Das Musiktheater in Düsseldorf bot am vergangenen Wochenende ein Kontrastprogramm: Le Nozze di Figaro in einer konventionellen, im Ästhetizismus schwelgenden Inszenierung und einen Lohengrin als ‚Regietheater‘ Exempel, eine Lohengrin Inszenierung, die von Wagners „romantischer Oper“ nichts mehr übrig lässt.
Sabine Hartmannshenn erzählt Wagners „Dichtung“ ganz neu und ganz anders, versteht ihre ‚Arbeit am Mythos‘ als radikale Aktualisierung und macht aus der Geschichte von der unglücklichen Prinzessin und ihrem Traummann, aus dem Märchen vom Gralsritter und seiner “überirdischen Macht“ einen Wirtschafts- und Börsenkrimi, der von der Allmacht des Geldes erzählt. Und konsequenterweise ist Ort der Handlung der große Saal einer Börse, eine szenische Einrichtung, die wohl der Madrider Börse nachempfunden ist. Die Lohengrin Story als Wirtschaftskrimi? Geht das? Ja, das funktioniert. Die Regie weiß diese befremdliche Konzeption von Anfang bis Ende stringent durchzuziehen: die Erbin eines großen Aktienpakets, eine gewisse Elsa, ist wohl von einem Spekulanten, einem gewissen Herrn Telramund, um ihr Paket gebracht und in die Psychiatrie abgeschoben worden. Der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Präsident der Börse, ein gewisser Herr König, steht eher auf Seiten des Spekulanten. Doch ehe es zum Eklat kommt, weiß ein plötzlich erscheinender Unbekannter, der wohl über unbegrenzte Mittel verfügt, die Angelegenheit hinter den Kulissen zu regeln. Der Spekulant darf an der Börse nicht weiter mitspielen und erhält als Abfindung einen gut gefüllten Geldkoffer. Der neue Investor übernimmt die Macht an der Börse, im Unternehmen, und bekommt als Morgengabe die wieder an ihr Aktienpaket gelangte Elsa zur Frau – unter der Bedingung, dass sie sich nicht weiter über den Investor informiert.
In diesem Stil geht es weiter. Dass Libretto und Musik kaum etwas mit dem uns erzählten Wirtschaftskrimi zu tun haben, das nehmen wir im Publikum so hin. Dass Elsa schließlich unbedingt wissen will, wer dieser Investor ist, mit dem sie im Brautgemach erste, ziemlich eindeutige, Sexversuche macht, das wissen wir noch aus der “romantischen Oper“. Dass der Spekulant seinerseits dem Investor mit Kündigung und Abfindung droht und dass Elsa dem abgehalfterten Börsianer, als dieser in ihr Schlafzimmer, das sich praktischerweise gleich in der Börse befindet, eindringt, mit der Champagnerflasche eins über den Schädel haut, das passt auch noch in die Grundkonzeption vom Krimi. Warum indes der Investor seinen Kollegen zum Abschied ein frommes Märchen vorträgt, diesen Missgriff hat wohl ausschließlich R.W. zu verantworten und den kann die Regie nicht aus der Welt schaffen. Dass der Investor, bevor er sich endgültig davon macht, Elsa noch einen prall gefüllten Geldkoffer hinterlässt und dass der Aufsichtsratsvorsitzende sich zusammen mit seinem Assistentin diesen Koffer gleich aneignet, das gehört dann wieder in den Wirtschaftskrimi. Oder vielleicht in die (ungewollte?) Parodie eines Wirtschaftskrimis? Ja, wir wissen schon: die Banker sind maßlos gierig und nicht nur diese, wie Wagner in seiner revolutionären Phase schon anmerkt: „Unser Gott aber ist das Geld, unsere Religion der Gelderwerb“ – so zitiert das Programmheft den Meister und rechtfertigt damit implizit die Regiekonzeption.
Lohengrin als Wirtschaftskrimi aus der der Welt der Hochfinanz. Eine durchaus nachvollziehbare Konzeption, wenn sie so stringent und kohärent wie in Düsseldorf in Szene gesetzt wird. Wären da nur nicht dieser so schrecklich platte Pseudorealismus und diese banale zwangshafte Aktualisierung. Degradierung, Banalisierung und Aktualisierung von Mythen, das ist eine ‚Arbeit am Mythos‘ und eine Erzähltechnik, die nicht gerade neu sind und die immer die Gefahr mit sich bringen, den Zugang zur Musik zu erschweren, wenn nicht gar zu verstellen.
Ja, gesungen und musiziert wurde bei diesem Lohengrin auch – und dies auf durchweg hohem Niveau. In den Hauptrollen stehen mit Manuela Uhl und mit den Herren Saccà und König Stars des Wagnergesangs auf der Bühne, und Maestro Kober ist ein ausgewiesener Wagnerdirigent. Und doch: von rauschhafter Wagnerdroge nicht die Spur. Lag es vielleicht an der Regie mit ihrem Hang zum Banalen, dass sich kein Wagnerzauber einstellen wollte? Ich weiß es nicht. Einen glanzvollen Opernabend bot diese Vorstellung wohl nicht. Eine durchschnittliche Repertoireaufführung. Und weiter nichts. Wer einen szenisch und musikalisch faszinierenden Lohengrin hören und sehen will, der sollte in dieser Spielzeit nicht unbedingt nach Düsseldorf oder Duisburg fahren, sondern nach Graz.
Wir sahen die Vorstellung am 16. Februar 2014, die siebte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 18. Januar 2014.