Kinoträume werden ‚wahr‘. Axel Ranisch inszeniert Haydn, Orlando Paladino. Dramma eroicocomico

Was macht man aus einer Parodie der Parodie, einer Parodie des Rasenden Rolands, die ihrerseits schon eine Parodie auf die alten Ritterromane ist? Filmemacher Ranisch hat für dieses Problem eine geistvolle, witzige und noch dazu höchst unterhaltsame Lösung gefunden: aus einer Melange aus opera seria und Buffa macht er einen Herz/Schmerz Kinofilm, in dem die Personen der Oper zugleich Figuren des Films sind und sich darüber hinaus in der ‚realen‘ Welt eines Kinosaals bewegen. Nicht genug damit. Der Besitzer des kleinen Kinos, der zugleich als Filmvorführer fungiert – eine stumme Rolle – mischt sich in das Geschehen ein, spielt mit, erfüllt sich seine Sehnsüchte, darf seinen Lieblingsschauspieler für sich gewinnen und mit diesem zusammen seinen homophilen Neigungen nachgeben. Seine Freundin Gaby, das Mädchen für alles im Kino, darf endlich den Hausmeister für sich haben.

Sehnsüchte und Träume werden ‚Wirklichkeit‘ – auf allen Ebene. Die kleine Süßigkeitenverkäuferin wird zur rothaarigen Zauberin Alcina, die im Film und in der Oper das Geschehen dirigiert. Der Hungerleider Pasquale wird zum ‚tapferen Rittersmann‘ und, was mehr seinen Sehnsüchten entspricht, zum virtuosen Sänger, der als Zugabe das Töchterchen des Hausmeisters zur Frau bekommt. La bella Angelica und ihr schmachtender Schönling Medoro, deren Liebesgeschichte die Filmreklame ankündigt, werden ‚wirkliche‘ Figuren, treten aus dem Stummfilm heraus in die ‚Wirklichkeit‘ des Kinosaals, werden auch dort vom eifersüchtigen Orlando verfolgt, der in seiner Raserei den Saal zu Kleinholz macht. Sie alle sind zugleich Filmstars und Opernfiguren. Im Finale werden sie als Zuschauer das melodramatische Ende des Film-Liebespaares erleben – Medoro wird von Wilden erschlagen und Angelica ersticht sich – und in der ‚Wirklichkeit‘ des Kinosaals erlebt das scheinbar unglückliche Paar als Opernfiguren sein lieto fine. Ihr lieto fine erleben auch die beiden Rivalen Orlando und  Rodomonte. Rodomonte, der sich zu seinen homophilen Neigungen bekennt und darüber Angelica vergisst. Orlando, der nach einem Schluck Lethe seinen Wahn vergisst.… → weiterlesen

10. 03. 09 Liebelei unter Zwang in der Arkadien Sekte. Joseph Haydn: La fedeltà premiata in Zürich

“Dramma pastorale giocoso in drei Akten” so lautet der Titel von Haydns im Jahre 1781 im Schloss Eszterháza uraufgeführten Oper. Von einem dramma pastorale, von einem heiteren Spiel, das sich unter Hirten in einem utopischen Arkadien ereignet, will man in Zürich nichts wissen. Hier ist aus Arkadien  und seinen Hirten eine Sektenkommune geworden, die von einem tyrannischen und zugleich lüsternen Guru beherrscht wird, der im Namen eines angeblich göttlichen Gesetzes jegliche dauerhafte Liebesbindung unter Todesstrafe stellt und dafür die ständige Liebelei, „die freie Liebe“ verfügt. Eine Transformation, eine Zerstörung des Mythos von Arkadien, die das diesem selbst innewohnende Element des Tyrannischen und des Destruktiven verabsolutiert und aktualisiert. Die arkadische Literatur schuf einst, so mag man sich erinnern, eine ideale, mit dem Mythos vom goldenen Zeitalter verbundene utopische Welt, eine Art irdisches Paradies mit ewigem Frühling, in dem die Hirten frei von allen Zwängen leben, sich Gesang und Poesie widmen und wo Amor ein milder Herrscher ist. Diese arkadische Gegenwelt, die im 16. Jahrhundert ein beliebtes literarisches Gesellschaftsspiel war, hatte sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts  schon von selbst erledigt. Aus Amor war  – vielleicht spiegelbildlich zum Aufkommen des Absolutismus – ein tyrannischer Herrscher geworden, und das schöne Spiel, dass am Ende  nach allerlei Leiden und Missverständnissen der Schäfer die Schäferin bekommt, wollte nicht mehr funktionieren.

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