In Karlsruhe hat man zu Ende der Spielzeit mit einem neuen Ring begonnen und in der Nachfolge des einst so erfolgreichen Stuttgarter Modells für jedes der vier Stücke einen anderen Regisseur engagiert. David Hermann, der für Das Rheingold zuständig ist, hat diese Entscheidung vielleicht nicht so ganz behagt. Er hätte wohl lieber den gesamten Ring in Szene gesetzt. Ein Dilemma, aus dem er einen originellen Ausweg gefunden hat.
Ist Das Rheingold, wenngleich es gern als „Konversationsstück“ apostrophiert wird, nicht schon ein Ring in nuce? Vornehm ausgedrückt: ist Das Rheingold nicht eine ‚mise en abyme‘, eine konzentrierte Duplikation des Bühnenfestspiels? Erklingen nicht dort schon Leitmotive, die den Ring bestimmen? Gibt es neben den musikalischen nicht auch textuelle Verweise auf die Handlung der folgenden Stücke? Die Antworten auf diese Fragen liegen für die Wagnerianer auf der Hand. Die Urzeit verweist schon auf die Endzeit. Betrug, Raub und Mord, grenzenlose Machtgier, drohender Untergang, all diese Basisthemen, die das Geschehen im Ring bestimmen, sind schon im Rheingold angelegt. So ist es durchaus konsequent und keineswegs ein Gag, wenngleich es dem Zuschauer auf den ersten Blick so erscheinen mag, dass die Regie die Schlüsselszenen des Rings als pantomimische Parallelhandlung zu dem Geschehen im Rheingold in Szene setzt. Begnügen wir uns damit, aus der Fülle der Verweisungen nur einige signifikante Beispiele zu nennen.
Vor dem ‚Erwachen‘ erlebt Wotan gleichsam als Traumerzählung die Liebesgeschichte zwischen Siegmund und Sieglinde. Der Streit mit den Riesen findet seine Parallele im Kampf zwischen Siegmund und Hunding. Beim Abstieg nach Nibelheim trifft Wotan auf die tote Sieglinde, die den gerade geborenen Siegfried noch in ihren Armen hält. Der Mord an Fasolt findet zeitgleich mit dem Mord an Siegfried statt. Im Finale gehen pantomimische Parallelgeschichte und die Handlung des Rheingolds ineinander über. Der Einzug nach Walhalla ist für die Götter der Einzug ins Grab – begleitet von Weltenbrand und Neubeginn. Im zirkulären Schluss beginnt die Handlung von Neuem. Erda und die Rheintöchter besetzen wieder die Szene. Die Urzeit ist zurückgekehrt.
Lässt man sich erst einmal auf die Regiekonzeption ein, dann stören die Parallelgeschichten keineswegs. Der Zuschauer soll – so die Grundkonzeption – vom eigentlich nur banalen Geschehen, dem Streit des Bauunternehmers Wotan mit seinen Subunternehmern und einem Kriminellen, gezielt abgelenkt werden, soll Gegenwärtiges und zugleich Zukünftiges sehen, soll gleich am Vorabend die Gesamtstruktur des Rings erahnen, des Bühnenfestspiels, in dem Musik und Handlung alles miteinander verweben.
Nicht genug damit. Im Rheingold soll der Zuschauer in konzentrierter Form mythische Urzeit, Gegenwart, Katastrophe und Rückkehr der Urzeit erleben. Eine durchaus faszinierende (vielleicht manchmal ein wenig zu didaktische) Regiekonzeption.
Und die Musik? Wir hatten schon vor Jahren den ersten von Maestro Justin Brown verantworteten Karlsruher Ring gehört, und wir waren begeistert. Und das gleiche gilt für den neuen Ring. Um es ganz simpel zu sagen: Brown weiß mit der Badischen Staatskapelle ‚rauschhafte‘ Wagnerklänge hervor zu zaubern. Auf der Bühne nicht die üblichen Stars, sondern ein internationales Ensemble erprobter und routinierter Wagnersänger. Die von den großen Häusern verwöhnte Opernbesucherin hätte sich das eine oder andere vielleicht noch schöner und eindrucksvoller gewünscht. Doch hohes Niveau und ein homogenes Ensemble findet sie im Badischen Staatstheater alle Male.
Wir sahen die Vorstellung am 20. Juli 2016. Die Premiere war am 9. Juli 2016.