Die Feuilletonkritik von der Süddeutschen über die FAZ und Die Presse bis hin zum Kurier jubelt und schreibt hymnische Besprechungen. Die Erwartungen sind entsprechend hoch – und werden doch nicht ganz erfüllt. War es wirklich so toll, wie es uns die Zeitungen weismachen wollen?
Toll geht es schon zu bei diesem Kostümfest im Partykeller und im Festsaal eines leicht angestaubten Luxushotels, in dem – so der Prolog – eine ausgelassene, stark angetrunkene Gesellschaft von Neureichen aus allen Schichten zusammen mit einem versoffenen Literaten und einem Eventmanager eine Komödie auf Kosten eines Außenseiters, der sich in deren Welt eingeschlichen hat, erfindet und diese – so die folgenden drei Akte – als Show und Revue im Festsaal des Hotels durchzieht. Natürlich sind die Auftritte der eitlen und „ästhetisch minderbemittelten“ Platée (in der Person des Tenors Marcel Beekman), die in Sprache, Gesang und Verhaltensweise ständig gegen die Konventionen verstößt, der zwei Intriganten eingeredet haben, ein Herr von ganz hohem Stande habe sie als Ehegespons ausgeguckt, hinreißend komisch – eine Transvestiten Rolle, bei der der Sängerdarsteller von Bühnenerscheinung, Maske und Kostüm seine maskulinen Züge gar nicht verbirgt bzw. nicht verbergen soll, eine Rolle, die damit schon vornherein auf Komik angelegt ist. Da braucht die Regie nur darauf zu achten, dass die Szene nicht zur Klamotte abdriftet. Und dies gelingt ihr zweifellos – vielleicht bis auf die Finalszenen, in denen eine unter Cognac gesetzte Platée nur noch herum torkeln darf. Natürlich ist der Regieeinfall, Jupiter zum allseits vergötterten Modezar Karl Lagerfeld zu machen, höchst witzig und unterhaltsam. Das gleiche gilt für die Figur der La Folie, die in der Person der exzentrischen Starsopranistin Simone Kermes als Lady Gaga und als gefeierte Nachtklubsängerin zum Gaudi der Bussi-Gesellschaft auf der Bühne und im Saal bizarre Auftritte hinlegt. Keine Frage auch, dass die Tanzgruppe bei ihren zahlreichen Auftritten zu brillieren weiß, dass das Orchester Les Arts Florissants unter Maestro Paul Agnew einen schmissigen Rameau spielt und bei der Imitation der Tierstimmen eine geradezu umwerfende Komik erreicht, dass Parodie und Satire, wie sie Komponist und Librettist verlangen, im Graben und auf der Bühne perfekt realisiert werden.
Wie einst am Hofe Ludwig XV die Gesellschaft bei dieser Platée über sich selber lachte , sich in den Karikaturen wieder erkannte und die Verspottung der Mächtigen genoss, so werden in Robert Carsens Aktualisierung die Idole der Neureichen und die Bussi-Gesellschaft von heute zu Karikaturen, nicht zu bösartigen Karikaturen, sondern zu Objekten eines milden und mitunter auch geistreichen Spotts. Karneval in Wien. Allein in der Schlussszene streift die Komödie leicht die Tragödie, eine Komödie, die entgegen den Konventionen der Gattung sich nicht mit der gesellschaftlichen Vernichtung des Protagonisten begnügt, sondern diesen in den Selbstmord treibt, in einen Selbstmord, der der Komik nicht entbehrt. Platée meuchelt sich mit Amors Pfeil.
Keine Frage, dass bei dieser grandiosen und opulenten Revue Mitwirkende und Zuschauer ihren Spaß und ihr Vergnügen haben und dass alles Mäkeln nichts als Beckmesserei wäre. Und doch? Wie sagte so schön der Tanzmeister zum Musiklehrer in der Ariadne auf Naxos. „Es sind Längen in der Oper – gefährliche Längen. Man lässt sie weg […]. Sehen Sie zu, dass er genug streicht“. In Wien in der Platée gab es offensichtlich keinen Tanzmeister und keinen Dramaturgen, der zu Strichen geraten hat. So gab es denn von allem ein bisschen zu viel. Und vom Schauen und Hören erschöpft, sehnt sich so mancher im Publikum nach den Gaben des Bacchus – ganz so wie die aufgekratzte Gesellschaft im Prolog. Trotz alledem ein großer Erfolg für alle Mitwirkenden im Theater an der Wien. Schade, dass die jubelnden und eigentlich sehr unkritischen Feuilletonschreiber offensichtlich vergessen haben, dass in Stuttgart Calixto Bieito eine Platée als Transvestiten Show, als Bühne voller Narren, inszeniert hat, die Carsens Platée nicht im geringsten nachsteht.
Wir sahen die Aufführung am 19. Februar 2014, die zweite Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 17. Februar 2014.