“Dramma pastorale giocoso in drei Akten” so lautet der Titel von Haydns im Jahre 1781 im Schloss Eszterháza uraufgeführten Oper. Von einem dramma pastorale, von einem heiteren Spiel, das sich unter Hirten in einem utopischen Arkadien ereignet, will man in Zürich nichts wissen. Hier ist aus Arkadien und seinen Hirten eine Sektenkommune geworden, die von einem tyrannischen und zugleich lüsternen Guru beherrscht wird, der im Namen eines angeblich göttlichen Gesetzes jegliche dauerhafte Liebesbindung unter Todesstrafe stellt und dafür die ständige Liebelei, „die freie Liebe“ verfügt. Eine Transformation, eine Zerstörung des Mythos von Arkadien, die das diesem selbst innewohnende Element des Tyrannischen und des Destruktiven verabsolutiert und aktualisiert. Die arkadische Literatur schuf einst, so mag man sich erinnern, eine ideale, mit dem Mythos vom goldenen Zeitalter verbundene utopische Welt, eine Art irdisches Paradies mit ewigem Frühling, in dem die Hirten frei von allen Zwängen leben, sich Gesang und Poesie widmen und wo Amor ein milder Herrscher ist. Diese arkadische Gegenwelt, die im 16. Jahrhundert ein beliebtes literarisches Gesellschaftsspiel war, hatte sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts schon von selbst erledigt. Aus Amor war – vielleicht spiegelbildlich zum Aufkommen des Absolutismus – ein tyrannischer Herrscher geworden, und das schöne Spiel, dass am Ende nach allerlei Leiden und Missverständnissen der Schäfer die Schäferin bekommt, wollte nicht mehr funktionieren.
Wenn in Zürich aus Arkadien eine Zwangskommune wird, dann können sich Regisseur Herzog und sein Team auf die tyrannische Komponente des Mythos berufen. Und von daher gesehen erscheint ihr Konzept durchaus schlüssig und kohärent. Nicht genug damit. Auch wenn im Laufe des Stücks Herzog seine Grundidee zu konterkarieren sucht und das Thema der Tyrannis und der Gewalt durch Komik abzumildern sucht, dann lässt sich auch diese Transformation von der Struktur der arkadischen Materialien her rechtfertigen. Zur Entstehungszeit der Oper waren das arkadische Material und mit ihm auch die Komponenten der Tyrannis und der Gewalt und auch das berühmte Todesmotiv (Et in Arcadia ego) längst zu Spiel- und Zitatmaterialien herabgesunken, zu leeren Klischees, die sich nicht gerade zur ideologischen Aufladung eignen, sondern eher zur Komik und zur Parodie einladen. Hinzu kommt, dass die Personen – und die Regie tut alles, um diesen Eindruck noch zu verstärken – auf ihrem Weg von Arkadien zur Kommune bei der Komödie halt gemacht haben und sich in die entsprechenden Typen verwandelt haben. Da finden sich der verliebte Alte, der tollpatschige Liebhaber, die naive Maid, die eifersüchtige Nebenbuhlerin, der schwadronierende Adlige, der verliebte Narr. Und obwohl sie sich in die bunte Bagwang Bekleidung geworfen haben, sind sie doch so leicht zu erkennen. So weiß der Zuschauer von Anfang an, dass trotz des ganzen Aggressionsgehabes, trotz des ganzen Sektengetues die Liebenden nie ernstlich in Gefahr sind. Mehr als deutlich wird die parodistische Unterminierung des Arkadienmythos und seiner Zürcher Transformation im Finale. Der rettende Deus ex machina ist die Casta Diva, eine Diana, die nicht etwa die Keuschheit, sondern die die Treue belohnt („la fedeltà premiata“), und diese Diana ist niemand anders als Diana, die Prinzessin von Engeland. Was zum Unbehagen des Publikums als Mord- und Totschlagtragödie begann (zur Ouvertüre wird gleich ein treues Liebespaar von Mitgliedern der Sekte gelyncht), endet zum Vergnügen des Publikums als Karnevalsoperette. So haben wir denn in Zürich Arkadien Seligkeit und Guru Tyrannis mit einem Schlag erledigt
Ob ich noch einmal hingehe? Ich glaube nicht. Die Musik ist schön und eingängig. Gesungen und gespielt wurde ganz wie es dem Niveau des Hauses entspricht. Doch ganz anders als in den Zürcher Da Ponte/Mozart Opern, die doch auch von Liebe, Leid und Lust handeln und trotzdem mit Witz in Szene gesetzt wurden, wirkte die heutige Haydn Aufführung so lustlos, so bemüht, so angestrengt, so müd und matt, so langweilig – und das Haus war bei weitem nicht besetzt. Bitte spielt Haydn beim nächsten Mal konzertant.