Es ist ein Gemeinplatz der Feuilleton-Kritiker, den späten Strauss gegen den frühen auszuspielen und dessen späte Opern als epigonenhaft abzutun oder sie allenfalls als matten Abglanz der Frühwerke gelten zu lassen. Eine Beobachtung, die vielleicht nicht ganz falsch ist. Hatte doch Strauss selber mit milder Selbstironie die Arabella als Kitsch bezeichnet.
Kitsch in Musik und Libretto ist wohl auch die Danae: ein schöner, ein berückender Kitsch. Von allem, wie es sich halt für Kitsch gehört, ein bisschen zu viel: zu schön, zu anrührend, so fern aller Welt. Wieder erklingt die glitzernde Musik, wieder spielen die Wiener Philharmoniker und der Leitung von Franz Welser-Möst einen Strauss der absoluten Spitzenklasse. Wieder triumphiert die Sopranstimme, eben ganz so wie wir es von Strauss kennen und erwarten: Krassimira Stoyanova singt die Danae, und die Stimmfetischisten geraten ins Schwärmen. Und da Strauss dieses Mal auch dem Bariton, dem von Danae verschmähten Liebhaber Jupiter (in der Person des höchst brillanten Tomasz Konieczny), breiten Raum lässt, steht in Salzburg einem Fest der Stimmen nichts entgegen. Strauss in Orchesterklang und Gesang auf höchstem Niveau.
Ist das nun alles Kitsch oder liegt nicht doch über allem ein Hauch von Melancholie? Lassen wir einmal die gängige biographische Deutung beiseite – mit der Danae nehme Strauss Abschied von einer Welt, die im Chaos versinkt – und schauen allein auf das Bühnengeschehen. Dieser Jupiter, der mit all seinem Goldregen die Prinzessin nicht gewinnen kann, eine Prinzessin, die von der Liebe zu einem Eselstreiber nicht lassen will, diesem Jupiter, der von der Welt Abschied nehmen muss, kann man in der Tat die Melancholie nicht absprechen. Doch der „resignierende Abschied“ ist nur ein Nebenthema. Die “heitere Mythologie“, so der Untertitel der Oper, die sich mit dem Märchen verbindet, bestimmt das Geschehen. Ein Märchen, das wiederum im Finale sich dem Kitsch alla Hollywood öffnet. Die Prinzessin verzichtet auf Geld und Gold, wird zur Teppichknüpferin – aus Liebe zum armen Eselstreiber.
Der Kitsch alla Hollywood, den indischen Kitsch als ‚Bollywood‘, macht auch Alvis Hermanis zur Grundlage seiner Inszenierung. Da tummelt sich eine ganze Heerschar von Choristen und Statisten in goldglitzernden Kostümen auf der Bühne, mächtige buntbestickte Turbane auf den Köpfen. Da tanzen die Girls auf der Treppe, da thront Jupiter bei seinem ersten Auftritt auf einem Elefanten, da führt ein Double des Midas (das ist der geliebte Eselstreiber) einen wirklichen Esel über die Bühne, da trägt Danae die goldene Spange zu schwarzem Haar, da tragen Jupiter und Midas die weiße Tracht der Brahmanen, da sinken (an Jugendstil erinnernden) Ornamente und Teppiche vom Bühnenhimmel herab, da hocken die in weiße Gewänder verhüllten Damen vor dem Webstuhl, und Midas und Danae reichen sich die Händchen, und der störende Dritte entschwindet. Ach, wie schön. Ach, wie süß. Bollywood in Salzburg.
Die Liebe der Danae in Salzburg: ein Fest der Stimmen, ein Kostümfest, eine Orgie der Ausstattung. Auf die Festspiele ist wohl ein Geldregen nieder gegangen. Statt, wie man es eigentlich erwarten müsste, gegen den monumentalen Kitsch des Librettos und den eher wundersüßen Kitsch der Musik zu steuern, setzt die Regie in gezielter Übertreibung noch eins drauf : Hollywood, Bollywood und Tausend und eine Nacht. „Zu viel! Zu viel“ seufzt Tannhäuser im Venusberg. Und so mancher Herr, der auch bei hochsommerlichen Temperaturen seinen Smoking nicht daheim lassen wollte, mag angesichts des bitteren Schicksals, das dem Herrn des Goldregens widerfahren ist, wohl gedacht haben: Hoffentlich brennt mir meine teure Mätresse nicht mit dem Chauffeur durch.
Wir sahen die Aufführung am 5. August, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 31. Juli 2016.