Sex-Klamotte mit Mozart Soundtrack am Opernhaus Zürich. Kirill Serebrennikov inszeniert, bebildert und kostümiert Così fan tutte aus der Ferne – aus dem Hausarrest in Moskau

Theater- und Filmemacher Serebrennikov hält es nicht mit den Liebesdiskursen des Settecento und auch nicht mit den Mythen der Aufklärung von der Manipulierbarkeit des Menschen und deren ironischer Verzerrung ins Parodistische, wie es einst Daponte und Mozart vorschlugen. Er optiert für das Handfeste: für Boulevardtheater, Klamotte, Parodie und Satire des Lifestyle junger Leute von heute und gibt dem Affen so richtig Zucker. Mit anderen Worten: er bedient die Altherrenphantasien über Weiber und Sex und provoziert so manchen der braven Zürcher Abonnenten zu blökendem Lachen. Sie wussten ja schon immer über die die Weiber Bescheid. Die wollen vor allem heißen Sex und als Zugabe Money fürs Shopping. Und wenn sie das nicht kriegen, dann werden sie hysterisch. So mag wohl so mancher im Publikum gedacht haben.

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Sprechgesang und Biedermeierkostüme. Heinz Holliger, Lunea. Lenau – Szenen in 23 Lebensblättern. Eine Uraufführung an der Oper Zürich

Nach dem Parsifal, einer Koproduktion mit dem Liceu in Barcelona, die wir dort vor wohl sieben Jahren schon gesehen und kommentiert hatten und jetzt noch einmal als Wiederaufnahme in Zürich erlebt haben, sollte man nicht unbedingt am Abend darauf zu einer Uraufführung zeitgenössischer Musik gehen. Man neigt dann  „unbewußt“ dazu, den Komponisten und seinen Librettisten gegen den Großmeister des Musiktheaters auszuspielen und ihnen damit Unrecht zu tun.

Holliger verzichtet, wenn ich das als Nichtmusiker richtig gehört habe, auf alle Melodienbögen, auf alles Aufbrausen des Orchesters, auf alle scharfen Dissonanzen. Statt dessen setzt er auf einen Kammermusik – Stil, auf einen eher zurückhaltend begleiteten Sprechgesang und auf ein Verklingen, das nicht Kommunikatives ‚untermalen‘, sondern eher Traumvisionen und Stimmungen einfangen will. Dass es dabei manchmal etwas einschläfernd zugehen kann – der Herr in der Reihe hinter mir war schon nach einer halben Stunde in schnarchenden Tiefschlaf versunken – das ließ sich wohl nicht gänzlich vermeiden.… → weiterlesen

Die sanfte Domina. Catherine Naglestad triumphiert als La Fanciulla del West an der Oper Zürich

Ein kleines Mädchen ist diese fanciulla nun wirklich nicht. Minnie (nicht zu verwechseln mit der fragilen Mimi) ist eine gestandene Frau, die zugegebermaßen die ‘Liebe als Passion‘ reichlich spät für sich entdeckt und die es dann auch gleich heftig erwischt. Eine resolute Frau, die ihren Outlaw vom Galgen rettet, die eine ganze Horde von handfesten Mannsbildern – allesamt kräftige Minenarbeiter, die sich aufs saufen und raufen verstehen und auch vor der Lynchjustiz nicht zurückschrecken – eine Frau, die im ersten Akt als keusche Wirtin und kundige Bibelleserin und im Finale als sanfte Liebende mit dem Revolver in der Hand die wilden Jungs zu lammfrommen Gutmenschen macht.

In dieser Situation kann der Sheriff, der zu gern den  Outlaw und Rivalen um die Gunst der fanciulla beseitigt und die Dame in sein Bett gezerrt hätte, nur als Verlierer dastehen und mit dem Revolver herum fuchteln. Ob er den Delinquenten und seine Geliebte am Ende doch noch erledigt oder ob er sich selber ins Jenseits befördert, das überlässt Theatermacher  Barrie Kosky, der in Zürich Regie führt, der Imagination de Publikums.

So haben wir denn in Zürich ein Opernmärchen aus dem Wilden Westen gesehen, ein Märchen, in dem, ganz wie es die traditionelle Märchenstruktur verlangt, der Böse leer ausgeht und die Prinzessin ihren Prinzen bekommt, „und es war alles, alles gut!“

Eine Puccini Oper ohne Leiche, eine trotz des amerikanischen Sujets etwas anachronistische Oper noch in der Belcanto Tradition, in der Sopranistin, Tenor und Bariton Paraderollen haben und auch, obgleich sie nicht in großen Arien brillieren, wundersüß singen dürfen (zumindest gilt dies für Sopranistin und Tenor. Der Bösewicht von Bariton muss sich mit dramatischen Ausbrüchen begnügen).

Wenn man Puccini mag, dann ist die von den Theatern gern stiefmütterlich behandelte Fanciulla del West sicherlich ein Hit. Allerdings bedarf es dazu einer Sängerin vom Format der Catherine Naglestad, die mit Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung die Szene ‚dominiert‘. Allegemeine Begeisterung im Publikum, das ja weder von der Musik noch vom Bühnengeschehen sonderlich gefordert war.

Wir sahen am 21. Dezember 2017 die Wiederaufnahme einer Barrie Kosky Inszenierung aus der Spielzeit 2013/14. Die Premiere war am 22. Juni 2014.

 

 

Die Leiden der missbrauchten Renata. Calixto Bieito inszeniert Prokofjew, Der feurige Engel an der Oper Zürich

Theatermacher Bieito, einst der berüchtigte Spezialist für Unterleibsgeschichten, die er mit einem befreienden oder auch grotesken Lachen aufzulösen pflegte, will vom Lachen nichts mehr wissen. Er hält es jetzt lieber mit einem humorlosen kruden Realismus – je härter und pathologischer, umso besser für die Inszenierung.

Hatte Barrie Kosky in München aus dem Feurigen Engel noch eine geradezu karnevaleske Parodie mystischer Verzückung gemacht und die Protagonistin Renata mit ihrer Sehnsucht nach Vereinigung mit dem feurigen Engel Madiel zur unheiligen Ekstatikerin gemacht, lässt Bieito jetzt in Zürich jegliche Referenz auf die Mystik beiseite und präsentiert eine hochgradig pathologische  Frau im Irrenhaus.… → weiterlesen

Operette mit Leichen oder Tragédie lyrique mit Operetten Intermezzi? Marc-Antoine Charpentier, Médée an der Oper Zürich

Das Feuilleton jubelt, feiert enthusiastisch William Christie, den Dirigenten und Musikhistoriker, den großen Kenner und Förderer der französischen Musik des 17. Jahrhunderts, der Charpentiers einzige Oper, seine Médée vom Jahre 1693, wieder für die Bühne entdeckt hat, bringt William Christie zu Recht Standing Ovations dar und wirft Andreas Homoki, der die Inszenierung verantwortet, ein paar verärgerte Buhs hinter her – und das wohl zu Recht.

Die Musik Charpentiers ist uns – oder sagen wir besser: ist mir fremd. In der klassischen französischen tragédie lyrique – so belehren uns die Musikhistoriker – käme, so habe es Lully durchgesetzt, dem Text gegenüber der Musik  Vorrang zu. Erst im 18. Jahrhundert bei Rameau habe sich das Verhältnis von Musik und Text umgekehrt. Charpentier stünde genau in der Mitte zwischen den beiden Extremen. Bei seiner Médée haben wir es „wahrscheinlich mit der perfektesten Synthese von Text und Musik dieses Zeitalters zu tun“ – so William Christie im Programmheft der Zürcher Oper auf Seite 30.… → weiterlesen

E del poeta il fin la maraviglia […]. Im Barocktheater oder vom Spiel der Illusionen und Desillusionen. Christof Loy inszeniert Alcina an der Oper Zürich

In einem Zaubergarten, in einem ‚Garten der Lüste‘, hielt Tassos Armida einst den Kreuzritter Rinaldo gefangen. Die Zürcher Alcina, wenngleich eine literarische Schwester der Armida, braucht keinen Zaubergarten. Ihr Reich ist die Welt des barocken Theaters, und  dieser Welt und der Prinzipalin der Theatergruppe ist Ruggiero, ein junger Mann von heute, verfallen. Alcinas Theater ist im ganz konkreten Sinne ein barocker Theaterbau mit einer Bühne, die sich perspektivisch verjüngt und deren Dekor eine arkadische Landschaft nachbildet. Doch diese Bühne schafft nicht nur Illusionen, sie desillusioniert zugleich den Zuschauer, indem sie den Blick auf die Bühnenmaschinerie der Unterbühne frei gibt. Auf der Bühne präsentiert man zur Ouvertüre ein Ballett und spielt dann ein Theaterstück in barocken Kostümen mit barock gekleideten Chargen. Alcina, die Prinzipalin, hat das Stück für ihren Favoriten Ruggiero arrangiert. Und sie und ihr Geliebter spielen die Hauptrollen und spielen eine Szene aus ihrer eigenen Geschichte, spielen frei nach Tiepolos berühmtem Bild die Spiegelszene zwischen Rinaldo und Armida nach – und werden unterbrochen. Die Illusionen stören und zerstören zwei Eindringlinge, die von ihrem Outfit her (schwarzer Anzug und Umhängetasche) aus der Welt von heute stammen. Bradamante, die von Ruggiero verlassene Frau – sie gibt sich als deren Bruder aus – und Melisso, ein gemeinsamer Freund, wollen Ruggiero aus der Welt des Theaters, des Scheins und der Imagination in die ‚Realität‘, wie sie sie verstehen, zurück holen.… → weiterlesen