Man kann aufatmen. Auch Deutschland hat endlich einen poeta philosophus, der sich berufen fühlt, ein Weltenpoem zu schreiben, zu singen vom Abstieg in die Unterwelt und vom Aufflug in die Himmel, zu fabulieren von der Menschheit, die sich aus dem Elend befreit, hin zur irdischen Glückseligkeit („ad felicitatem“), der zu erzählen weiß vom Ewigweiblichen. Italien hatte zwar schon vor 700 Jahren einen bis heute hin berühmten poeta philosophus, der mit philosophischen und politischen Traktaten und vor allem mit einem viele Tausend Verse umfassenden Poem Aufsehen erregte. Aber, mein Gott, was soll‘s. Wir sind nur Nachgeborene. Wir haben halt unseren Philosophen aus Karlsruhe, den es unter die Dichter, sprich: Librettisten verschlagen hat. ‚Ein Zwerg auf den Schultern von Riesen‘, der gern mehr als diese sehen möchte. Doch kaum mehr als zu blinzeln vermag. Sein Werk nennt sich nicht einfach Commedia wie das des illustren Florentiners, sondern, wohl ob der Schauder erregenden Assoziationen, Babylon. Und da unser Zwerg im Nebenberuf auch noch ein deutscher Professor ist, schreibt er natürlich ein Professorenlibretto. … → weiterlesen
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„Das Wasser, dieses erstgeborene Kind luftiger Verschmelzungen, kann seinen wollüstigen Ursprung nicht verleugnen[ …]“ Andreas Kriegenburg inszeniert Das Rheingold an der Bayerischen Staatsoper
Beim neuen Münchner Ring ist alles vom Allerfeinsten. Generalmusikdirektor Nagano am Pult, ein brillantes Staatsorchester im Graben, ein berühmter Theatermacher als Regisseur, Sänger der ersten Garnitur, ein begeistertes Publikum. Und doch bleibt ein zwiespältiger Eindruck, ein fader Geschmack. Man traut sich gar nicht, es zu sagen. Kritik an der Bayerischen Staatsoper, und erst recht, wenn mit Wagner einer der Hausgötter auf dem Programm steht, ist in München verpönt. Die Dilettantin, die niemandem verpflichtet ist, die im Publikum sitzt, ihre Eintrittskarte selber bezahlt, hält mit ihrer Meinung nicht zurück. Sie hat in den letzten Jahren in unterschiedlichsten Häusern, in großen und kleinen, Das Rheingold gehört und gesehen. Doch München gebührt die Krone: ich habe mich zum ersten Mal beim Rheingold gelangweilt. … → weiterlesen
Die Holiday on Ice Show im Land des Röchelns oder Eisprinzessin Turandot in der Bayerischen Staatsoper

Nein, selber Schlittschuh gelaufen ist sie nicht, und Turnübungen am hohen Trapez hat sie auch nicht gemacht, die von Seelenpein und Körperschwere und Freud Komplexen belastete grausame Prinzessin Turandot. Das Eis-Laufen haben langbeinige Statistinnen und das Hangeln am Trapez hat die hauseigene Turnergruppe für sie besorgt. Für die Prinzessin steht ein offener Fahrstuhl bereit, mit dem sie, ausstaffiert wie ein Kleiderständer, in Begleitung ihrer etwas weniger bekleideten Hofdamen vom Himmel herabschwebt (oder kam sie aus einer mehrfarbigen dreidimensionalen Lichtwolke?) und dem breitschultrigen fremden Prinzen ihre Rätsel aufgibt. Und herumstehen und herumliegen die vielen Chinesen (nein, nicht in Mao Anzügen, sondern in aufwendig geschnittenen bunten Trachten) als fernöstliche Scherenschnitt- Märchenfiguren. Glatzköpfige groteske Minister als Buddha-Mönche kostümiert treiben ihren Schabernack. Der Kaiser sitzt auf einem Thron, des Prinzen Papa mit langem Bart à la chinoise und in einem Holzkarren sitzend ist auch dabei (Rollstühle gab es damals noch nicht), und die gute Liù (Papas persönliche Altenpflegerin als Geisha gewandet ) steht auch herum (zur Erinnerung: Liù darf zwei der Highlights singen, einmal von der Rampe und einmal aus dem Fahrstuhl – beides macht sie recht brillant – und sich für den Prinzen opfern). Nur die Polizei ist nach dem Vorbild der deutschen Bundespolizei modern ausgerüstet. Eine in sich konsequente Entscheidung des Kostümbildners. Die Prinzessin mit ihrem zum Totschlagsyndrom sublimierten Kastrationskomplex braucht halt eine starke Schutztruppe. Nach der zweiten Pause schmettert der Prinz auf leerer Bühne direkt von der Rampe aus sein berühmtes „Nessun dorma“ drohend ins Publikum. Und ich hab‘ mich nicht getraut einzuschlafen, obwohl mir danach zu Mute war. Wir waren ja auch sowieso damit beschäftigt, immer wieder im Dunklen nach den Drei-D -Brillen zu suchen, die uns die Intendanz kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, damit wir das Spektakel auch dreidimensional genießen konnten.
Wer ein solch aufwendiges, kostspieliges buntes Opernspektakel mag, wie es in München Carlus Padrissa von der berühmt berüchtigten La Fura dels Baus Truppe inszeniert, wer den zuckrigen Puccini Sound liebt, der sollte zur Münchner Turandot gehen. Er kommt dort auf seine Kosten – und das bei den hohen Eintrittspreisen auch im ganz konkreten Sinne. Ich fand es nur schrecklich und frage mich, ob die Musik des späten, todkranken Puccini wirklich so dünn ist, ob sie trotz der zwei oder drei Highlights so wenig hergibt, dass man sie mit einer aufwendigen Licht- und Video Show und einem großen Zirkusspektakel überblenden und tot schlagen muss und ob man noch dazu das handlungsarme Stück mit zwei langen Pausen auseinander reißen muss, um auf einen knapp dreistündigen Opernabend zu kommen. „Allein, was tut’s“. Das Haus war ausverkauft, ein begeistertes Publikum feierte seinen einstigen Generalmusikdirektor, der an diesem Abend am Pult stand, begeistert, noch bevor er überhaupt den Taktstock hob, raschelte insbesondere bei den Piano Stellen mit seinen Drei -D- Brillen, beklatschte die Sänger, obwohl es so viel gar nicht zu beklatschen gab und zog beglückt und zufrieden nach Hause. Welch schöner bunter Opernabend in der Bayerischen Staatsoper. Der Kritiker von der FAZ, der sich unfreundlich über die Münchner Turandot geäußert habe, sei doch nur „ein frustrierter Mensch“ – so wusste ein Herr im Smoking im Foyer lautstark seiner Begleiterin zu berichten. Auch ich bin an diesem Abend frustriert aus der Münchner Oper gegangen. Ein Glück, dass wir wenigstens im „Blauen Haus“ noch einen Platz gefunden haben. Die Pasta war wie immer ausgezeichnet.
Wir sahen die Vorstellung am 10. Dezember 2011. Die Premiere war am 3. Dezember 2011.
Tenor Popstar und Sopran Diva im edlen Sängerstreite. Les Contes de Hoffmann an der Bayerischen Staatsoper
Bei Hoffmanns Erzählungen, das notierte ich mir, als wir vor ein paar Wochen die Essener Hoffmann Inszenierung sahen, da ist es gleich, wer dirigiert und wer inszeniert. Was für das Aalto Musiktheater gilt, das gilt nicht minder für die Bayerische Staatsoper: bei Hoffmanns Erzählungen ist das Haus immer voll. Wenn man für die Rolle des Trunkenbolds und Literaten Hoffmann noch einen lyrischen Tenor hat, dem das Dramatische nicht fremd ist und wenn man des weiteren eine Sopranistin hat, die die scheinbar mechanischen Koloraturen der Olympia und das lyrisch-sentimentale Singen der Antonia in gleicher Weise beherrscht und überdies noch eine etwas verruchte Kurtisane Giulietta mimen kann und wenn die Intendanz, wie jetzt in München geschehen, mit Rolando Villazón und Diana Damrau auch gleich zwei Superstars für die Hauptrollen engagieren kann, dann sind nicht nur alle Vorstellungen ausverkauft. Dann stehen noch viele Interessierte im Portikus des Bayerischen Musentempels und schauen vergeblich nach Karten aus.… → weiterlesen
Belcanto mit Modenschau. I Capuleti e i Montecchi an der Bayerischen Staatsoper
Belcanto mit Modenschau. I Capuleti e i Montecchi an der Bayerischen Staatsoper
Für Bellinis Belcanto Opern braucht man eigentlich nur zwei oder drei herausragende brillante Sänger. Und dann kann schon nichts mehr schief gehen. Bei Bellinis reduzierter Variante des Romeo und Julia Mythos tun es sogar zwei: eine Mezzosopranistin, die sich auf lyrisches und zugleich dramatisches Singen versteht, für die Partie des Romeo und ein sanfter lyrischer Sopran für die Rolle der Julia. In München gehören solch herausragende Sängerinnen, wie sie Bellini verlangt, zum Ensemble. Ideale Voraussetzungen für einen großen Belcanto Abend. Und diesen bot auch die Münchner Oper – und zugleich präsentierte sie (nein, nicht im Zuschauerraum, sondern auf der Bühne) eine Haute Couture Show. Modeschöpfer Christian Lacroix – im Nebenberuf auch für die Bühne tätig – , der sich bei dem grauschwarzen Biedermeierdress, den er den Herren zugesteht, noch in Zurückhaltung übt, schwelgt bei den Damen geradezu in Farben und teuren Stoffen, kleidet die Choristinnen in verschwenderisch prachtvolle bunte Abendroben und lässt sie zu Beginn des zweiten Akts auch noch einzeln wie die Mannequins über eine große Treppe schreiten – zur Freude der modebewussten Damen im Publikum. Die arme Giulietta hingegen staffiert er zum naiven Rauschgoldengelchen aus, das bei seiner Romanze im ersten Akt zur Abkühlung des Liebesfeuers auf ein Waschbecken klettern muss („Un refrigerio ai venti / io chiedo invano“) und das zu Beginn des zweiten Akts mit seinen nackten Beinchen ganz einsam auf der Vorderbühne steht und so rührend schön und traurig singt, dass sogar der unruhige Jungmann, der vor mir saß und dem es bei der Romeo und Julia Geschichte wohl unbehaglich wurde, einen Augenblick der Ruhe fand. Zum Inszenierungskonzept, wenn es denn eines gab, ist nicht viel zu sagen. ‚Liebe als Passion’ in einer vollkommen abgeschlossenen Biedermeierwelt, aus der es keinen Ausweg gibt und die zwangsläufig im romantischen Liebestod enden muss, in einem verklärenden Liebestod, fern aller ‚Realität’, fern von jeglichem zuckrigen Pathos. War es das? ‚Allein was tut’s’. Bei Bellini und seinem Belcanto sind Dekor, Kostüme und Regie letztlich doch nur eine quantité negligeable, wenn nur ‚schön’ gesungen wird. Und ‚schön’ gesungen wurde allemal. Wir sahen die Aufführung am 30. März, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 27. März 2011.
Nachtrag vom 9. April. Ich war heute Abend noch einmal bei Romeo und Giulietta – und war begeistert. Das Münchner Liebespaar, zwei schmächtige junge Sängerinnen (Tara Erraught und Eri Nakamura), singt so überragend ‚schön’, spielt den narzisstischen Liebeswahn so rührend schön, wirkt auch in seinem Outfit so rührend naiv, dass das Publikum geradezu verzaubert ist. Und auch die Inszenierung gewinnt beim zweiten Sehn. Sie setzt – anders als es der erste Eindruck nahe legt – auf eine konsequente Ästhetisierung und geradezu manieristische Stilisierung von Geschehen und Ambiente, transponiert die Handlung in eine unbestimmte Biedermeierwelt, verzichtet zu Gunsten von Tableaux Vivants auf jeglichen Bezug auf eine wie auch immer geartete ‚Realität’. In Schönheit lieben und sterben – vielleicht ist dies das Motto der Münchner Bel Canto Inszenierung. Kitsch? In jedem Fall ein schöner Kitsch
Mythen aus dem verkommenen Österreich. Martin Kusej inszeniert Rusalka an der Bayerischen Staatsoper
In Salzburg hatte Jossi Wieler vor ein paar Jahren Dvoráks Variante des Undine Mythos als Antimärchen mit einer Prise Gesellschaftskritik und einem Bonbon Feminismus (entsprungene Liebhaber werden im Gully entsorgt) in Szene gesetzt. In Graz (und in Brüssel) wollte Stefan Herheim von Märchenzauber und Antimärchen Tristesse nichts wissen und hatte Rusalka als großes Karnevalsspektakel im Irma la Douce Ambiente inszeniert, in dem der „Wassermann“ zum frustrierten Kleinbürger mutiert und als Jack the Ripper endet und Rusalka, die kleine Dirne mit der großen Sehnsucht, im ewigen Kreislauf gleich wieder auf die Prinzenjagd geschickt wird. Und jetzt in München: da wird dem einstigen „lyrischen Märchen“ aller Märchenzauber radikal ausgetrieben. Auch vom Antimärchen ist nichts mehr übrig geblieben und von Komik und Karneval nur noch die böse Groteske. Man muss wohl wie das Münchner Produktionsteam aus der tiefsten österreichischen Provinz stammen und dazu seinen Thomas Bernhard kennen, um aus dem Rusalka Märchen eine so bitterböse Österreich Satire zu machen, um die schlimmsten Mythen aus dem heutigen Habsburgerland dem romantischen Undine Mythos überzustülpen: die Kampusch Erzählungen von Gefangenschaft und Flucht aus den Kellerverliesen eines Unterschichtenmacho, die Amstettener Inzest Geschichten von den im Heizungskeller gefangenen und missbrauchten Mädchen, die Geschichten von den Schönen und Mächtigen, die sich hübsche Gespielinnen aus der Unterschicht halten und diese, wenn sie unbequem werden und bei neuen Affären stören, von sich stoßen. Kinderschänder sind sie alle, die da auf der Bühne versammelt sind: der elegante „Prinz“, der sich die Gespielin vom Jagdausflug mitbringt und der in Maske, Kostüm und Auftreten an die Schönsten (oder vielleicht auch gerade an den Schönsten) unter Österreichs Politikern und Bankern erinnert, der proletarische „Wassermann“ in Unterhemd, Jogginghose und Bademantel, der gerade vom Aldi heimkommt und Schokolade an die Mädchen in seinem Heizungskeller verteilt – Herr Wassermann: eine Kreuzung aus Amstettener Inzestpapa und Kampusch Quäler, die Kupplerin von „Hexe“, die sich in der Bergsee Idylle im Sessel rekelt, der scheinbar biedere „Förster“, der nach seiner kleinen Nichte, dem „Küchenjungen“, grapscht. Und wer vielleicht nicht zu den Kinderschändern gehört wie die Spaßgesellschaft im Hause des „Prinzen“, der ist verblödet, voyeuristisch, gierig, neidisch – nicht dekadent, einfach nur verkommen und pervers – und Tierquäler dazu. Zum Tanz hält die Spaßgesellschaft ausgeweidete Rehe in den Armen und besudelt sich mit deren Blut. (Die Symbolik mit ihrem Hinweis auf das Geschick der Gespielin des „Prinzen“ ist überdeutlich). Die einzige Szene, die ein vielstimmiges Buh im Publikum provoziert – ein entlarvendes Buh: Kinderschänder auf der Bühne nehmen wir Gutmenschen hin. Tierquälerei nicht. Man mag wie manch biederer Abonnent, der sich auf ein vorweihnachtliches Märchenspiel gefreut hatte, die Regiekonzeption für abwegig halten. Doch in ihrer Kohärenz und Konsequenz, in ihrer Bildersprache und ihrer Bildsymbolik ist sie geradezu bewundernswert. Vielleicht, wenn man so will, hin und wieder etwas zu plakativ. Zur Ouvertüre öffnet sich der Vorhang vor der Bilderbuchkulisse des heilen Österreichs mit seinen Wäldern, Wiesen und Seen, seinem heiteren Himmel. Und dann kommt langsam die Unterbühne hoch: der Heizungskeller mit den misshandelten und gefangenen Mädchen (zur Erinnerung: bei Dvorák sind es die „Waldnymphen“). Und jetzt hat wohl auch der Unbedarfteste unter den Zuschauern die Regiekonzeption verstanden: unter der heilen Welt des idyllischen Habsburgerlandes lauert das Grauen, ein Grauen, das nicht am Ende zum erlösenden romantischen Todeskuss führt, sondern geradewegs ins Irrenhaus, letzter Ort für die von der Polizei aus den Verliesen befreiten Mädchen, der Ort, in dem eine irre gewordene Rusalka ihren vom Wahn infizierten „Prinzen“ absticht. Und zu all dem Grauen erklingt aus dem Orchestergraben eine vollendet schöne, sublime spätromantische Zaubermusik. Und damit sind wir wieder einmal bei der romantischen Ästhetik, für die der Theatermacher Kusej schon so lange ein Faible hat. Das Sublime und das Groteske, das heißt: das Schöne und das Edle auf der einen Seite und das Monströse und das Schaurige, dem das Buffoneske nicht fern ist, auf der anderen Seite, sie gehörten zusammen und aus ihrem Kontrast entstünde großes Theater – so hat vor bald zweihundert Jahren Victor Hugo argumentiert. Theatermacher Kusej folgt diesem bewährten Rezept. Für das Sublime waren bei ihm in Salzburg und in Zürich Mozart, Schumann und Maestro Harnoncourt zuständig. In München waren es Dvorák und Maestro Tomás Hanus und ein brillantes Sängerensemble, die für das Sublime sorgten. Für die Groteske auf hohem Niveau sorgten Kusej und sein Team. Und aus dem Kontrast und dem Ineinanderübergehen beider ästhetischer Prinzipien entstand in München ein großer Opernabend. Nach so manch ärgerlichem Flop, nach so manch peinlicher Repertoireaufführung hat die Bayerische Staatsoper mit der Rusalka wieder eine Produktion der allerersten Kategorie auf ihrem Spielplan. Wir sahen die Vorstellung am 4. November 2010.