In Freiburg beginnt man gleich zur Ouvertüre spektakulär. Ein riesiger Papst Popanz verweigert mit permanent Nein sagender Kopfbewegung einem sich am Boden einer Kapelle wälzenden Tannhäuser jegliche Vergebung. Als zusätzliche Strafe erlebt der Unglückliche daraufhin in einer Art Fiebertraum rückblickend noch einmal seine Geschichte: in der Kapelle feiern zum Gottesdienst versammelte Männlein und Weiblein in knielangen weißen Hemden, die an Chor- oder auch an OP-Hemden erinnern, eine Art schwarze Messe, binden eine weibliche Figur ans Kreuz und lassen diese gen Himmel auffahren. Ja, warum nicht. Die Kapelle ein Venusberg. Der Venusberg eine Kapelle. Eine radikale und plakative Umsetzung des Kontrasts von Christlichem und Paganem, wie sie Musik und Libretto bestimmen. Diese hybride Struktur der „romantischen Oper“ plakativ in Szene setzen zu wollen, erweist sich im Laufe der Aufführung immer eindeutiger als die Grundkonzeption der Inszenierung, für die Eva-Maria Höckmayr verantwortlich zeichnet.… → weiterlesen
Schlagwort-Archiv: Opernregie
Modenschau für die Bussi-Gesellschaft nebst Events aller Arten. Robert Carsen inszeniert Platée, „Ballet-bouffon“, von Rameau am Theater an der Wien
Die Feuilletonkritik von der Süddeutschen über die FAZ und Die Presse bis hin zum Kurier jubelt und schreibt hymnische Besprechungen. Die Erwartungen sind entsprechend hoch – und werden doch nicht ganz erfüllt. War es wirklich so toll, wie es uns die Zeitungen weismachen wollen?
Toll geht es schon zu bei diesem Kostümfest im Partykeller und im Festsaal eines leicht angestaubten Luxushotels, in dem – so der Prolog – eine ausgelassene, stark angetrunkene Gesellschaft von Neureichen aus allen Schichten zusammen mit einem versoffenen Literaten und einem Eventmanager eine Komödie auf Kosten eines Außenseiters, der sich in deren Welt eingeschlichen hat, erfindet und diese – so die folgenden drei Akte – als Show und Revue im Festsaal des Hotels durchzieht. Natürlich sind die Auftritte der eitlen und „ästhetisch minderbemittelten“ Platée (in der Person des Tenors Marcel Beekman), die in Sprache, Gesang und Verhaltensweise ständig gegen die Konventionen verstößt, der zwei Intriganten eingeredet haben, ein Herr von ganz hohem Stande habe sie als Ehegespons ausgeguckt, hinreißend komisch – eine Transvestiten Rolle, bei der der Sängerdarsteller von Bühnenerscheinung, Maske und Kostüm seine maskulinen Züge gar nicht verbirgt bzw. nicht verbergen soll, eine Rolle, die damit schon vornherein auf Komik angelegt ist. Da braucht die Regie nur darauf zu achten, dass die Szene nicht zur Klamotte abdriftet. Und dies gelingt ihr zweifellos – vielleicht bis auf die Finalszenen, in denen eine unter Cognac gesetzte Platée nur noch herum torkeln darf.… → weiterlesen
Kommt „der neue Gott gegangen“, bringt er den Geldkoffer mit. Lohengrin als Börsenkrimi an der Deutschen Oper am Rhein
Das Musiktheater in Düsseldorf bot am vergangenen Wochenende ein Kontrastprogramm: Le Nozze di Figaro in einer konventionellen, im Ästhetizismus schwelgenden Inszenierung und einen Lohengrin als ‚Regietheater‘ Exempel, eine Lohengrin Inszenierung, die von Wagners „romantischer Oper“ nichts mehr übrig lässt.
Sabine Hartmannshenn erzählt Wagners „Dichtung“ ganz neu und ganz anders, versteht ihre ‚Arbeit am Mythos‘ als radikale Aktualisierung und macht aus der Geschichte von der unglücklichen Prinzessin und ihrem Traummann, aus dem Märchen vom Gralsritter und seiner “überirdischen Macht“ einen Wirtschafts- und Börsenkrimi, der von der Allmacht des Geldes erzählt. Und konsequenterweise ist Ort der Handlung der große Saal einer Börse, eine szenische Einrichtung, die wohl der Madrider Börse nachempfunden ist. Die Lohengrin Story als Wirtschaftskrimi? Geht das? Ja, das funktioniert. Die Regie weiß diese befremdliche Konzeption von Anfang bis Ende stringent durchzuziehen:… → weiterlesen
Ästhetizismus pur. Eine anspruchslos schöne Le Nozze di Figaro Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf
Kein Zweifel: ein wunderschöner Opernabend, schön gesungen, schön musiziert, schöne, ob weiblich ob männlich, Sängerdarsteller auf der Bühne, ein schönes Dekor, schöne Kostüme, alles wunderschön.
Und doch? Das war Musiktheater aus der ‚Welt von Gestern‘. Beim Düsseldorfer Figaro hatte noch einmal ein einst zu Recht hochberühmter Theatermann die Ehre, seine ‚Kunstfertigkeiten zu produzieren‘, Kunstfertigkeiten, mit denen er vor Jahrzehnten an der Kölner Oper – und nicht nur dort – zu brillieren wusste und die doch heute so hoffnungslos antiquiert und obsolet erscheinen.
Da bewegen sich nun schöne, elegant gekleidete Bühnenfiguren in einem andalusischen Dekor. Der Conte Alamaviva nennt wohl einen klassischen Parador sein eigen. Und die Landmädchen sind so kostümiert, als wollten sie geradewegs zur Feria nach Sevilla aufbrechen. Gespielte Zeit ist ein unbestimmtes 19. Jahrhundert, als die Latifundien-Besitzer noch alle Macht besaßen. Zwar sind die Untergebenen schon mal ein bisschen aufmüpfig, ohne indes die Herrschaften je in Gefahr zu bringen. Um “Klassenkampf“, wie man uns im Programmheft weismachen will, geht es in dieser so kreuzbraven Inszenierung gar nicht und bei Mozart und Da Ponte erst recht nicht. In dieser Inszenierung geht es um gar nichts.… → weiterlesen
Absolutistisches Huldigungstheater in der klassizistischen Arena und auf der Probebühne. Eine vieldeutige oder auch nur eine konzeptionslose La Clemenza di Tito an der Bayerischen Staatsoper
Ein Libretto nach Metastasio, auf das Mozart einige seiner schönsten Arien für Frauenstimmen komponiert – und einige seiner langweiligsten Rezitative geschrieben hat (bzw. hat schreiben lassen). La Clemenza di Tito, eine wahre Crux für unsere Theatermacher. Vor ein paar Jahren hatte Martin Kusej in Salzburg die Figur des Tito als Trottel ‚entlarvt‘ und dessen Nachsicht und Milde als Masochismus eines Gestörten gedeutet. Eine ganz andere, vielleicht sogar eine ganz neue Interpretation schlug unlängst Krzysztof Warlikowski im Théâtre de la Monnaie vor, wenn er das Moment der permanenten Öffentlichkeit, in der der absolutistische Herrscher und seine Entourage stehen, herausstellt und dem entsprechend die Handlung konsequent in ein Fernsehstudio verlegt und die Handelnden zu Politikern von heute macht, die unter ständigem Stress ihr Leben verbringen und ihre Entscheidungen treffen. Eine wiederum andere Deutung war im vergangenen Sommer beim Festival der Alten Musik in Innsbruck zu sehen, eine Inszenierung, bei der das Produktionsteam unter Christoph von Bernuth eine Modeerscheinung des 18. Jahrhunderts, den Freundschaftsdiskurs, in das Zentrum des Interesses rückt und die homoerotischen Neigungen eines alternden Mannes zu einem androgynen Jüngling, dem jungen Sesto, in Szene setzt. Allesamt Deutungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können und die für die Polyvalenz des scheinbar so antiquierten Librettos sprechen.
Und jetzt in München? Da weiß sich Theatermacher Jan Bosse nicht so recht zu entscheiden.… → weiterlesen
Und sie fängt ihn nicht wieder ein. Kein lieto fine für Ruggiero und Bradamante. Alcina an der Opéra National de Paris
Armida, Circe und Calypso haben es besser. Ihnen bleiben zumindest die Tränen („Mi restano le lagrime“) – und das Leben. Alcina bleibt nichts. Sie muss Geliebten und Leben lassen. Ihr Held verlässt sie nicht nur. Er meuchelt sie noch dazu und weiß den Mord so aussehen zu lassen, als habe sie sich selber erdolcht. Die wieder aufgetauchte mütterliche Ehefrau Bradamante und ihr Psychiater scheinen zu triumphieren. Ein kurzfristiger Triumph. Noch über ihren Tod hinaus dominiert die sanfte Alcina den schwächlichen Ruggiero. Nicht zur Mutter kehrt er zurück. Er entschwindet ins Dunkel, in „das dunkle Reich des Todes“? Ein stupendes Finale mit impliziten Verweisen auf Freud und Wagner.
Und das war auch schon der einsame Höhepunkt einer Inszenierung, die ansonsten so dahin plätschert.… → weiterlesen