Frühlingserwachen oder der Albtraum vom Märchenprinzen. Nadja Loschky inszeniert Rusalka an der Oper Köln

Die Oper köln ist noch immer heimatlos, noch immer spielt man im Staatenhaus, im Kölnrer Meesegelände, in einer Art Ausstellungshalle, ein Provisorium, wo das Orchester seitlich von der Spielfläche postiert ist, wo auf Theatermaschinen und aufwendige Ausstattungen verzichtet werden muss. Und trotz all dieser und wohl auch noch vieler anderer Einschränkungen gelingen der Kölner Oper immer wieder herausragende Produktionen – wie auch jetzt mit der Rusalka.

Die Rusalka, wie sie Theatermacherin Loschky versteht ist keine Undine, der Wassermann iist kein Gespenst aus der Tiefe, und der Prinz ist kein Märchenprinz. Rusalka ist Spielkind, Opfer eines Kinderschänders im Priestergewand, und zugleich ist sie Opfer ihrer Jungmädchen-Sehnsüchte, die, als der Priester oder Guru sie freigibt, in der Party-Gesellschaft, in die sie gelangt ist, nicht zurecht kommt. Genauer gesagt: sie kommt dort mit ihrer erwachenden Sexualität nicht zurecht. Oder vornehm ausgedrücht: sie verwechselt Galanterie und ‚Liebe als Passion‘ – und die Folgen sind fatal. Die Rusalka ist eben kein Märchen, sondern ein Antimärchen. Und hier in Köln ist sie eine Jungmädchen-Tragödie.

Eine ungewöhnliche und doch überzeugende aktualisierende Variante des Undine-Mythos, die vor allem deswegen gelingt, weil Olesya Golovneva in der Titelrolle von Stimme und Bühnenerscheinung her geradezu eine Idealbesetzung für die Rusalka ist. Wie die Golovneva das suchene, verliebte, verstörte und verzweifelte junge Mädchen singt und spielt, das ist einfach grandios. Besser und überzeugender und, sagen wir auch, berührender geht es nicht. Natürlich sind auch die anderen tragenden Rolle hervorragend besetzt: Mirko Roschkowski als Prinz, Samuel Youn als Wassermann. Doch an diesem Abend war Olesya Golovneva der Star.

Wir besuchten die Aufführung am 13. März 2019. Die Premiere war am 10. März 2019.

 

 

 

 

 

Bettgeflüster mit Rusalka – ein Traumspiel mit Filmzitaten. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung an der Bastille Oper

Der Undine Mythos – hier im konkreten Fall die Rusalka – ist offensichtlich eine Herausforderung für unsere Theatermacher. In Salzburg hatte vor ein paar Jahren Jossi Wieler eine spät-postmoderne Variante gewählt und damit für jeden im Publikum etwas parat: das Kindermärchen für Erwachsene im ersten Akt, die wohlfeile Gesellschaftskritik  im zweiten, das  Luxusbordell im  dritten Akt und das Zitat aus einem Gangsterfilm im Finale. Stefan Herheim erzählt in Brüssel und Graz den Undine Mythos in einem grandiosen Karnevalsspektakel als Wassermanns Nightmare und macht Rusalka zu einer Art Irma La Douce, zur kleinen Hure, die inmitten einer grotesken Welt von der großen Liebe träumt. Und wo sind wir in Zürich? Da sind wir bei den Reichen und Schönen von der Zürcher Goldküste, die sich in ihre Villa mit Blick auf die Stadt zur Unterhaltung – ein extravaganter Einfall des jungen Hausherrn – ein stummes Blumenmädchen eingeladen haben. Leider erweist sich das kleine Blumenmädchen als eine femme fatale, die den schönen jungen Mann um Verstand und Leben bringt, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht so will. Und in München da hat Theatermacher Kusej mit seiner Rusalka sogar einen kleinen Skandal provoziert, als er Rusalka als Kinderschänder- und Spaßgesellschafts-Groteske aus einem verkommenen Österreich inszenierte.… → weiterlesen

Mythen aus dem verkommenen Österreich. Martin Kusej inszeniert Rusalka an der Bayerischen Staatsoper

In Salzburg hatte Jossi Wieler vor ein paar Jahren Dvoráks Variante des Undine Mythos als Antimärchen mit einer Prise Gesellschaftskritik und einem Bonbon Feminismus (entsprungene Liebhaber werden im Gully entsorgt) in Szene gesetzt. In Graz (und in Brüssel) wollte Stefan Herheim von Märchenzauber und Antimärchen Tristesse nichts wissen und hatte  Rusalka als großes Karnevalsspektakel im Irma la Douce Ambiente inszeniert, in dem der „Wassermann“ zum frustrierten Kleinbürger mutiert und als Jack the Ripper endet und Rusalka, die kleine Dirne mit der großen Sehnsucht, im ewigen Kreislauf  gleich wieder auf die Prinzenjagd geschickt wird. Und jetzt in München: da wird dem einstigen „lyrischen Märchen“ aller Märchenzauber radikal ausgetrieben. Auch vom Antimärchen ist nichts mehr übrig geblieben und von Komik und Karneval nur noch die böse Groteske. Man muss wohl wie das Münchner Produktionsteam aus der  tiefsten österreichischen Provinz stammen und dazu seinen Thomas Bernhard kennen, um aus dem Rusalka Märchen  eine so bitterböse Österreich Satire zu machen, um die schlimmsten Mythen aus dem heutigen Habsburgerland dem romantischen Undine Mythos überzustülpen: die Kampusch Erzählungen von Gefangenschaft und Flucht aus den Kellerverliesen eines Unterschichtenmacho, die Amstettener  Inzest Geschichten von den im Heizungskeller gefangenen und missbrauchten Mädchen, die Geschichten von den Schönen und Mächtigen, die sich hübsche Gespielinnen aus der Unterschicht halten und diese, wenn sie unbequem werden und bei neuen Affären stören, von sich stoßen. Kinderschänder sind sie alle, die da auf der Bühne versammelt sind: der elegante „Prinz“, der sich die Gespielin vom Jagdausflug mitbringt und der in Maske, Kostüm und Auftreten an die Schönsten (oder vielleicht auch gerade an den Schönsten) unter Österreichs Politikern und Bankern erinnert, der proletarische „Wassermann“ in Unterhemd, Jogginghose und Bademantel, der gerade vom Aldi heimkommt und Schokolade  an die Mädchen in seinem Heizungskeller verteilt – Herr Wassermann: eine Kreuzung aus Amstettener  Inzestpapa und Kampusch Quäler, die Kupplerin von „Hexe“, die sich in der Bergsee Idylle im Sessel rekelt, der  scheinbar biedere „Förster“, der nach seiner kleinen Nichte, dem „Küchenjungen“, grapscht. Und wer vielleicht nicht zu den Kinderschändern gehört wie die Spaßgesellschaft im Hause des „Prinzen“, der ist verblödet, voyeuristisch, gierig, neidisch – nicht dekadent, einfach nur verkommen und pervers – und Tierquäler dazu. Zum Tanz hält die Spaßgesellschaft ausgeweidete Rehe in den Armen und besudelt sich mit deren Blut. (Die Symbolik mit ihrem Hinweis auf das Geschick der Gespielin des „Prinzen“ ist überdeutlich).  Die einzige Szene, die ein vielstimmiges Buh im Publikum provoziert – ein entlarvendes Buh: Kinderschänder  auf der Bühne nehmen wir Gutmenschen hin. Tierquälerei nicht. Man mag wie manch biederer Abonnent, der sich auf ein vorweihnachtliches Märchenspiel gefreut hatte, die Regiekonzeption für abwegig halten. Doch in ihrer Kohärenz und Konsequenz, in ihrer Bildersprache und ihrer Bildsymbolik ist sie geradezu bewundernswert. Vielleicht, wenn man so will, hin und wieder etwas zu plakativ.  Zur Ouvertüre öffnet sich der Vorhang vor der Bilderbuchkulisse des heilen Österreichs mit seinen Wäldern, Wiesen und Seen, seinem heiteren Himmel. Und dann kommt langsam die Unterbühne hoch: der Heizungskeller mit den misshandelten und gefangenen Mädchen (zur Erinnerung: bei Dvorák sind es die „Waldnymphen“). Und jetzt hat wohl auch der Unbedarfteste unter den Zuschauern die Regiekonzeption  verstanden:  unter der heilen Welt des idyllischen Habsburgerlandes lauert das Grauen, ein Grauen, das nicht  am Ende zum erlösenden romantischen Todeskuss führt, sondern geradewegs ins Irrenhaus, letzter Ort für die von der Polizei aus den Verliesen befreiten Mädchen, der Ort, in dem eine irre gewordene Rusalka ihren vom Wahn infizierten „Prinzen“ absticht. Und zu all dem Grauen erklingt aus dem Orchestergraben eine vollendet schöne, sublime spätromantische Zaubermusik. Und damit sind wir wieder einmal bei der romantischen Ästhetik, für die der Theatermacher Kusej schon so lange ein Faible hat. Das Sublime und das Groteske, das heißt: das Schöne und das Edle auf der einen Seite und das Monströse und das Schaurige, dem das Buffoneske nicht fern ist, auf der anderen Seite, sie gehörten zusammen und  aus ihrem Kontrast entstünde großes Theater – so hat vor bald zweihundert Jahren Victor Hugo argumentiert. Theatermacher Kusej folgt diesem bewährten Rezept. Für das Sublime waren bei ihm  in Salzburg und in Zürich Mozart, Schumann und Maestro Harnoncourt  zuständig. In München waren es Dvorák und Maestro Tomás Hanus und ein brillantes Sängerensemble, die für das Sublime sorgten. Für die Groteske auf hohem Niveau sorgten Kusej und sein Team. Und aus dem Kontrast und dem Ineinanderübergehen beider ästhetischer Prinzipien  entstand in München ein großer Opernabend. Nach so manch ärgerlichem Flop, nach so manch peinlicher Repertoireaufführung hat die Bayerische Staatsoper mit der Rusalka wieder eine Produktion der allerersten Kategorie auf ihrem Spielplan. Wir sahen die Vorstellung am 4. November 2010.

Kitschige Tage – Ein Hollywood Melodrame am Nachmittag. Träumereien eines Blumenmädchens am Abend. Der Ferne Klang und Rusalka am Opernhaus Zürich

Wann hat man schon Gelegenheit, zwei so unterschiedliche Opernspektakel an einem Tag zu hören und zu sehen. Aber vielleicht sind sie gar nicht so unterschiedlich? Ist vielleicht der Kitsch das Gemeinsame, was sie verbindet? Neoromantischer Kitsch? Hier bei Schreker die Sehnsucht nach der blauen Blume, pardon: nach dem unerreichbaren fernen Klang, der sich natürlich nur beim Verscheiden in den Armen der einstens so schnöde Verlassenen findet. Dort bei Dvorak die Sehnsucht nach der großen Liebe als Variante des Undine Mythos. Ja, ich weiß: jeder Kenner nennt mich verächtlich eine Ignorantin. Aber ich bleibe dabei: was da im Zürcher Opernhaus bei der nachmittäglichen „Volksvorstellung“ als ferner Klang zelebriert wurde und erst recht was sich da auf der Bühne tat, das ist ein Hollywood Melodrame mit dem entsprechend süßlichen Sound. All das ist per se nichts Negatives. Aber ein Geniestreich ist es auch nicht. Auch wenn man es uns in diesem Sinne gern verkaufen möchte. In Zürich bietet man, ganz wie man es von diesem Hause erwartet, die Crème de la Crème der Opernszene auf. Ingo Metzmacher am Pult. Auf der Bühne Stars wie Juliane Banse und Roberto Saccà in den Hauptrollen. Und doch produziert man an diesem  heißen Nachmittag nicht nur – aber viel Langeweile. Vielleicht müsste man die Schreker Klänge öfters hören, um ihren Zauber zu erkennen und zu genießen. Sie sind sicher mehr als ein ewiges Dahinplätschern. Vielleicht hat auch die  – mit Verlaub gesagt – etwas unbedarfte  oder auch nur lustlose Regie dazu beigetragen, dass von der Zürcher Schreker Aufführung, von der sich der  neugierige Opernfan eigentlich sehr viel versprochen hatte, so wenig Faszination ausging. Die Inszenierung erschöpft sich in einem billigen Naturalismus frei nach Hauptmann oder frei nach Horváth und wenn sie im zweiten Aufzug frei nach La Traviata auf verrucht macht, dann wird es ganz schrecklich, dann ist alles nur noch peinlich. Ach, was sind wir doch so spießig in Zürich.  Zum Glück für die Aufführung hat man eine so grandiose Sängerin und Schauspielerin wie die Banse engagiert. Wie sie im ersten Akt das naive verliebte kleine Mädchen und im letzten Akt die verhuschte alte Frau, die nicht von ihren Illusionen lassen will, spielt, das ist schon bewundernswert. Ansonsten: in Zürich ist der ferne Klang nichts als ein flüchtiger Klang.

Für die Rusalka hatte vor ein paar Jahren  Jossi Wieler in Salzburg eine spät-postmoderne Variante gewählt und damit für jeden im Publikum etwas parat: das Kindermärchen für Erwachsene im ersten Akt, die wohlfeile Gesellschaftskritik  im zweiten, das  Luxusbordell im  dritten Akt und das Zitat aus einem Gangsterfilm im Finale. Stefan Herheim erzählt in Brüssel und Graz den Undine Mythos als Wassermanns Nightmare und macht Rusalka zu einer Art Irma La Douce, zur kleinen Hure, die inmitten einer grotesken Welt von der großen Liebe träumt. Und wo sind wir in Zürich? Da sind wir bei den Reichen und Schönen von der Zürcher Goldküste, die sich in ihre Villa mit Blick auf die Stadt zur Unterhaltung – ein extravaganter Einfall des jungen Hausherrn – ein stummes Blumenmädchen eingeladen haben. Leider erweist sich das kleine Blumenmädchen als eine femme fatale, die den schönen jungen Mann um Verstand und Leben bringt, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht will. Aber die Zwänge ihrer Sippe (sprich: die Zwänge des Antimärchens oder des Mythos) sind halt so. Es verwundert nicht, dass so routinierte Theatermacher wie Matthias Hartmann und Karl-Ernst Herrmann aus dieser so einfachen Geschichte ein opulent grandioses  Opernspektakel zu machen wissen, in dem sich in gut romantischer Manier Phantastisches, Groteskes und scheinbar Reales mischen, in dem aus dem scheinbar Vertrauen das Phantastische hervorbricht oder auch erträumt wird. Der See des Libretto ist in Zürich zur Blumenwiese geworden, über den eine Starkstromleitung führt.  Und doch ist die Wiese zugleich der Ort, wo sich Phantastisches ereignet, ein Ort, wo eine Märchenhexe eine Pennerin, die vor einem Hydranten sitzt, in ein Blumenmädchen verwandelt, ein Ort, wo Waldelfen (die Nixen des Libretto) spielen und singen, ein Ort, wo ein Herr im Biedermeieranzug den Wassermann des Libretto gibt (ein Verweis auf romantische Literaten? auf E.T.A. Hoffmann? auf  Friedrich de la Motte Fouqué? Vielleicht). Im letzten Akt ist die Wiese natürlich  zum Tümpel und zum Müllplatz geworden, das Blumenmädchen wieder zur Pennerin mutiert, den verstörten jungen Mann trifft wohl der Schlag, der Wassermann hat eine Ladung Altöl auf seinen schicken Anzug bekommen, die Elfen spielen neckisch im Müll usw. usw. Ein bisschen viel der Überdetermination. Ja, wir haben schon begriffen, dass das Reale das Phantastische zerstört, dass die Märchen eigentlich Antimärchen sind, dass die arme Rusalka, wenn sie jetzt wieder bei ihrem Hydranten ruht, die schöne Geschichte von Liebe und Lust, Leid und Tod sich nur erträumt hat.

Unnötig zu sagen, dass im Zürcher Opernhaus brillant und auf höchstem Niveau gesungen und gespielt wurde. Was aus dem Orchestergraben klang, das war vielleicht nicht unbedingt die spätromantische Zaubermusik, die damals in Salzburg Maestro Welser-Möst erklingen ließ. Manchmal dröhnte es mir ein bisschen zu viel. Wie dem auch sei. Die Zürcher Rusalka ist allemal ein Hit, den man nicht versäumen sollte. Wir sahen die Vorstellung am 6. Juni 2010. Die Premiere war am 30. Mai.

Wassermanns Nightmare. Stefan Herheim inszeniert Rusalka an der Oper Graz

Es regnet, es regnet immerfort, Passanten suchen sich vor dem Regen zu schützen, stolpern immer wieder, hasten zu den Metroeingängen. Eine Bar zur Linken, auf derselben Seite eine neuromanische Kirchenfront. Zur Rechten ein Mietshaus, unten ein Laden, oben eine Wohnung mit Balkon, eine Hausfrau mittleren Alters hängt Bettzeug über die Brüstung. All dies sieht der Zuschauer, noch bevor die Ouvertüre erklingt. Seltsam. Rusalka, so steht es zumindest im Programmheft, ist doch ein „lyrisches Märchen in drei Akten“. Das Märchen, es war einmal. Wenn Stefan Herheim den Undine Mythos nach- und neu erzählt, dann ist alles neu, dann entsteht zum Vergnügen und manchmal auch zum Entsetzen des Publikums eine ganz andere, eine unerwartete Variante des Mythos von der liebessüchtigen Wassernixe. Wer Herheims Lohengrin oder seinen Rosenkavalier gesehen hat, der weiß, was ihn erwartet: allemal ein großer Theaterabend. Und auch in Graz wurden in dieser Hinsicht die Erwartungen nicht enttäuscht. Zwar war wohl manch biederer Opernbesucher  ob des ungewohnten Spektakels zu Anfang ein bisschen irritiert. Doch die Irritation wich schnell der Faszination, ja der Begeisterung. In Graz spielt Rusalka in einem Kleinbürgerbezirk, nein eher in einem Rotlichtviertel  in London. Vielleicht auch in Brüssel oder Paris?  Rusalka spielt, so signalisieren uns gleich bei ihrem ersten Auftritt die „Waldnymphen“, die zu Damen vom Gewerbe mutiert sind, in einem Irma La Douce Ambiente. Rusalka selber ist zur kleinen Hure geworden, die von der großen Liebe träumt. Und der Wassermann in seinem billigen verwaschenen Anzug, den er bald mit einem Schlafanzug tauschen wird, ist zum heruntergekommenen Pantoffelhelden, zum Kleinbürger mit verdrängten Sexsehnsüchten geworden. Der Prinz ist ein kleiner Prinz im Matrosenanzug, fast ein Kind, das nicht so recht weiß, was ihm geschieht. Die „fremde Fürstin“  mimt mal den Hausdrachen beim Wassermann, mal die elegante Opernbesucherin in der Loge, mal die Operndiva, mal die Karnevalsprinzessin, mal, so in den Schlussszenen, ein Opfer von Jack the Ripper. Nicht diese Aktualisierungen, so interessant und so unterhaltsam sie auch sind, machen den Clou der Inszenierung aus. Herheim verlagert das Interesse von der Protagonistin hin zur Figur des Wassermanns, macht die erste Nebenfigur zur Hauptperson des Geschehens, setzt die verborgenen Sehnsüchte eines alternden, eines unterdrückten Kleinbürgers in Szene, der seine latenten Wünsche von der Liebe als Passion auf eine Dame vom Gewerbe und deren unerfahrenen Kunden  projiziert und  für das Scheitern  dieser Passion, für das im Rusalka Märchen die „fremde Fürstin“ steht, die ihn beherrschende Frau verantwortlich macht und diese tötet. So wird der Undine Mythos  bei Herheim zur Psychostudie der Nebenperson, zur Fallstudie einer kranken Person, die als Mörder endet. Doch bei Herheim sind wir im Theater, nicht in der Psychopraxis des Doktor Freud, und der Psychofall  ist für unseren Theatermacher nur der Anlass, im Wortverstande die Puppen tanzen zu lassen und frei nach Bachtin eine groteske Welt zu kreieren. Da werden die Huren zu einer Tanzgruppe aus unförmigen, phallischen Leibern, die den Wassermann bedrängen, da mutieren die Nonnen zu Huren und umgekehrt, da wird die Hexe zur Femme Fatale, da hockt mal Rusalka, mal der Wassermann auf einer natürlich phallischen Plakatsäule, da sinkt die leidende Rusalka als Madonna im Sternenkranz vom Bühnenhimmel herab, da sammeln sich die Bewohner des Viertels (im Libretto die Hofgesellschaft) zu einem wilden Karnevalszug, bei dem der Wassermann den Gott Neptun und der „Prinz“  den Karnevalsprinzen spielen.  Da wird das Finale im zweiten Akt zur Opernparodie, wenn Rusalka mit den theatralischen Gesten  einer routinierten Operndiva ihr Leiden zur Loge des Prinzen und der Fürstin hinaufschmettert und die Fürstin sich nicht lumpen lässt, auf die Bühne herabkommt und gleich als Tosca mitsingt. Und auch der Wassermann darf im Sinne des totalen Theaters gleich vom Zuschauerraum aus mitsingen, während die Karnevalsgesellschaft Konfetti wirft und Rosen im Publikum verteilt. Im dritten Akt gibt es dann noch eine Carmen Parodie und ein spektakuläres Rheingold Zitat – aus einer uralten Inszenierungen: die Rheintöchter bzw. die Waldnymphen entschwinden schwimmend im Bühnenhimmel. Und im Finale: da ermittelt die Kriminalpolizei, und die Spurensicherung macht sich an die Arbeit: der Wassermann Mörder wird abgeführt, die Hure Rusalka schnappt sich lachend den nächsten jungen Mann: Wassermanns nächtliche Projektionen sind zu Ende. Aus ist der Traum – vom Märchen von der liebessehnsüchtigen Undine.

Gesungen und musiziert wurde wie es dem Niveau eines mittelgroßen Hauses entspricht. Aber bei Herheim ist das alles nicht so wichtig. Mozart, Wagner, Strauss und jetzt auch Dvorák werden bei ihm sowieso zu Soundtracklieferanten. Wir sahen die 9. Vorstellung am 27. Februar 2010. Die Premiere war am 18. Dezember 2009. In Graz zeigt man eine „Koproduktion des Théâtre Royal de La Monnaie, Brüssel, und der Oper Graz“.