28. 03. 09 „Die spekulieren wohl auf die Abwrackprämie“. Eine Wiederaufnahme von Le Nozze di Figaro am Aalto-Musiktheater in Essen

Nein, so böse, wie das klingt, war die Bemerkung einer Besucherin wohl nicht gemeint. Und sie bezog sich wohl  auch nicht auf die gesamte Inszenierung, sondern nur auf das Bühnenbild im letzten Akt. Aus dem nächtlichen ‚Garten der Lüste’ (für simple Gemüter: aus dem Garten der amourösen Verirrungen) ist in Essen ein Schrottplatz für die ausgedienten gräflichen Kutschen geworden, die ohne Rücksicht auf die Umweltverschmutzung geradewegs vor einem Pinienwäldchen abgestellt worden sind.  Wir wollen das Schrottplatzmotiv nicht zum Symbol des Essener Figaro machen. Aber vielleicht sollten die Verantwortlichen im Aalto-Theater ihre etwas sehr in die Jahre gekommene harmlos-konventionelle Inszenierung doch bald ‚abwracken’, eine Inszenierung, die, mag sie auch vor mehr als zehn Jahren in manchem Feuilleton gelobt worden sein, brav und bieder das historische Ambiente der Mozart Zeit nachzustellen sucht, die das erotische Geflecht zwischen den handelnden Personen allenfalls andeutet und die von den möglichen Konflikten zwischen den Ständen, vulgo: von einem prärevolutionären  Zeitgeist  erst gar nichts wissen will. Mit einer solchen Produktion erregt man nirgendwo Anstoß.

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19. 03. 09 Ein Sängerfest in der Welt von Vorgestern. Händels Tamerlano an der Bayerischen Staatsoper

Was ich mir fast auf den Tag genau vor einem Jahr notierte, als wir die Premiere sahen, das gilt ohne alle Einschränkungen auch für die Wiederaufnahme, die wir heute sahen: grandiose Sänger im historischen Kitsch. Doch seien wir nicht so streng und sprechen statt dessen von dem anerkennungswerten Versuch, klassisches französisches Theater in eine Händel Oper zu transformieren.

„Mehr als ein Jahrzehnt lang war München berühmt – für konservative Händelverehrer vielleicht auch berüchtigt – für seine spektakulären Händelinszenierungen. Und jetzt zum Finale der Händel Ära macht man drei Schritte zurück, zurück in puren Konventionalismus, in eine historische Aufführungspraxis im Stil der französischen Klassik und versucht ohne eine Spur von Ironie oder gar Parodie, Opas Barockoper wiederauferstehen zu lassen.

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15. 03. 09 Todesriten – Eine Wiederaufnahme von Robert Wilsons Götterdämmerung vom Jahre 2002 im Opernhaus Zürich

Wer zu einer Robert Wilson Inszenierung geht, der weiß, was ihn erwartet: ein Fest des Manierismus, ein Artefakt, dem jeglicher Bezug auf eine wie auch immer geartete ‚Wirklichkeit’, jeder Hinweis auf eine konkrete Zeit fern liegen. Es gibt kein Bühnenbild, nur Lichtschattierungen und Lichtbalken. Es gibt mit Ausnahme der für die Handlung unentbehrlichen Gegenstände wie Hagens Speer oder Siegfrieds Schwert und Tarnhelm praktisch keine Requisiten. Und Speer bzw. Schwert und Tarnhelm tragen die beiden Gegenspieler gleichsam wie materialisierte Leitmotive ständig mit sich herum. Die Kostüme sind lange Gewänder, die an mönchische Kutten erinnern. Gestik und Bewegung sind bis in die kleinsten Regungen durchstilisiert und ritualisiert. Auf der Bühne agieren keine Menschen, sondern Wesen aus einer fernen unbestimmten Urzeit oder vielleicht auch Untote, die ihre Leidenschaften, von denen die Musik erzählt, verhalten und rituell, im Wissen um ihr auswegloses Geschick  und gleichsam innerlich unbeteiligt, noch einmal nachspielen, auf einer Bühne, auf der sie durch die Lichteffekte immer wieder zu Scherenschnittfiguren werden:  Schattenrisse aus dem Totenreich.

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13. 03. 09 Eros und Thanatos für Anfänger. Tannhäuser im Teatro Real in Madrid

Eigentlich ist es mehr als snobistisch, von Zürich nach Madrid zu fliegen, um Wagners „große romantische Oper“ in einem spanischen Musiktheater, in amerikanischer Ausstattung und Inszenierung, mit deutschsprachigen Sängern zu hören und zu sehen. Und die Enttäuschung  ist auch entsprechend. Natürlich darf man in Madrid kein großes Opernspektakel im Stile eines Neuenfels, eines Konwitschny oder eines David Alden erwarten. Aber etwas Besonderes erhoffte man sich doch. Eine trügerische Hoffnung. Die Madrider Verantwortlichen haben sich bei ihrem Tannhäuser für etwas Braves und Konventionelles entschieden und eine Inszenierung aus Los Angeles eingekauft. Regisseur Ian Judge ist immerhin so kühn, die Handlung in die Entstehungszeit der Oper und in großbürgerliche Salons zu verlegen. So sitzt denn zur Ouvertüre der Hausherr, unser Tannhäuser, im weiten roten Schlafrock am Flügel und scheint vergessen zu haben, dass die Damen und Herren eines gewissen Etablissements einen Pornoabend für ihn vorbereitet haben. Allein die  angebotene Erotik-Show ist trotz aller Striptease Bemühungen des Personals so zäh und so langweilig, auch wenn die Leiterin des Etablissements sich in ihr Cocktailkleid geworfen hat, sich dekorativ auf den Flügel legt, Champagner aus der Flasche säuft, den Joint mit dem Hausherrn teilt, dass man auch im Publikum sehr schnell versteht, dass unser braver Sänger und Dichter aus diesem „Reiche fliehen“ will. Wir sind nicht geflohen, obwohl der erste Akt Schlimmes für den Abend befürchten ließ.

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10. 03. 09 Liebelei unter Zwang in der Arkadien Sekte. Joseph Haydn: La fedeltà premiata in Zürich

“Dramma pastorale giocoso in drei Akten” so lautet der Titel von Haydns im Jahre 1781 im Schloss Eszterháza uraufgeführten Oper. Von einem dramma pastorale, von einem heiteren Spiel, das sich unter Hirten in einem utopischen Arkadien ereignet, will man in Zürich nichts wissen. Hier ist aus Arkadien  und seinen Hirten eine Sektenkommune geworden, die von einem tyrannischen und zugleich lüsternen Guru beherrscht wird, der im Namen eines angeblich göttlichen Gesetzes jegliche dauerhafte Liebesbindung unter Todesstrafe stellt und dafür die ständige Liebelei, „die freie Liebe“ verfügt. Eine Transformation, eine Zerstörung des Mythos von Arkadien, die das diesem selbst innewohnende Element des Tyrannischen und des Destruktiven verabsolutiert und aktualisiert. Die arkadische Literatur schuf einst, so mag man sich erinnern, eine ideale, mit dem Mythos vom goldenen Zeitalter verbundene utopische Welt, eine Art irdisches Paradies mit ewigem Frühling, in dem die Hirten frei von allen Zwängen leben, sich Gesang und Poesie widmen und wo Amor ein milder Herrscher ist. Diese arkadische Gegenwelt, die im 16. Jahrhundert ein beliebtes literarisches Gesellschaftsspiel war, hatte sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts  schon von selbst erledigt. Aus Amor war  – vielleicht spiegelbildlich zum Aufkommen des Absolutismus – ein tyrannischer Herrscher geworden, und das schöne Spiel, dass am Ende  nach allerlei Leiden und Missverständnissen der Schäfer die Schäferin bekommt, wollte nicht mehr funktionieren.

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28. 02. 09 Opernkulinarik im Händel-Museum. Das Badische Staatstheater Karlsruhe rekonstruiert die Uraufführung der Erstfassung des Radamisto vom Jahre 1720 (HWV 12a)

Man mag  des Regietheaters überdrüssig sein. Man mag dessen manchmal intellektuell dürftige oder gar simpel dümmliche Exzesse für abwegig halten. Man mag Händel Revuen und Händel Seifenopern für unvereinbar mit der Musik halten. Aber muss es dann  gleich das andere Extrem sein? Muss es gleich die „historisch informierte Aufführung“ sein? Und eine solche bedeutet für das Karlsruher Produktionsteam um die Choreographin und Regisseurin Sigrid T’Hooft neben einer „barocken Gestik“ „originalgetreue barocke Kostüme, eine  reine Kerzenbeleuchtung und eine aufwändige Kulissenbühne, die der Uraufführung […] so nahe kommt wie nur möglich“. Ein ehrgeiziges Konzept, das am Badischen Staatstheater zur Begeisterung des Publikums  in absolut perfekter Manier realisiert wurde.

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