „Komödie für Musik“ umgegangen wird, das ist geradezu ein Ärgernis.

Man braucht ja nicht gleich die Staatskapelle auszubuhen und vom ersten Rang hinunter „Sch.“ zu brüllen, wie das einige Frustrierte taten. Aber ein bisschen mehr Schwung, ein bisschen mehr Power, auch wenn man mit der Strausschen Erotik nur wenig anzufangen weiß, wären doch eigentlich beim Rosenkavalier vonnöten gewesen. So brav und bieder, so  – von  den wenigen glitzernden Augenblicken abgesehen  – routiniert, wie es aus dem Orchestergraben klingt, geht es auch auf der Bühne zu. Natürlich weiß das Liebespaar zu kokettieren, der Baron zu poltern, das Mariandel zu schäkern, ist die Marschallin  melancholisch und generös, der Rosenkavalier ein bisschen stürmisch, Sophie das naive und zugleich latent durchtriebene  Gänschen. Alles ganz so, wie wir uns das so vorstellen. Etwas irritiert sind wir, dass der Sänger im Rollstuhl sitzen muss, der kleine Mohr zum Liliputaner geworden ist, die Lakaien gespenstisch bleich herumschleichen, Oktavian zur Überreichung der silbernen Rose im schwarzen Mantel und schwarzem Dreispitz geradezu als Todesbote auftritt. Endzeitstimmung, Dekadenz (im negativen Sinne), Krankheit und Tod inmitten scheinbaren Glanzes?  Ist das gemeint?  Bitte, sehr geschätzte Theatermacher, Überdetermination (vulgo Holzhammermethode) schätzt das Publikum nicht sonderlich. Wir wissen, wie vermutlich auch Sie, noch aus der Schule, dass es von der Spätzeit der Maria Theresia bis zur französischen Revolution nicht mehr sehr lang ist, und wir wissen auch, dass nur wenige Jahre nach der Uraufführung des Rosenkavaliers der erste Weltkrieg begann und dass Krieg und Revolution alle  Rokoko Seligkeit verbannten.  Oder wollten Sie uns vielleicht auf die Doppelbödigkeit jeder Komödie aufmerksam machen? Aber warum setzten Sie  dann vom zweiten Akt an in den Lerchenau Szenen vor allem auf Klamauk und machen aus einer Buffa Figur, die doch auch auf den Dottore aus der Commedia dell’arte verweist, einen vulgären, altersgeilen Provinzler?  Oder ist Ihr  Baron Lerchenau vielleicht eine Art Dionysos Verschnitt, wenn er da im Finale des zweiten Akts inmitten seiner Diener, die wohl trunkene Silenen spielen,  auf seinem Ruhebett posiert und dem Wein zugetan ist? War das gemeint? Der Berliner Rosenkavalier Inszenierung mangelt es nicht an Einfällen und an schön gestellten Bildern, sondern an Stringenz und Geschlossenheit und vielleicht auch an einer Grundidee. Mit Beliebigkeit und Konventionalität, Verstaubtheit und  historisierender Patina gewinnt man sich nicht die „silberne Rose“. So bleibt – sieht man einmal von den überragenden Sängerinnen ab (Angela Denoke und Magdalena Kozená in den Hauptrollen) ein eher trister Eindruck zurück. Ein lustloser, ein abgespielter Rosenkavalier. Barenboims Musen(Museums)tempel ist halt in vielerlei Hinsicht sanierungsbedürftig.