Die Goldkehlen und die Starmusiker von der Bastille Oper. Don Carlos an der Opéra National de Paris.

Sie singen so exzellent und so brillant. Sie musizieren  – unter der Leitung von Philippe Jordan – so berückend schön. Sie bereiten geradezu einen Verdi-Rausch.

Für wen? Für die internationale Kohorte der Luxusrentner? Für die gelangweilte Bourgeoisie aus dem XVIe? Für die Dame, die zur ersten Arie der Princesse Eboli ihr Telefon klingeln läßt? Für die vielen Reichen und die wenigen Schönen, die gleich in der ersten Pause die Bar im Foyer stürmen? Für die Melomanen aus der Welt von Gestern, die mit modernem Musiktheater nichts anzufangen wissen und glauben, die  Inszenierung ausbuhen zu müssen? Nein, für all diese singen und musizieren sie nicht.

Sie singen und spielen und musizieren für ein aufmerksames und begeisterungsfähiges Publikum. Und  dieses findet sich immer noch in Paris zuhauf.

Das Aufgebot von Weltstars der Opernszene, die sich in Paris versammeln, ist in derTat beeindruckend. Jonas Kaufmann als Don Carlos, Ludovic Tézier als Rodriguez, Elïna Garanča als Princesse Eboli, Sonya Yoncheva als Élisabeth de Valois, Ildar Abdrazakow als König Philippe. Besser geht es wohl kaum. Verdi-Belcanto in Vollendung. Startheater vom Allerfeinsten. Allgemeine Begeisterung im ganzen Haus. Ein Fest für Melomanen.… → weiterlesen

Eine Literaturoper nach Balzac, Splendeurs et Misères des Courtisanes: Luca Francesconi, Trompe-La-Mort. Uraufführung an der Opéra National de Paris

Palais Garnier, Paris

Schon wieder eine Uraufführung? In Karlsruhe hatten wir mit Wahnfried gerade das große Wagner-Panoptikum gesehen. Und jetzt in Paris das Balzac-Panoptikum? Nein, in Paris da gibt’s kein Panoptikum. Dort in Karlsruhe war es eine Posse, die flott und unterhaltsam in Szene gesetzt wurde. Hier in Paris gibt es ein Mélodrame, das spektakulär in Szene gesetzt wird.

Ein Mélodrame, das ganz im Sinne Balzacs von einer scheinbaren ‚Wirklichkeit‘ ausgeht – hier ist es die Zeit der großen Finanzspekulationen im Frankreich der Dreißiger- und Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts – und das  sich in eine Phantasmagorie hinein steigert, in der  Monomanen des Geldes, der Macht und der amourösen Gier ihre Gelüste zu befriedigen suchen.… → weiterlesen

Tanztheater mit „geläufiger Gurgel“. Anne Teresa De Keersmaeker inszeniert und choreographiert Così fan tutte im Palais Garnier

Così fan tutte eignet sich, wie allgemein bekannt, für die unterschiedlichsten Regiekonzeptionen. Eine Buffa, ein „dramma giocoso“, ein „offenes Kunstwerk“. Die einen, die Betroffenen, inszenieren Così gleichsam mit erhobenem Zeigefinger und erteilen ‚Lektionen für junge Liebende‘. Andere, die eher simplen Theatermacher, veranstalten einen Mummenschanz alla turca. Die noch Simpleren nehmen alles ‚realistisch‘ und wollen am liebsten auf eine Tragödie hinaus, lassen im Finale, ohne sich weiter um Musik und Libretto zu scheren, die beiden Paare frustriert auseinander laufen. Die ganz Tragischen treiben Fiordiligi, die Empfindsamere der beiden Damen, in den Selbstmord. Wieder andere setzen auf Metatheater und machen aus der Buffa Theater auf dem Theater, in dem die scheinbar so betrogenen Damen von Anfang an beim Experiment mit  der gespielten Liebe mitmachen und ebenso wie die Herren letztlich gegen sich selber spielen.

Die Möglichkeiten des ‚Regietheaters‘ sind anscheinend unbegrenzt. Oder vielleicht doch nicht? Nach der Così fan tutte in Paris, bei der die Regie die Gesangssolisten praktisch zu hilflos herum stehenden Statisten gemacht hat und der Tanzgruppe und deren Solisten – ganz im Wortverstande – freie Bahn auf einer gänzlich von Dekor und Requisiten freien Fläche gegeben hat, habe ich doch so meine Zweifel, ob wirklich alles geht und ob wir im Palais Garnier nicht  einfach Zeugen  einer gänzlich abwegigen Regiekonzeption geworden sind.… → weiterlesen

Vom Erhabenen in der Seniorenresidenz. Krzysztof Warlikowski inszeniert Iphigénie en Tauride an der Opéra national de Paris

Die Iphigenie hatten wir zuletzt im vergangenen Jahr bei den Salzburger Pfingstfestspielen gesehen. Dort hatte die Regie aus Glucks „Tragédie lyrique“ einen Actionfilm gemacht und die Handlung in eine Kolchose verlegt, wo in schreiende Farben gekleidete Bäuerinnen unter der Leitung einer höchst depressiven Oberbäuerin von einem gewalttätigen Bürokraten dazu gezwungen werden, jeden Fremden, der sich in die Kolchose verirrt hat, abzuschlachten. Wie jeder Mythos lädt auch der Iphigenie Mythos zu aktualisierenden Varianten ein und dass dieser über ein gehöriges Gewaltpotential verfügt, ist offensichtlich. Entscheidend ist nur, ob man das Aktualisieren bis hin zu Banalität und Trash treiben und wie weit man das  Thema der Gewalt herausstellen will.

Vom Hyperrealismus, der nur zu leicht in die unfreiwillige Komödie umkippen kann und  von banaler Aktualisierung  und Trash, wie sie in Salzburg exerziert wurden, hält sich in Paris  die Regie fern. Für Warlikowski sind Iphigenie wie auch schon Orest Traumatisierte, die von ihrer Vergangenheit nicht loskommen und die diese immer wieder neu erleben. Er setzt auf eine vorsichtige und zurückhaltende Aktualisierung, macht aus Iphigenie eine elegante gekleidete alte Dame, die inmitten wohl  gut betuchter  Kriegerwitwen – sie legen zum Finale die Ordensspangen ihrer Männer an – ihre letzten Tage in einer Seniorenresidenz verbringt und die in einem Rückblick noch einmal die schrecklichen Geschehnissen in Tauris und dazu die Katastrophe ihrer Familie vom beinahe vollbrachten rituellen Mord an ihr selber über den Mord an ihrem Vater bis hin zur Ermordung ihrer Mutter durch deren eigenen Sohn erlebt. Dieser Rückblick gerät ihr zur Traumerzählung, in der sich die Katastrophe der Familie hinter einer Spiegelwand und ihre eigene Geschichte auf der Vorderbühne ereignen.

In diesem Doppelspiel, in dem sich die Ereignisse überlagern und die für die Träumende gleichzeitig stattfinden, ist die Rolle der Iphigenie doppelt besetzt.  Die von ihren  Albträumen geschlagene greise Iphigenie ist eine stumme Rolle für eine Schauspielerin. Die Iphigenie, die diese in ihren Träumen sieht, ist eine junge Frau, die Priesterin der Diana, die zur Schlächterin verdammt ist  und die im letzten Augenblick vom Brudermord bewahrt wird, eine Rolle, in der Véronique Gens, wie nicht anders zu erwarten war, brilliert.

Ein lieto fine, wie es Libretto und Musik wollen, kann es in diesem Scenario nicht geben. War die Rettung des Orest – sein Blut besudelter Hals spricht dagegen – vielleicht doch nur eine Wunschvorstellung der Iphigenie? Hat sie ihren Bruder doch abgeschlachtet? War der Tod des Tyrannen vielleicht nur ein Theatercoup? (Pylades sticht ihn in der Theaterloge ab, wo sich Thoas am Schauspiel der angeblich rituellen Ermordung des Orest weiden wollte). Die Regie lässt die Frage offen. Die Albträume der greisen Iphigenie enden erst mit ihrem Tod. Sie stirbt – in einer Nachstellung der Pietà – in den Armen einer Mitbewohnerin(?) des Greisenstifts.

Eine in jeder Weise faszinierende Inszenierung, eine Variante des  Mythos, die im Palais Garnier auch ein überwiegend touristisches Publikum zur Aufmerksamkeit zwingt.  Dass neben der Rolle der Iphigénie auch alle anderen Rollen herausragend besetzt sind, dass die ‚erhabene‘ Musik Glucks angemessen zelebriert wird, versteht sich im Pariser Opernhaus von selber.

Wir sahen am 2. Dezember 2016 die 20. Aufführung der Iphigénie en Tauride in dieser Inszenierung. Die Premiere war in der Spielzeit 2006/2007.

 

Nicht Jahwe – das ‚verräterische Weib‘ erbarmt sich seiner. Samson et Dalila an der Opéra Bastille

Um es gleich zu sagen: ein enttäuschender Abend. Musik, Szene, Solisten, alles und alle bleiben unter ihren Möglichkeiten.

Ist der Sirenengesang der Dalila einfach nur Kitsch? Wollte Maestro Jordan diesen Kitsch zurück drängen ? – mit dem Erfolg, dass alles nur noch schlimmer wird und der Sirenengesang zum süßlichen Gesäusel verkommt, einem Gesäusel , dem jeglicher Anflug von Erotik fehlt? Und die Protagonistin? Keine Frage, dass sie über eine schöne Stimme verfügt. Doch weder von der Stimme her noch als Bühnenerscheinung  ist sie eine glaubhafte ‚femme fatale‘, die große Verführerin , die allein mit ihrem Zauber aus einem stolzen und sendungsbewussten Anführer einen Jammerlappen zu machen weiß. Da hilft auch die schwarze Löwenmähne, die ihr die Kostümabteilung verpasst hat, nicht weiter. Und der angeblich so stolze Anführer? Ein kräftiger Junge aus der Vorstadt – mit schöner Stimme, doch ohne jegliche Ausstrahlung. … → weiterlesen

„Questo è il bacio di Tosca“. Ein großes Opernspektakel in der Bastille Oper

Für diese Pariser Tosca  hat man alles aufgeboten, was gut und teuer, nein, was mehr als gut und teuer ist. Weltstars auf der Bühne: Anja Harteros  als Operndiva Tosca, Bryn Terfel als sadistischer und machbesessener Baron Scarpia, Marcelo Álvarez als republikanisch gesinnter naiver Liebhaber Cavaradossi. Dass dieses ‚Trio celeste‘, mögen sie alle drei auch schon so viele Male ihre Rollen gesungen und gespielt haben, aus Puccinis Musik ein Sängerfest machen, das war zu erwarten. Dass sie so makellos, so brillant, so schön und dazu noch (dies gilt für die Harteros) so anrührend singen, ohne jemals zuckrig zu sein, ohne jemals in den süßen Puccini-Kitsch zu verfallen, das macht diese Pariser Tosca zum Ereignis.

Allerdings muss man Puccini lieben, bereit sein, sich den Emotionen, die seine Musik erweckt, um nicht zu sagen, ‚erregt‘, hinzugeben. Es ist ja auch alles da, was das spätromantische Herz begehrt, was das Mélodrame fordert, was das Publikum an der italienischen Oper immer wieder begeistert: Liebe, Lust und Eifersucht, Sex and Crime, Gewalt und Sadismus. Und dazu eine Personenkonstellation, die alle Beteiligten in Desaster und Tod führt. Eine schöne leidenschaftliche Frau, ein Bösewicht, der der Schönen Gewalt antun will und von dieser erdolcht wird, ein Liebhaber, dem seine Hilfsbereitschaft und Freiheitsliebe zum Verhängnis wird. Mit einem Wort: ein Opernkrimi mit Herz und Schmerz im Übermaß, stets in Gefahr im Kitsch zu ertrinken. Ja, wenn da  Maestro Ettinger die so eingängige Musik nicht stets vom Zuckerguss bewahrte, wenn da nicht die Sängerdarsteller mit ihrer Brillanz diesen Absturz  zu verhindern wüssten. Ja, dann hätte uns wohl nichts vor dem ‘Ertrinken, Versinken‘ bewahrt.… → weiterlesen