Die Mär vom Leiden und Sterben am katholischen Fundamentalismus. Ein Fiebertraum in der Kapelle. Tannhäuser am Theater Freiburg

In Freiburg beginnt man gleich zur Ouvertüre spektakulär. Ein riesiger Papst Popanz verweigert mit permanent Nein sagender Kopfbewegung einem sich am Boden einer Kapelle wälzenden Tannhäuser jegliche Vergebung. Als zusätzliche Strafe erlebt der Unglückliche daraufhin in einer Art Fiebertraum rückblickend noch einmal seine Geschichte: in der Kapelle feiern zum Gottesdienst versammelte Männlein und Weiblein in knielangen weißen Hemden, die an Chor- oder auch an OP-Hemden erinnern, eine Art schwarze Messe, binden eine weibliche Figur ans Kreuz und lassen diese gen Himmel auffahren. Ja, warum nicht. Die Kapelle ein Venusberg. Der Venusberg eine Kapelle. Eine radikale und plakative  Umsetzung des Kontrasts von Christlichem und Paganem, wie sie Musik und Libretto bestimmen. Diese hybride Struktur der „romantischen Oper“ plakativ in Szene setzen zu wollen, erweist sich im Laufe der Aufführung immer eindeutiger als die Grundkonzeption der Inszenierung, für die Eva-Maria Höckmayr verantwortlich zeichnet. Ganz in diesem Sinne sind Venus und Elisabeth von Bühnenerscheinung, Haartracht und Kostüm geradezu Zwillingsschwestern, verkörpern denselben Frauentyp der attraktiven leidenschaftlichen Frau, die Leidenschaft einfordert, eine Passion, die Elisabeth nur mühsam unterdrücken kann. In ihren Schlussszenen erwartet sie den angeblichen Büßer Tannhäuser nicht im keuschen Kostüm der „reinen Jungfrau“, sondern gleich im kurzen Nachthemd mit rotem Überhang – eben als Venus. Der Gutmensch Wolfram – er wird eigentümlich blass und zurückhaltend gezeigt – singt zwar schön brav sein Lied an den Abendstern und begreift erst, als die leibhaftige Venus ihn zärtlich umgarnt, dass der „holde Abendstern“, den er da anruft, der Stern der Venus ist. Und jetzt hat es auch der naivste Opernbesucher mitbekommen, dass der so schön melancholische Gesang, dieser Ohrwurm, der uns allen so gefällt, nur scheinbar einer frommer Gesang ist, dass er im Grunde eine unterdrückte Liebeserklärung an die Göttin Venus ist, der sich der arme Wolfram nur mühsam entziehen kann. Ja, wir erinnern uns: „Das Ewig-Weibliche zieht uns…“ – natürlich hinab.

Kein Wunder, dass die Sänger ihre verklemmten Liebeskonzeptionen von der Kanzel herab verkünden, die praktischerweise gleich über dem Beichtstuhl angebracht ist. Und natürlich singt auch Tannhäuser sein Preislied auf die Göttin Venus von der Kanzel herab, von dem Ort, von dem das Wort des christlichen Gottes verkündigt wird. Paganes und Christliches, Lust und Frust, Leidenschaft und unterdrückte Wünsche, Heiliges und Unheiliges in trefflicher Symbiose. Letztlich eine simple, doch für jedermann verständliche Regiekonzeption – ganz aus dem Geiste der Musik zum Tannhäuser  mit ihren dröhnenden Chorälen und ihrer glitzernden Erotik.

Schade nur, dass den gelungenen und überzeugenden Szenen so manch andere biedere und konventionelle Szene gegenübersteht. Schrecklich die Auftritte der Pilgerchöre: der Männergesangverein von der Heiligen Cäcilia auf der Wallfahrt nach Sankt Märgen. Ärgerlich auch das ewige Auf-den-Knien-Herumrutschen, zu dem der arme Tannhäuser noch zusätzlich verdammt wurde. War doch der Arme an diesem Abend so indisponiert, dass er die Partie nur unter größter Anstrengung durchstehen konnte und bei der Romerzählung fürwahr ein Objekt des Mitleids wurde. Wolframs Diktum: „Heinrich, Du bist erlöst“ bekam so einen ganz konkreten Sinn. Wie seltsam, wie ärgerlich, dass ein mittelgroßes Haus keinen Ersatz für einen erkrankten Sänger finden kann und diesen in eine so mörderische Partie schickt, nur um die Premiere zu retten. Christian Voigt in der Rolle des Tannhäusers hat an diesem Abend fürwahr eine heroische Leistung vollbracht, und zu Recht feierte ihn ein dankbares Publikum.

Ansonsten ein schöner Wagnerabend im biederen Freiburg. Kein Wagnerabend, der frei nach Nietzsche die stärksten Stiere umwirft. „Wagner ist schlimm für die Jünglinge; er ist verhängnisvoll für das Weib“. Seid außer Sorg. Bei diesem Wagnerabend bestand für die Freiburger Jünglinge und ihre Damen keine Gefahr.

Wir sahen die Premiere am 22. Februar 2014.