Die Komödie der Impotenten und Machtgeilen nebst Metatheater. Tobias Kratzer inszeniert Götterdämmerung am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Ist die Götterdämmerung, die uns so gerne als schwerblütige Tragödie verkauft wird, nicht eigentlich und das trotz der Leichen, die am Ende auf der Bühne herumliegen, eine Komödie, eine zirkuläre Komödie, bei der Wagners Nornen nicht mehr weiter wissen und damit der Imagination der Theatermacher das Feld überlassen?

Bei Tobias Kratzer gibt es keine Nornen, keine Parzen mehr. Ihre Rollen haben  drei Theatermacher übernommen – wohl die drei Regisseure, die in Karlsruhe Das Rheingold, Walküre und Siegfried in  Szene gesetzt hatten, wobei jeder einzelne ein Stück verantwortete.

Jetzt hocken sie da zu Beginn der Götterdämmerung erschöpft und schlaftrunken auf ihren Regiestühlen vor dem Vorhang, der in großen Lettern „The End“ verkündet und wissen nicht weiter, schauen in die Partitur und ins Libretto –  und probieren es mal. Soll es dieser gemütliche, übergewichtige Siegfried, der sich in Unterhosen und Socken  aus dem Designer Schlafzimmer einer attraktiven Brünnhilde davon machen will und von dieser – zumindest vorläufig – wieder  eingefangen wird, soll es der ‚bringen‘? Ist das „der stärkste Held“, der nur mühsam Grane, das Roß, das ihm Brünnhilde überlassen hat, am Zügel halten kann ?  Die Nornen/Regisseure schicken ihn erstmal auf die Rheinfahrt.

Mit diesem tumben Kraftmeier, dem das „wild wütende Weib“  das „Fürchten gelehrt hat“, hat Hagen, eine Karikatur des geschniegelten Machtpolitikers von heute, leichtes Spiel. Und erst recht gilt dies für das gerade aus dem Schlafzimmer gekrochene Geschwisterpaar Gunther und Gutrune, zumal Gunther nicht so genau weiß, ob er sich nun zur „Felsenfrau“ oder zu kräftigen Männern wie Siegfried hingezogen fühlt. So wird er denn im Finale des ersten Aufzugs verzweifelt aus dem „Gemach“ der Walküre stürzen, seinen Unterleib schützen und Hilfe bei Siegfried suchen. Das ist bei Wagner der Anfang vom Ende für den armen Siegfried. Bei Kratzer wird diese Szene zur Komödie -, zur Komödienstadl-Szene: der impotente Liebhaber, die starke Frau, der Freund, der das Geschäft übernehmen muss usw.

Die Inszenierung nimmt den Wagner-Helden jeglichen Anflug von Tragik, macht sie zu Unterhosenhelden in einer Boulevardkomödie.

Nicht genug damit. Die drei jungen Regisseure (da die Partitur für die Nornen Frauenstimmen verlangt, werden die Rollen der Theatermacher auch von Frauen gesungen und gespielt), brechen immer wieder mit  der Partitur, ihren Regiestühlen, ihren Fotoapparaten und Laptops in die Szene ein, geben mit Gesten ihre Anweisungen, stülpen sich, wenn es die Szene verlangt,  langhaarige Perücken über und mimen die Rheintöchter. Die erste Norn (sprich der Regisseur des Rheingolds) wird von den Kollegen gedrängt, die Waltraute zu spielen und zu singen. Zum Glück für ihn/sie hat er/sie unter der Anzughose das Walkürennachthemd an und kann gleich zur Brünnhilde aufs Designer Bett springen.

Die Grundkonzeption der Regie ist unschwer zu erkennen. Sie setzt auf die immanenten theatralischen Effekte des Stücks, betont das Komödiantische, erinnert mit Nietzsche daran, dass Wagner „ein ganz großer Schauspieler“ war. „Er wurde Musiker, er wurde Dichter, weil der Tyrann in ihm, sein Schauspieler-Genie ihn dazu zwang“ (Der Fall Wagner. Kapitel 8). Dass dieses Schauspieler-Genie nicht nur zur Komödie, sondern zum In-Szene-Setzen  der Schauspielkunst, zum Kunstgriff des Theaters auf dem Theater, zum Metatheater drängt, das verseht sich in diesem Kontext gleichsam von selber.

Dramatischer Höhepunkt des Metatheaters ist die Schlussszene. Brünnhilde wirft zum Entsetzen der Regisseure/Rheintöchter/Nornen die Partitur ins Feuer. Nichts bleibt? Brünnhilde nimmt auf dem Regiestuhl Platz. In ihrer Inszenierung beginnt alles wieder vorn vorne – im ewigen Kreislauf. Die Toten stehen wieder auf. Das Schlafgemach der Walküre tut sich wieder auf, Siegfried tritt wieder auf. Alles beginnt neu. Alles wiederholt sich ewig. Alles ist doch nur Theater und Musik. Von Weltenbrand und Erlösung und Neubeginn ist keine Rede. Mag die Musik sie uns auch vorgaukeln.

Die Musik? Ob sie an diesem Abend wirklich so rauschhaft klang, wie man das vom Karlsruher Ring unter Justin Brown gewohnt ist? Ob die berüchtigte Wagner Droge verabreicht wurde? Die Dame, die neben mir saß, war von der Inszenierung begeistert und von Orchesterklang und Gesang enttäuscht, obwohl ein Ensemble der Spitzenklasse auf der Bühne sang und agierte ( Nadja Michael als Brünnhilde, Torsten Kern als Siegfried,  Konstantin Gorny als Hagen). Sie wehrte sich wohl dagegen, mit „Musik hypnotisiert“ zu werden.

Ich selber bin etwas verunsichert. Vielleicht war ich auch nur von so viel Wagner erschöpft. Wagner  – folgt man Nietzsche –„wirft die Stärksten noch wie Stiere um“.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Dezember 2017. Die Premiere war am 15. Oktober 2017.