Nein, selber Schlittschuh gelaufen ist sie nicht, und Turnübungen am hohen Trapez hat sie auch nicht gemacht, die von Seelenpein und Körperschwere und Freud Komplexen belastete grausame Prinzessin Turandot. Das Eis-Laufen haben langbeinige Statistinnen und das Hangeln am Trapez hat die hauseigene Turnergruppe für sie besorgt. Für die Prinzessin steht ein offener Fahrstuhl bereit, mit dem sie, ausstaffiert wie ein Kleiderständer, in Begleitung ihrer etwas weniger bekleideten Hofdamen vom Himmel herabschwebt (oder kam sie aus einer mehrfarbigen dreidimensionalen Lichtwolke?) und dem breitschultrigen fremden Prinzen ihre Rätsel aufgibt. Und herumstehen und herumliegen die vielen Chinesen (nein, nicht in Mao Anzügen, sondern in aufwendig geschnittenen bunten Trachten) als fernöstliche Scherenschnitt- Märchenfiguren. Glatzköpfige groteske Minister als Buddha-Mönche kostümiert treiben ihren Schabernack. Der Kaiser sitzt auf einem Thron, des Prinzen Papa mit langem Bart à la chinoise und in einem Holzkarren sitzend ist auch dabei (Rollstühle gab es damals noch nicht), und die gute Liù (Papas persönliche Altenpflegerin als Geisha gewandet ) steht auch herum (zur Erinnerung: Liù darf zwei der Highlights singen, einmal von der Rampe und einmal aus dem Fahrstuhl – beides macht sie recht brillant – und sich für den Prinzen opfern). Nur die Polizei ist nach dem Vorbild der deutschen Bundespolizei modern ausgerüstet. Eine in sich konsequente Entscheidung des Kostümbildners. Die Prinzessin mit ihrem zum Totschlagsyndrom sublimierten Kastrationskomplex braucht halt eine starke Schutztruppe. Nach der zweiten Pause schmettert der Prinz auf leerer Bühne direkt von der Rampe aus sein berühmtes „Nessun dorma“ drohend ins Publikum. Und ich hab‘ mich nicht getraut einzuschlafen, obwohl mir danach zu Mute war. Wir waren ja auch sowieso damit beschäftigt, immer wieder im Dunklen nach den Drei-D -Brillen zu suchen, die uns die Intendanz kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, damit wir das Spektakel auch dreidimensional genießen konnten.
Wer ein solch aufwendiges, kostspieliges buntes Opernspektakel mag, wie es in München Carlus Padrissa von der berühmt berüchtigten La Fura dels Baus Truppe inszeniert, wer den zuckrigen Puccini Sound liebt, der sollte zur Münchner Turandot gehen. Er kommt dort auf seine Kosten – und das bei den hohen Eintrittspreisen auch im ganz konkreten Sinne. Ich fand es nur schrecklich und frage mich, ob die Musik des späten, todkranken Puccini wirklich so dünn ist, ob sie trotz der zwei oder drei Highlights so wenig hergibt, dass man sie mit einer aufwendigen Licht- und Video Show und einem großen Zirkusspektakel überblenden und tot schlagen muss und ob man noch dazu das handlungsarme Stück mit zwei langen Pausen auseinander reißen muss, um auf einen knapp dreistündigen Opernabend zu kommen. „Allein, was tut’s“. Das Haus war ausverkauft, ein begeistertes Publikum feierte seinen einstigen Generalmusikdirektor, der an diesem Abend am Pult stand, begeistert, noch bevor er überhaupt den Taktstock hob, raschelte insbesondere bei den Piano Stellen mit seinen Drei -D- Brillen, beklatschte die Sänger, obwohl es so viel gar nicht zu beklatschen gab und zog beglückt und zufrieden nach Hause. Welch schöner bunter Opernabend in der Bayerischen Staatsoper. Der Kritiker von der FAZ, der sich unfreundlich über die Münchner Turandot geäußert habe, sei doch nur „ein frustrierter Mensch“ – so wusste ein Herr im Smoking im Foyer lautstark seiner Begleiterin zu berichten. Auch ich bin an diesem Abend frustriert aus der Münchner Oper gegangen. Ein Glück, dass wir wenigstens im „Blauen Haus“ noch einen Platz gefunden haben. Die Pasta war wie immer ausgezeichnet.
Wir sahen die Vorstellung am 10. Dezember 2011. Die Premiere war am 3. Dezember 2011.