Elektra und Elektrakomplex. Keith Warner inszeniert Richard Strauss am Badischen Staatstheater in Karlsruhe

Die Karlsruher Elektra ist kein stimmgewaltiges Urweib, das alle Welt das Fürchten lehrt. Sie ist eine schmale kleine Frau mit eher verhaltener Stimme, traumatisiert vom Mord an ihrem Vater, ein Verbrechen, das sie ihrer Mutter und deren Geliebten anlastet. Sie ist besessen von der Vorstellung, diesen Mord rächen zu müssen. Eine Frau von Heute, die sich mit der Elekta des Mythos identifiziert.  – Ein Fall für die Praxis des Dr. Freud.

Elektra – diese Variante des Mythos schlägt die Regie vor – hat sich im Antike- Museum über Nacht einschließen lassen und erlebt dort Schrecklliches, eine Nacht, in  der sie sich in das Grauen aus archaischer Zeit  hineinträumt,  in der ihr die archaischen Figuren erscheinen, in der sie sich mit ihrer Mutter in der Wohnküche streitet – mit ihrer Mutter oder mit Klytämnestra? – , eine Nacht, in der der ersehnte Bruder – nicht als archaischer Heroe, sondern als amerikanischer Offizier – endlich erscheint, in der Wohnküche der Mutter den Kopf abschlägt  und  dem Geliebten der Mutter, der sich in das Bett der Stieftochter verkrochen hat, das Gemächte abschlägt und – vielleicht – Elektra in einem Heilschlaf von ihrem Trauma erlöst.… → weiterlesen

„Im Geisterhaus traumatischer Erinnerungen“ – oder narkotisierender Kitsch? Eine in Szene, Orchesterklang und Gesang brillante Walküre am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Bei dieser Karlsruher Walküre stimmt einfach alles  – gleich vom ersten Takt und von der ersten Szene an. Da hetzt in der Ouvertüre die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Justin Brown den flüchtenden Siegmund mit  Atem beraubendem Tempo. Da stürzt dieser geradezu auf die Szene, und Sieglinde steht schon für ihn bereit. Wo nur? In einem „Geisterhaus“, wie uns der Karlsruher Dramaturg wissen lässt. Dieses Haus besteht nur aus einem die gesamte Bühnenbreite einnehmenden Flur. Requisiten gibt es nicht. Drei Türen führen…Man weiß nicht wohin. Sind es Türen, die zu den „traumatischen Erinnerungen“ führen, von denen die Dramaturgie spricht? In der Tat stürzen aus diesen Türen Bruchstücke ihrer Kindheitsgeschichte auf Siegmund und Sieglinde ein. Beide sehen sich noch einmal als Kinder. Im Finale werden sich Kindheitserinnerungen und ‚Gegenwart‘ überlagern: Siegmund trägt eine noch kindliche Schwester auf seinen Schultern, und fliehen wird er mit der Braut und Schwester. Oder vielleicht fliehen sie gar nicht?  Bleiben sie im „Geisterhaus“ gefangen? Fliehen sie nur in ihrer Imagination? Im „Geisterhaus“ wird Übervater Wotan wie ein lebendig gewordenes Gemälde aus der Wand treten und Siegmund das Schwert zerbrechen, und Hunding wird ihm einen Speer – Wotans Speer – in den Rücken stoßen.… → weiterlesen

Siegfried ein Märchen für Erwachsene – für mit Phantasie begabte Erwachsene. Thorleifur Örn Arnarsson inszeniert Siegfried beim Karlsruher Ring

Einst zu Wagners Zeiten hatte Baudelaire die Phantasie, die Gabe der Imagination, die höchste aller Begabungen genannt („la reine des facultés). Vielleicht hat sich Theatermacher Arnarsson an Baudelaire erinnert oder auch an die neueren Rezeptionsforscher, die für das Verständnis von Texten den produktiven Leser forderten, als er an die Imagination der Zuschauer appellierte. Mit ihrer Phantasie sollen  sie die Signale und Bilder, die die Regie vorgibt, weiterführen, mit ihrer Phantasie gleichsam ein neues Stück oder eine neue Deutung eines alten Stücks kreieren. Ein kühnes Unterfangen, das wohl so manchen im Publikum überfordern musste und phantasielose Zuschauer ratlos ließ.

Mit den Rätseln geht es gleich zu Anfang los. Was ist eigentlich der Ort des Geschehens? Die gesamte Vorderbühne  nimmt ein im Stil des 19. Jahrhunderts eingerichteter  großbürgerlicher Salon ein. Oder ist der Salon nur eine große Rumpelkammer, die mit allerlei disparatem Kram gefüllt ist: vom verstaubten Klavier, einer Sammlung von Gipsstatuen, einer Sitzcouch und einem Spieltisch für Schachturniere bis hin zum Herd und einer weiteren Feuerstelle ist alles vorhanden. (Letztere braucht man ja für Mimes Gifttrank und zum Schmieden des Schwerts). Der Salon ist die Einheitsbühne für alle drei Aufzüge… → weiterlesen

Die Komödie der Impotenten und Machtgeilen nebst Metatheater. Tobias Kratzer inszeniert Götterdämmerung am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Ist die Götterdämmerung, die uns so gerne als schwerblütige Tragödie verkauft wird, nicht eigentlich und das trotz der Leichen, die am Ende auf der Bühne herumliegen, eine Komödie, eine zirkuläre Komödie, bei der Wagners Nornen nicht mehr weiter wissen und damit der Imagination der Theatermacher das Feld überlassen?

Bei Tobias Kratzer gibt es keine Nornen, keine Parzen mehr. Ihre Rollen haben  drei Theatermacher übernommen – wohl die drei Regisseure, die in Karlsruhe Das Rheingold, Walküre und Siegfried in  Szene gesetzt hatten, wobei jeder einzelne ein Stück verantwortete.

Jetzt hocken sie da zu Beginn der Götterdämmerung erschöpft und schlaftrunken auf ihren Regiestühlen vor dem Vorhang, der in großen Lettern „The End“ verkündet und wissen nicht weiter, schauen in die Partitur und ins Libretto –  und probieren es mal. Soll es dieser gemütliche, übergewichtige Siegfried, der sich in Unterhosen und Socken  aus dem Designer Schlafzimmer einer attraktiven Brünnhilde davon machen will und von dieser – zumindest vorläufig – wieder  eingefangen wird, soll es der ‚bringen‘? Ist das „der stärkste Held“, der nur mühsam Grane, das Roß, das ihm Brünnhilde überlassen hat, am Zügel halten kann ?  Die Nornen/Regisseure schicken ihn erstmal auf die Rheinfahrt.

Mit diesem tumben Kraftmeier, dem das „wild wütende Weib“  das „Fürchten gelehrt hat“, hat Hagen, eine Karikatur des geschniegelten Machtpolitikers von heute, leichtes Spiel. Und erst recht gilt dies für das gerade aus dem Schlafzimmer gekrochene Geschwisterpaar Gunther und Gutrune, zumal Gunther nicht so genau weiß, ob er sich nun zur „Felsenfrau“ oder zu kräftigen Männern wie Siegfried hingezogen fühlt. So wird er denn im Finale des ersten Aufzugs verzweifelt aus dem „Gemach“ der Walküre stürzen, seinen Unterleib schützen und Hilfe bei Siegfried suchen. Das ist bei Wagner der Anfang vom Ende für den armen Siegfried. Bei Kratzer wird diese Szene zur Komödie -, zur Komödienstadl-Szene: der impotente Liebhaber, die starke Frau, der Freund, der das Geschäft übernehmen muss usw.

Die Inszenierung nimmt den Wagner-Helden jeglichen Anflug von Tragik, macht sie zu Unterhosenhelden in einer Boulevardkomödie.… → weiterlesen

Der Ring an einem Abend mit dem Rheingold-Sound. David Hermann inszeniert Das Rheingold am Badischen Staatstheater Karlsruhe

In Karlsruhe hat man zu Ende der Spielzeit mit einem neuen Ring begonnen und in der Nachfolge des einst so erfolgreichen Stuttgarter Modells für jedes der vier Stücke einen anderen Regisseur engagiert. David Hermann, der für Das Rheingold zuständig ist, hat diese Entscheidung  vielleicht nicht so ganz behagt. Er hätte wohl lieber den gesamten Ring in Szene gesetzt. Ein Dilemma, aus dem er einen originellen Ausweg gefunden hat.

Ist Das Rheingold, wenngleich es gern als „Konversationsstück“ apostrophiert wird, nicht schon ein Ring in nuce? Vornehm ausgedrückt: ist Das Rheingold nicht eine ‚mise en abyme‘, eine konzentrierte Duplikation des Bühnenfestspiels? Erklingen nicht dort schon Leitmotive, die den Ring bestimmen? Gibt es neben den musikalischen nicht auch textuelle Verweise auf die Handlung der folgenden Stücke? Die Antworten auf diese Fragen liegen für die Wagnerianer auf der Hand. Die Urzeit verweist schon auf die Endzeit. Betrug, Raub und Mord, grenzenlose Machtgier, drohender Untergang, all diese Basisthemen, die das Geschehen im Ring bestimmen, sind schon im Rheingold angelegt. So ist es durchaus konsequent und keineswegs ein Gag, wenngleich es dem Zuschauer auf den ersten Blick so erscheinen mag, dass die Regie die Schlüsselszenen des Rings als pantomimische Parallelhandlung zu dem Geschehen im Rheingold in Szene setzt. Begnügen wir uns damit, aus der Fülle der Verweisungen nur einige signifikante Beispiele zu nennen.… → weiterlesen