Man mag des Regietheaters überdrüssig sein. Man mag dessen manchmal intellektuell dürftige oder gar simpel dümmliche Exzesse für abwegig halten. Man mag Händel Revuen und Händel Seifenopern für unvereinbar mit der Musik halten. Aber muss es dann gleich das andere Extrem sein? Muss es gleich die „historisch informierte Aufführung“ sein? Und eine solche bedeutet für das Karlsruher Produktionsteam um die Choreographin und Regisseurin Sigrid T’Hooft neben einer „barocken Gestik“ „originalgetreue barocke Kostüme, eine reine Kerzenbeleuchtung und eine aufwändige Kulissenbühne, die der Uraufführung […] so nahe kommt wie nur möglich“. Ein ehrgeiziges Konzept, das am Badischen Staatstheater zur Begeisterung des Publikums in absolut perfekter Manier realisiert wurde.
So waren wir denn statt in einem modernen Musiktheater im King’s Theatre am Haymarket in London im Jahre 1720 und sahen lebende Bilder im schummrigen Kerzenlicht, hörten durchweg brillante Sänger in schweren und prunkvollen Kostümen von der Rampe ihre Arien singen, sahen Könige und Königinnen in ritualisierten sparsamen Gesten und Bewegungen ihre Affekte, mochten diese auch noch so stark sein, stets kontrolliert vortragen, sahen Gentlemen, Hofdamen und Soldaten, allesamt prachtvoll gekleidet, die Protagonisten begleiten, sahen ein Ballett zum Finale in jedem Akt, hörten aus dem Graben die „Deutschen Händel Solisten“, die – so der Dirigent Peter Van Heyghen – „so nah an Händels Orchester von 1720 kommen [wollten] wie nur möglich“. Mit anderen Worten: alles ist perfekt – und alles ist zugleich so museal und so leblos, wie es nur sein kann. Solche Aufführungen, die die historische Aufführungspraxis bis zum Exzess treiben, bedeuten, so kunstvoll sie auch in Szene gesetzt werden, so ernsthaft und so professionell sie sich auch um eine Rekonstruktion vergangener Zeit bemühen, so gefeiert sie auch von Publikum und Kritik werden, solche Aufführungen bedeuten den Tod des Musiktheaters. Der Mythos lebt nur in seinen Varianten, von seiner Fähigkeit, stets neu und anders erzählt zu werden. Was Hans Blumenberg einstens vom Mythos sagte, das gilt auch für das Musiktheater: die alten Geschichten müssen stets neu erzählt werden, neu interpretiert werden, neu in Szene gesetzt werden. Eine historisch genaue Rekonstruktion einer längst vergangenen Aufführung führt geradewegs ins Legoland oder bestenfalls ins Museum. Doch „Opern sind nicht fürs Museums, sondern für die Bühne geschrieben worden, das bedeutet für einen lebendigen Prozess“(Jossi Wieler). Das Badische Staatstheater verspricht in seinem Programmheft „eine märchenhafte Zeitreise ins Jahr 1720“. Geboten wurde eine Reise ins „Totenreich“ der Oper – in ein elysisches Totenreich.
Die Premiere war im Rahmen der 32. Händel-Festspiele am 20. Februar 2009. Wir sahen die Aufführung am 28. Februar.