Neurotiker in der Psychohölle. Claus Guth inszeniert Fidelio in Salzburg

An die schöne Mär von der aufopferungsvollen Gattenliebe und der Staatsmacht, die einem Deus ex machina gleich im gefährlichsten Moment herbei schwebt, die Guten rettet und die Bösen straft, an diese schöne Geschichte glaubt schon lange niemand mehr. So machen denn unsere Theatermacher den rettenden Minister gern zum Popanz oder zum Joker, den armen Gefangenen zum Tölpel und Leonore/Fidelio zur amazonenhaften Emanze avant la lettre.

Doch so konsequent und radikal und zugleich so intelligent und brillant wie jetzt Claus Guth in Salzburg Fidelio entstaubt und dekonstruiert, das ist schon eine sehr ungewöhnliche und originelle Deutung der betagten Beethoven Oper.… → weiterlesen

„neutral – männlich – weiblich“. Aufmüpfige Frau und potenter Macho im ewigen Streite. Konwitschny inszeniert Rihms „Die Eroberung von Mexiko“ in Salzburg

Treffen da wirklich in dieser Parabel, in diesen Szenen einer Ehe, die da mit dem irreführenden Titel in die Welt der Mythen, der Konquistadoren Mythen, erhoben werden, das Ewig-Weibliche und das Ewig-Männliche aufeinander? Ein Aufprall, der in Wagners Todesidylle enden muss? Tristan und Isolde, die sich ständig fetzen – unter einem Frida Kahlo Bild in einer Ikea Wohnwelt auf einem Autofriedhof.

Ist Rihms Musikspektakel wirklich ein solches Highlight der Opernliteratur, das man es so aufwendig in Szene setzen muss, wie jetzt in Salzburg geschehen? Eine Bühne, die die weiträumige Spielfläche der Felsenreitschule in einen riesigen Schrottplatz für ausrangierte Fahrzeuge verwandelt, einen Autofriedhof, auf der der Macho seinen so geliebten roten Porsche spazieren fährt, eine Ansammlung von Schrott, über den die Protagonisten klettern, um sich in ihrer Ikea Wohnstätte zu lieben, zu streiten, zu schlagen, zu saufen und um Männlichkeits- und Weiblichkeitsrituale durchzuexerzieren.… → weiterlesen

Vom Trash und Actionfilm zur Operette ist es nur ein Schritt – daneben. Eine musikalisch brillante – eine szenisch missglückte Iphigénie en Tauride bei den Salzburger Pfingstfestspielen

Keine Frage, beim alljährlichen  Bartoli Festival bürgt die Mitwirkung der Primadonna assoltuta  für Hochkultur. Niemand zweifelt daran, dass die Bartoli eine grandiose Sängerin ist und dass sie je nach Bedarf  auch die grandiose Komödiantin oder Tragödin zu mimen weiß.  Als Primadonna und Tragödin  brillierte sie jetzt in der Rolle der Protagonistin in   Glucks Iphigenie. Ihr zur Seite, ebenbürtig in Gesang und Spiel, Christopher Maltman als von den Erinnyen verfolgter Orest. Im Graben ein berühmtes auf alte Musik spezialisiertes Ensemble: I Barocchisti. Am Pult Diego Fasolis.

So wären denn beinahe alle Voraussetzungen für einen großen Opernabend gegeben, ja wenn das Regieteam mit seiner Degradierung des Mythos zum Trash sich nicht alle Mühe gegeben hätte, ein Kontrastprogramm zur Musik zu liefern, aus einer ‚erhabenen Musik‘ den Soundtrack  für einen Actionfilm zu machen.  Einen Actionfilm unter Kolchose Bäuerinnen, die von einem gewalttätigen Brigadier tyrannisiert werden, einem Bürokraten, der sich in den Kopf gesetzt hat, jeden Fremden, den es in das Lager  verschlägt, von der depressiven Oberbäuerin und ihren Genossinnen abschlachten zu lassen.… → weiterlesen

Pferde und Amazonen, Chor und Solisten – und Mozart-Sound in der Felsenreitschule

Maestro Minkowski liebt die Musik und – die Pferde. Eine Doppelliebe, die uns einen ungewöhnlich spektakulären Auftakt der diesjährigen Salzburger Mozartwoche bescherte: Tanz, nein, nicht der Reigen seliger Geister, Tanz  edler Pferde zur Kantate Davide penitente, zum Priestermarsch aus der Zauberflöte und zur Maurerischen Trauermusik.

Der zugedeckte Orchestergraben und die Bühne werden zur Tanzfläche für ein Pferdeballett. Chor und Solisten und das Orchester sind in den Arkaden platziert. Und der Maestro selber – nein, er kam nicht auf einem Schimmel hereingeritten – er ist schon da und dirigiert  von der Vorderbühne, von einem leicht erhöhten Gerüst aus.

Wird die da wirklich die Koordination klappen? Die besorgte Frage stellt sich nicht. Alles gelingt. Vielleicht gab es zu Beginn, wie die Dame hinter mir bemerkte, ein paar Unsicherheiten. Wenn es sie denn gab, mich haben sie nicht gestört. Geboten wurde in der Felsenreitschule an diesem Abend eine grandiose Son et Lumière Show, zentriert auf eine hochartifizielle Schule der Reitkunst. Mit welcher Akribie, mit welcher Eleganz, mit welch scheinbarer Leichtigkeit Monsieur Bartabas, „der Pferdegott in Frankreich“ und seine Amazonen von der Académie équestre de Versailles ihre Pferde zum Tanz führten, das ließ (anders als bei einem traditionellen Konzert)  alle Huster verstummen.
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„Ein Märchen aus uralten Zeiten…“. Bei den Salzburger Festspielen erfüllt sich Peter Stein einen Kindertraum. Franz Schubert: Fierrabras

Da plätschert so selig, so beseligend eine wunderschöne Musik dahin, da singen (und sprechen) Stars der internationalen Opernszene so wunderschön. Und Männer- und Frauenchöre tun es ihnen gleich. Fierrabras ein deutsches Singspiel von edlen Rittern und schönen Burgfräulein, von Mauren und Franken in Streit und Versöhnung.

Und der große Theatermann Stein liefert dazu lebende Bilder. Genauer: er lässt seinen Ausstatter – so entnimmt man dem Programmheft – Illustrationen  von  Gustave Doré zu einer Geschichte der Kreuzzüge auf der Bühne nachstellen. In diesem Ambiente lässt der so verdienstvolle Regisseur – ohne eine Spur von Ironie oder gar Parodie, in gespielter Naivität – Könige und Prinzessinnen, Ritter und Damen, Franken und Mauren agieren. Da sind die Ritterfräulein so züchtig gewandet wie Uta von Naumburg, da trägt der  gute König eine silberne Krone, und seine Ritter tragen silberne Kettenhemden und weiße Mäntel. Die bösen Mauren tragen dunkle Gewänder und Turbane und haben dunkle Gesichter (so können wir sie gleich von den edelmütigen, hell gewandeten Franken unterscheiden). Doch ganz so böse sind die Mauren nun auch wieder nicht. Der maurische Prinz Fierrabras ist in die Tochter des fränkischen Königs verliebt, und edel, wie der Maure nun einmal ist, verzichtet er zugunsten eines armen fränkischen Rittersmann, den Prinzessin Emma sich erwählt hat, auf seine Liebe. Nicht genug damit. Er hilft den Franken und kämpft gegen seine eigenen Leute. Hatten diese doch die fränkischen Friedensgesandten festgesetzt und mit dem Tode bedroht. Im Gegenzug kriegt Ritter Roland, König Karls Paladin, die maurische Prinzessin zur Gattin: die verliebte Prinzessin, die um ihren Roland aus der Gefangenschaft zu befreien, zu den Franken überläuft. Natürlich gibt es, wie es die Tradition des Singspiels und nicht minder die Struktur des Märchens verlangen, ein großes happy end. Da siegt nicht nur die Liebe. Da siegt auch das Christentum. Alle Mauren werden, wenn auch etwas unwillig,  zu Christen, und Prinz Fierrabras, wenn er schon die Tochter des Königs nicht kriegt, darf immerhin  sein Ritter sein.

Eine seltsame Inszenierung, die jegliche Problematisierung vermeidet, eine heile Märchenwelt vorgaukelt und dieses Genre perfekt in Szene setzt, die in schönen Bildern schwelgt, die das Publikum einlullt und die bei aller Perfektion trotz ihrer oder vielleicht auch wegen ihrer konsequenten Entscheidung für das Märchen ein ungutes Gefühl hinterlässt. Opas deutsches Singspiel und  ein Rittermärchen zu exorbitanten Preisen bei den Salzburger Festspielen? Das muss ja nicht sein. „Im nächsten Jahr wird Peter Stein wohl Peterchens Mondfahrt im großen Festspielhaus inszenieren“, kicherte eine Dame in der Reihe vor mir. Ja, warum eigentlich nicht.

Wir sahen die Vorstellung am 25. August 2014. Die Premiere war am 13. August.

 

 

Pfingsten in Salzburg

Rossini (Bartoli)-Festival und Pfingstwallfahrt der katholischen Loretto-Jugend, Kirmes (Dult) in der Vorstadt, Multikulti-Basar am Salzach Ufer, Stadtteil Straßenfest im Viertel hinter dem Dom, eine Woge von Tagestouristen aus aller Welt, eine Woge von Bettlern vom Balkan und last not least hochsommerliche Temperaturen – die kleine Stadt hält einfach alles aus. Oder nennen wir den ganzen Trubel frei nach Victor Hugo ‚Le sublime et le Grotesque‘ oder auch Notre Dame de Salzbourg.

Doch lassen wir die „ernsten Scherze‘ beiseite. Bei Bartolis Rossini Festival wird (natürlich zu exorbitanten Preisen)  ein Rossini vom Allerfeinsten geboten. La Cenerentola und Otello und auch das von einer spanischen Dreisterne Köchin zubereitete Festmahl haben wir ganz den vielen Reichen und wenigen Schönen, sprich: den internationalen Salzburger Luxus-Pensionären überlassen und uns mit Konzerten begnügt. Und dort wurde von Solisten wie Franco Fagioli und Joyce Di Donato, den  Barocchisti unter Maestro Fasolis und dem Orchester wie dem Chor der Accademia di Santa Cecilia unter Maestro Pappano ein Rossini geboten, wie er brillanter, virtuoser und schöner kaum vorstellbar ist. Warum diese Konzerte so herausragend waren, das werden die Zeitungsschreiber mit ihrer Feuilletonlyrik dem Interessierten wohl zu erzählen wissen.  Ich sage einfach nur: mir hat es gefallen. Mich hat es beeindruckt. Bartolis Salzburger Pfingstfestival präsentiert Hochkultur – im scharfen Kontrast zum grotesken Treiben in der Stadt. Und gerade dieser Gegensatz macht den Charme Salzburgs zu Pfingsten aus.