Bettgeflüster mit Rusalka – ein Traumspiel mit Filmzitaten. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung an der Bastille Oper

Der Undine Mythos – hier im konkreten Fall die Rusalka – ist offensichtlich eine Herausforderung für unsere Theatermacher. In Salzburg hatte vor ein paar Jahren Jossi Wieler eine spät-postmoderne Variante gewählt und damit für jeden im Publikum etwas parat: das Kindermärchen für Erwachsene im ersten Akt, die wohlfeile Gesellschaftskritik  im zweiten, das  Luxusbordell im  dritten Akt und das Zitat aus einem Gangsterfilm im Finale. Stefan Herheim erzählt in Brüssel und Graz den Undine Mythos in einem grandiosen Karnevalsspektakel als Wassermanns Nightmare und macht Rusalka zu einer Art Irma La Douce, zur kleinen Hure, die inmitten einer grotesken Welt von der großen Liebe träumt. Und wo sind wir in Zürich? Da sind wir bei den Reichen und Schönen von der Zürcher Goldküste, die sich in ihre Villa mit Blick auf die Stadt zur Unterhaltung – ein extravaganter Einfall des jungen Hausherrn – ein stummes Blumenmädchen eingeladen haben. Leider erweist sich das kleine Blumenmädchen als eine femme fatale, die den schönen jungen Mann um Verstand und Leben bringt, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht so will. Und in München da hat Theatermacher Kusej mit seiner Rusalka sogar einen kleinen Skandal provoziert, als er Rusalka als Kinderschänder- und Spaßgesellschafts-Groteske aus einem verkommenen Österreich inszenierte.

Nichts von alle dem findet sich bei Robert Carsen. Spielort für seine Rusalka ist die Welt des Films, genauer: die Hollywood Komödie, das Filmmärchen vom unbedarften, liebeshungrigen Mädchen, das sich nach Irrungen und Wirrungen den angeschwärmten Filmstar erobert – oder vielleicht auch nicht. Der Schluss bleibt offen. Ist das Brautbett, in das Rusalka ihren Traumprinzen zieht, vielleicht doch das Totenbett, wie es Mythos und Libretto wollen? Erträumt sich Rusalka, die zu Beginn im Schwimmbad des Luxushotels vom Prinzen schwärmt, dies alles nur? Hat der Wassermann, in Kostüm und Maske ein Wiedergänger des Komponisten Dvorak,  seiner Tochter mit den Klängen seiner Musik den Traum von der großen Liebe nebst obligatorischer Enttäuschung gleichsam herbeigezaubert? Träumt sie, wenn sie sich im zweiten Bild in der Luxussuite des Stars (in Kostüm und Maske ein Cary Grant – Verschnitt) wieder findet, all dies nur: ihre Hingezogenheit zum Star, ihre ängstliche Flucht aus seinen Armen und aus seinem Bett, ihre Eifersucht, ihre Verlassenheit? Ist die scheinbare Rückkehr zum Vater, (im Libretto zum Wassermann) und zur Mutter (im Libretto die Hexe) vielleicht ein Traum im Traum, die Sehnsucht nach einer Flucht in die kindliche Märchenwelt oder vielleicht die ‚unbewusste‘ Sehnsucht nach einer Rückkehr in den Uterus? Inszeniert Carsen  vielleicht – frei nach Freud – die Angst der Braut und des Bräutigams vor der Hochzeitnacht? Überlagern sich vielleicht Traum- und Freud- und Filmdiskurs? Fragen über Fragen.

Carsen Inszenierungen sind sofisticated angelegt, sind vieldeutig, appellieren an die Phantasie, an die kulturellen Horizonte der Zuschauer, fordern zur Mitarbeit auf, entstehen neu in unserer Imagination.  Der Rusalka Mythos ein Traum, ein Angsttraum. Vielleicht ist dies die Grundkonzeption oder zumindest ein bedeutsamer Aspekt der Inszenierung.

Und Orchesterklang und Gesang? Einfach ein Traum. In der Bastille Oper ist bis zum 26. April eine in Szene, Musik und Gesang höchst brillante Rusalka zu sehen und zu hören.

Wir sahen die Vorstellung am 3. April 2015, die Premiere der Wiederaufnahme einer Inszenierung vom Jahre 2002.