Alles nur Wolkenguckerei. Das Glück liegt im Altenheim. Konwitschny inszeniert Werner Egk, Peer Gynt am Theater an der Wien

Da steht, noch bevor das Orchester einsetzt,  Peer Gynt in der Person des Bo Skovhus, ein Hüne von Gestalt, ein drahtiger Bursche, ein Außenseiter,  auf der Rampe vor einem Prospekt, das Wolkenspiele zeichnet und erträumt sich ein Wolkenguckungsheim, ein Reich, in dem er der „Kaiser“ ist. Und am Ende da ist der Träumer am Ende, kehrt zu der Frau, die er zu Anfang verlassen hat, zurück  und legt ihr seinen müden Kopf in den Schoss. „Du bist zu Haus“. Und Solveig, die so lange auf Peer Gynt gewartet hatte, serviert ihm Milch und singt ihm das Wiegenlied. Wie schön, wie rührend, wie kitschig. Ein Märchen mit Antimärchen Zutaten: der Held zieht davon, erfährt und erleidet mancherlei Abenteuer und Prüfungen, scheitert und kriegt trotzdem die Prinzessin – eine Prinzessin, die ganz wie ihr Prinz recht ramponiert ist.… → weiterlesen

Alles nur Seifenblasen? Antonio Salieri, Falstaff. Eine Komödie bei den Royals am Theater an der Wien

Zum Finale des ersten Akts – der verhinderte Liebhaber Falstaff nimmt gerade ein unfreiwilliges Bad in der Themse, und der eifersüchtige Ehemann Mr Ford verheddert sich in seinen Wahnwelten – regnet es Seifenblasen vom Bühnenhimmel. Ein Signal der Selbstironie, mit dem die Regie dem Publikum zu verstehen gibt, dass in dieser Opera comica alles Geschehen doch nur ein großer Spaß sei, ein Spaß für alle, für Akteure und Musiker, für Regie und Publikum, dass wir alle gerade die Scheinwelt des Theaters erleben, dass wir gerade in eine Soap Opera eintauchen.

Und nicht genug damit. Was wir auf der Bühne sehen, das ist Theater auf dem Theater. Im großen Festsaal im Schloss in Windsor spielt die Hofgesellschaft  vor der Queen die Komödie Falstaff, und die Royals übernehmen die Hauptrollen. Kate ist Mrs Alice Ford, Prinz William übernimmt den Part des scheinbar gehörnten Ehemanns, Camilla ist Mrs Slender und Prinz Charles darf Mr. Slender mimen. Und Falstaff und sein Diener Bardolf mischen sich als Dick und Doof unter die illustre Gesellschaft, mischen diese auf – und fallen bald aus ihren Rollen. Der Diener mutiert zum Mephisto, der alle Fäden in der Hand hält und alle Figuren nach Belieben bewegt, und der korpulente Falstaff ist nur scheinbar wohlbeleibt. Im zweiten Akt wird er den Schaumstoff Wamst von sich werfen und zum durchaus attraktiven Liebhaber mutieren, der den armen Mr Ford, mag sich dieser auch als Mr Bond vorstellen, vor Eifersucht in den Wahn treibt,

Eine Figurenkonstellation, eine Handlung, ein Szenarium, mit einem Wort: ein Stoff, aus dem die Komödien sind. The Queen is amused – und wir alle im Publikum nicht minder. Zweifellos eine eingängige und überzeugende Grundkonzeption, die aus der bekannten  Shakespeare Komödie ein zeitgenössisches Boulevardstück zu machen versteht. Allerdings funktioniert das alles nur, wenn die Regie über ein spielfreudiges Ensemble grandioser Sängerschauspieler verfügt. „Für mich ist es unmöglich, mir das Stück mit Sängern, die keine guten Schauspieler sind, vorzustellen“ ( René Jacobs). Maestro Jacobs kann beruhigt sein. In Wien singt und agiert ein Ensemble, wie man es sich nicht besser vorstellen kann: Anett Fritsch als Mrs Ford, Maxim Mironow als Mr Ford, Christoph Pohl als Falstaff, Robert Gleadow als Diener und Intrigant Bardolf, um nur die Sänger der tragenden Rollen zu nennen. Exzellente Sänger und grandiose Komödianten sind sie alle. Doch die Palme gebührt Anett Fritsch. Wie  sie über die Bühne wirbelt, scheinbar hektisch und nervös, wie sie Katz und Maus mit dem verliebten Falstaff spielt, die Eifersucht des Ehemanns mal anstachelt, mal zerstreut und beide Männer zu Figuren ihres Spiels zu reduzieren weiß, das ist schon große Komödie, Feydaux Komödie, wenn man so will.

Und die Musik?  Sie hat es schwer,  sich gegenüber der Macht der Szene zu behaupten.  „Die Instrumentierung ist sehr durchsichtig, nicht dass etwas fehlt, aber wenn man kein Hammerklavier hätte, das noch im Continuo spielt, da würde man schon denken, das ist dünn“. ( René Jacobs). Ich vermag die Musik nicht zu beurteilen, zumal ich sie zuvor noch nie gehört hatte. Vielleicht nur eine Bemerkung: diese Musik,  so schien es mir, führt kein Eigenleben, sie illustriert das Geschehen, ist letztlich wohl nur der Soundtrack für eine Komödie. Vielleicht will sie auch gar nichts anderes.

Wie dem auch sei. Renė Jacobs und  Torsten Fischer haben Salieris. „Opera comica in zwei Akten“ , die 1799 uraufgeführt wurde, wieder zum Leben erweckt – wohl kaum zu langem Leben. Doch einen vergnüglichen Abend im Theater an der Wien haben sie einem begeisterten  Publikum alle Male beschert.

Wir sahen die Aufführung am 23. Oktober 2016, die Dernière. Die Premiere war am 12. Oktober 2016.

„Was für eine furchtbare Inszenierung“. Das Capriccio der Untoten oder Ästhetik nach Stalingrad. Richard Strauss, Capriccio. Konversationsstück für Musik in einem Akt am Theater an der Wien

Zum baldigen Finale der Stagione haben sich die Wiener  für eine Strauss-Produktion eine Theatermacherin aus dem ‚Reich‘ geholt. Eine Dame mit einem Brecht- und Adorno-Schaden, die mit dem späten Strauss wenig anzufangen weiß und wohl  viel lieber Mutter Courage oder den Troubadour oder Die Soldaten inszeniert hätte.

Wie kann man denn, so mögen die Vorüberlegungen zur Capriccio Inszenierung gewesen sein, im Jahre 1942 eine Oper mit einem weltfremden ästhetischen Thema schreiben. Eine Konversation über den Vorrang von Musik oder Text, eine Diskussion, die beinahe so alt ist wie die Gattung Oper selber, ein Streitgespräch über die Hierarchie der Künste, ein Plaudern über das Theater-Machen und das Metatheater, und dies alles  in den Zeiten von Auschwitz und Stalingrad.… → weiterlesen

Machtspiele mit List und Gewalt. Händel zu Besuch bei Mussolini und seiner Clique. Agrippina am Theater an der Wien

Händel und Grimani und Carsen, der Musiker, der Librettist, der Theatermacher, sie alle kennen ihren Machiavelli und wissen von ihm, dass Macht sich nur mit List und Gewalt erobern und bewahren lässt. Doch anders als der kühle Florentiner begnügen sie sich nicht mit der Beschreibung und Analyse politischer Machtstrukturen. Sie ziehen den Machtwahn ins Lächerliche, vernichten die  Figuren in der Satire. Regisseur Robert Carsen geht noch einen Schritt weiter: nicht nur dass er die Satire aktualisiert, er ändert das Finale und kehrt zu Machiavelli zurück. Es gibt bei ihm keinen Komödienschluss, geschweige denn ein lieto fine. Der neue Machthaber greift zur Sicherung seiner Herrschaft als erstes zur Gewalt, lässt den möglichen Rivalen, die Geliebte, die ihn verschmäht und die Person, die ihn mit ihren Intrigen die Macht verschafft hat, umbringen.

Die machiavellistischen Gewalt- und Ränkespiele, die das Libretto in eine ferne Vergangenheit, in das Rom des Kaisers Claudius, verlegt hatte, transferiert die Regie in das faschistische Rom der Dreißigerjahre, macht aus dem Kaiser Claudius den Duce Mussolini , einen leicht vertrottelten älteren Herrn, den statt der Machtspiele nur die Sexspiele mit seinen Girls und die theatralische Selbstinszenierung für die Kameras interessieren. Ein Duce, der die Machtspiele seiner Gattin Agrippina, der die Ränke, Intrigen und Komplotte, mit denen diese ihren Sohn Nerone als Nachfolger des Duce aufbauen will, nicht im Geringsten durchschaut bzw. der diese gar nicht durchschauen will. Ihn interessieren nur seine Gespielinnen. Und die Folgen sind fatal.… → weiterlesen

Die Mär von der gescheiterten Integration nebst Märchen- und Traumtheater und Francesca da Rimini Subtext. – Rossini, Otello am Theater an der Wien

Wenn Damiano Michieletto inszeniert, dann darf das Publikum zu Recht einen Highlight der Regiekunst erwarten –  wie zum Beispiel bei Puccinis Triptychon, das der Theatermacher aus Venedig vor ein paar Jahren in Wien herausbrachte – oder man  muss sich auf einen Flop gefasst machen wie zum Beispiel bei der Così fan tutte, die uns vor zwei Jahren in Barcelona verärgerte. Hier in Wien –sagen wir es gleich –  zeigt sich Michieletto wieder von seiner besten Seite, zieht alle Register seiner Kunst, ‚produziert seine ‚Kunstfertigkeiten‘, deckt verborgene Schichten von Rossinis dramma per musica auf.

Die Regie konzentriert sich auf die Grundstruktur des Stücks, lässt alles unnütze Beiwerk wie das Militärische beiseite und erzählt eine neue Geschichte. Dieser Otello, wie ihn Michieletto versteht, ist kein ‚Mohr‘ und kein Admiral in den Diensten der Republik Venedig. Er ist ein arabischer Investor, der mit den Großkaufleuten von Venedig zum Vorteil des Staates einträgliche Geschäfte gemacht hat und der als Gegenleistung nichts anders verlangt als eingebürgert zu werden. Ein Idealfall für die Apologeten der Integration? Eine Bestätigung  für die Multikulti Idealisten? Nicht doch! Das Bürgerrecht, so signalisieren es, wenn auch recht unwillig,  die Mitglieder ‚der herrschen Klasse‘ könne man schon konzedieren, doch einen Zugang zur hohen Gesellschaft wisse man dem Fremden  zu verwehren.… → weiterlesen

Das große Schwulentheater. Christof Loy inszeniert Peter Grimes am Theater an der Wien

Ist dieser Peter Grimes, der da in einem ausrangierten Bett, das von der Rampe in den Orchestergraben ragt, schläft, nur ein Außenseiter? Ist dieser Peter Grimes, den eine ganze Horde von scheinbar braven Bürgern, nein, den der Mob brutal aufscheucht und des Totschlags verdächtigt, weil   der Lehrling auf Grimes Fischerboot zu Tode kam, ist er nur ein Außenseiter oder vielleicht doch ein gefährlicher Psychopath? Ist er nur ein derber zu Brutalitäten neigender, ein  sich selbst bemitleidender Egozentriker mit Illusionen vom besseren Leben jenseits der Dorfgemeinschaft? In welcher Beziehung steht Grimes zu seinem Freund, dem „ehemaligen Kapitän“. Verbindet die beiden ‚Männerfreundschaft‘ oder vielleicht doch etwas mehr? In welcher Beziehung steht  Grimes zu der vom Helfersyndrom geplagten Lehrerin Ellen?… → weiterlesen