„Ertrinken – Versinken“ – in Melancholie und dazu „eine wienerische Maskerad‘ und weiter nichts“. Der Rosenkavalier in Salzburg

Ein Rosenkavalier as you like it. Ein Rosenkavalier für das Salzburger Luxuspublikum. Ein Rosenkavalier aus der Welt von Gestern.  Es alles so schön, so wunderschön, so wundersüß.

Am Pult der Stardirigent aus den  Habsburgischen Ländern, der die Melancholie bis zum Exzess auskostet, der von Erotik nichts wissen will und dem alle Walzerseligkeit zuwider ist. Im Graben die Wiener Philharmoniker, die ihren Strauss, ihren Hausgott, geradezu zelebrieren, auf der Bühne eine Starbesetzung: Krassimira Stoyanova als Marschallin, Sophie Koch als Octavian, Günther Groissböck als Ochs, Golda Schultz als Sophie. Die Szene  – nicht das fiktive Wien der Maria Theresia, sondern das prachtvolle Wien vor dem ersten Weltkrieg, das Wien der Entstehungszeit des Rosenkavaliers: die Paläste der Ringstraßen mit dem Stadtpalais der Marschallin, das Foyer des Kunsthistorischen Museums, das der Herr von Faninal für das Hochzeitsfest seiner Tochter angemietet hat, der Park und ein Beisel im Prater, all dies zaubert der Videodesigner als Bühne herbei. Ach ja, „Wien, Wien, nur du allein sollst stets die Stadt meiner Träume sein!“ Peinlich, dass einem angesichts des Salzburger Dekorationstheaters gleich dieses „Liedel“ einfällt.

Alles ist so schön, so wunderschön, so wundersüß. Nichts ist von des Gedankens Blässe angekränkelt.  Da schaut die reife Dame, die Marschallin, schon in der ersten Szene in den großen Spiegel, kultiviert gleich von Anfang an ihre narzisstische  Lust am melancholischen Leiden, und  ganz wie es Musik und Libretto wollen, steigert sie sich immer mehr  in  diese lustvoll genossene  Gestimmtheit  hinein. In der Schlussszene des ersten Akts da braucht sie schon gar keinen Spiegel mehr. Da schaut sie nur noch verloren in den Nebel des herbstlichen Parks – und die Musik vergeht im Pianissimo. „Zu viel! Zu viel!“ Musik und Szene balancieren hart an der Grenze zum Kitsch und zur Sentimentalität. Das Identifikationsangebot an die reifen Damen im Publikum ist nun doch zu deutlich.

Die Regie (Harry Kupfer) ist sich offensichtlich dieser Gefahr bewusst und setzt mit den  lebensfrohen Auftritten des Ochs gezielt einen starken Kontrast zum sonst so dominanten leidvoll, lustvollen Seelenschmerz. Dieser Ochs, gewöhnlich die Paraderolle für ältere Herren im dritten Frühling, die mit ihrer scheinbaren Potenz protzen wollen,   dieser Baron Ochs ist in Salzburg ein eleganter junger Mann ( Günther Groissböck), dem die ob solcher Geschichten etwas pikierte Marschallin die galanten Abenteuer, derer er sich rühmt, abnimmt und der in seinem Selbstbewusstsein gar nicht damit rechnen kann, dass er das Opfer einer Intrige, die ein verliebter junger Mann gegen ihn anzettelt, werden könnte. Mit welcher Dynamik, mit welch mächtiger Stimme und welch überragender Bühnenpräsenz Groissböck den Ochs singt und mimt, das ist einfach grandios. Mit seinen Auftritten wird  Der Rosenkavalier wirklich zur „Komödie für Musik“.

Zu diesem Salzburger Rosenkavalier, der im vergangenen Jahr Premiere feierte und der bei den diesjährigen Festspielen wiederaufgenommen wurde, gibt es sonst nicht viel zu sagen. Von Regie und Szene erwartet man eigentlich ein bisschen mehr als grundsolides, handwerkliches Dekorationstheater zu einer ausgefeilten Personenregie in einem historisierenden Ambiente. Es bleibt halt letztlich alles so schrecklich konventionell – trotz der so schönen Bilder, trotz des  großen Aufgebots an Starsängern, trotz der berühmten Musiker, trotz des so verdienstvollen Theatermachers .“Allein was tut’s“.

Wer  ein geradezu barockes Fest des Musiktheaters erleben will, der darf eben nicht nach Salzburg fahren. Der sollte zu Stefan Herheims Stuttgarter Rosenkavalier fahren. Und wer es mehr intellektuell mag und eine ungewöhnliche Deutung bevorzugt, der sollte  sich  Claus Guths Frankfurter Zauberberg Rosenkavalier ansehen.

In Salzburg da ist der Rosenkavalier vor allem wundersüß und teuer. Zum Ausgleich  gibt es dafür auch zwei Bühnen. Die Bühne im Festspielhaus und die Bühne vor dem Festspielhaus, und auf letzterer darf sich jedermann in Szene setzen. Die Banker wie die Bettler. Ein schöner hochsommerlicher Abend in Salzburg.  Wir sahen  die Aufführung am 28. August 2015.