Untergang im Wahn. Eine griechische Tragödie. Claus Guth inszeniert Händels Saul am Theater an der Wien

Biblische Mythen, Erzählungen aus dem Alten Testament, wie sie Händel in Oratorien transformiert hat, sind zur Zeit in den Musiktheatern en vogue und werden, wie zu erwarten, auf höchst unterschiedliche Weise in Szene gesetzt.

In Wiesbaden verfremdet Achim Freyer Jephtha – eine Variante des Iphigenie Mythos: für das Kriegsglück opfert der Anführer seine Tochter – zum japanischen Märchen, zum farbenprächtigen Noh-Maskenspiel. In Paris setzt man auf den  Gegenpol. Hier macht Claus Guth in einer  Übernahme seiner Amsterdamer Inszenierung aus Händels Oratorium ein Kriegsstück, das sich zum Horrorfilm steigert, präsentiert einen Anführer in seiner Hybris und  seinem Kadavergehorsam und sadistische Massen, die sich an den Vorbereitungen zum rituellen Mord an einer jungen Frau weiden.

Jetzt in Wien hat Claus Guth mit seinem Saul eine aktualisierte griechische Tragödie in Szene gesetzt, eine Tragödie, die sich ganz auf die Person des Königs Saul konzentriert – auf dessen immer stärker ausbrechende Wahnvorstellungen. Dieser Saul, der von Anfang an als pathologischer Fall vorgestellt wird, der in einem weiß gekachelten engen Raum hockt, in einer Art Zelle im Irrenhaus, der  mit seinen  Royals  schweigend, brütend, vor sich hin starrend an der Tafel sitzt, der in seinem verdunkelten Palast mit dem Speer in der Hand nach seinem Feind sucht, dem stets einer böser Geist folgt, dieser Saul steht von Anfang an auf verlorenem Posten, hat keinerlei Chancen, sich aus seinem Wahn, seinem Wahnsinn zu befreien.… → weiterlesen

Zickenkrieg im Globe Theatre – und nicht nur dort. Und alle spielen mit. Maria Stuarda am Theater an der Wien mit einer grandiosen Marlis Petersen in der Titelrolle

Orchestergraben Theater an der Wien, Wien

Donizettis Maria Stuarda – so belehrt uns das Programmheft  – war nach politischen Querelen in Neapel und der missglückten Uraufführung im Jahre 1835 aus dem Repertoire verschwunden. Erst mehr als ein Jahrhundert später wurde die Oper gleichsam wiederentdeckt und gilt heute als eines der großen Werke Donizettis: eine tragedia lirica und ein Juwel des Belcanto.

Belcanto in Vollendung war es in der Tat, was im Theater an der Wien zu hören war. Zwei Sopranistinnen, die im ersten Akt gleichsam um die Wette singen, ein Wettstreit, bei dem im zweiten Akt die Protagonistin so große Szenen hat, dass sie die Rivalin zur Nebenfigur degradiert. Ein Tenor, der im  Wortverstande zwischen den beiden Damen steht. Ein Bass, der im zweiten Akt seinen großen Auftritt hat.

Wie Maria Stuarda in der Person der Marlies Petersen im zweiten Akt die großen Arien singt, wie sie die Beichtszene  mit Talbot in der Person des Stefan Cerny gestaltet, den Abschied von Roberto (Norman Reinhardt), die Verzweiflung und die überwundene Angst angesichts des gewaltsamen Todes, das ist grandios und zugleich anrührend. Hier war eine höchst brillante Sängerin und eine exzellente Tragödin zu bewundern.

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Der zerschnittene Ring oder das Wiener Ringlein. „Die Ringtrilogie“ am Theater an der Wien

Wie seltsam – so der erste Eindruck – dass ein Stagione-Haus, in dem wir in den  letzten Jahren so viele herausragende Inszenierungen gesehen haben, wie seltsam, dass ein solches Haus sich an den Ring des Nibelungen wagt. Ein Mammut-Projekt, das höchste Anforderungen an den Theaterbetrieb stellt und mit dem sich auch die großen Musiktheater schwer tun.

Am Theater an der Wien ist man sich selbstverständlich all dieser Schwierigkeiten bewusst und hat sich daher zu radikalen Kürzungen entschieden, aus Wagners Tetralogie eine Trilogie gemacht und diese auf drei Abende verteilt. Eine mutige Entscheidung, der eingefleischte Wagnerianer wohl mit Skepsis begegnen, sie vielleicht sogar als Sakrileg werten.

Doch die Fassung, die das Wiener Produktionsteam – Maestro Constantin Trinks, die Regisseurin Tatjana Gürbaca und die Dramaturgin Bettina Auer – vorschlägt,  hat in ihrer Konzentration durchaus ihren Reiz. Sie arbeitet nicht nur mit Kürzungen, sondern versucht, mit Umstellungen der Szenen, mit dazu erfundenen Personen, mit Parallelsierungen von Handlungssträngen eine neue Geschichte zu erzählen – und hat damit einen gewissen Erfolg.… → weiterlesen

„In der digitalen Welt“ oder allerlei Liebesdiskurse und permanentes Gender Switching. Nicola Antonio Porpora, Arianna in Nasso an der Kammeroper des Theaters an der Wien

Für mich eine absolute Rarität: „frühklassische“ Klänge in den Recitativi accompagnati, alle Typen von Arien( Lamenti, Bravourarien …), exzellente junge Sängerinnen und Sänger, ein Counter: Ray Chenez als Teseo, Anna Gillingham als Arianna, Carolina Lippo in der Rolle der Antiope, ihrer Rivalin, Anna Marshania als Onaro :Bacchus, Priesterin und Herrscherin der Insel.

Und eine höchst ehrgeizige Inszenierung, die das Verloren-Sein in einer digitalen Welt und zugleich die Möglichkeiten eines unendlichen Wechsels der Identitäten und des Gender aufzeigen will. Eine neue Variante des Ariadne Mythos.

Ich muß gestehen, dass ich den hypermodernen Touch der Inszenierung, die Verlegung des Geschehens in eine „digitale Welt“, in der ähnlich wie in der Welt des Traums alles möglich ist, erst nach der Studium der Gebrauchsanweisung (vulgo: des  Programmhefts) verstanden habe. Wer sich diese Lektüre ersparte, der konnte leicht zu der etwas konsternierten Deutung kommen, die eine Dame in der Reihe hinter mir lauthals verkündete: „Die sind doch alle bi“.

Und dabei hatte sie gar nicht so Unrecht. Nur sind sie nicht nur das. Sie wechseln ständig ihre sexuelle Bestimmung bzw. sie besitzen gar keine – mit Ausnahme der Ariadne. Sie ist und bleibt  – ganz wie es der klassischen Variante des Mythos entspricht – die Liebende, die Getäuschte, die Enttäuschte, die Verlassene, die Todessüchtige. – und sie singt ganz in diesem Sinne auch die schönsten Lamenti. Theseus, der nie weiß, was er will und was er ist, überlässt sie die Bravourarien und darin brilliert er höchst effektvoll.

Theseus, Antiope, angeblich seine Ehefrau, Piritoo, ein junger Mann, Onaro, angeblich die Priesterin des „Gottes der Freiheit“, ein klassisches Attribut des Dionysos, sie alle sind gemäß der Grundkonzeption der Regie   nur virtuelle Gestalten, die zur Verwirrung des Publikums immer wieder zwischen unterschiedlichen sexuellen Bestimmungen und damit zwischen unterschiedlichen Partnern hin und her schwanken. Ist Theseus nun männlich oder weiblich oder androgyn oder vielleicht gar geschlechtslos ? Ist Antiope ein Mann oder eine Frau und als solche eine Nymphomanin ?

Was uns die Regie dort auf der kleinen Bühne der Kammeoper bietet, ist zweifellos ein schönes Spiel, ein Verwirrspiel, das keine Auflösung will und das, läßt man sich als Zuschauer einmal darauf ein, höchst amüsant ist und gar nicht der großen Worte von der „digitalen Welt“ als Überbau bedarf.

Ganz abgesehen davon: Porporas Musik ist so eingängig, es wird in allen Rollen so brillant gesungen und gespielt, dass die Regie , so ehrgeizig und anspruchsvoll sie von ihrer Konzeption auch ist, letztlich zur quantité négligeable wird. Man geht nach Haus, wünscht sich mehr Opern von Porpora auf der Bühne und freut sich darauf, das brillante Ensemble der Kammeroper in dieser Saison noch in Pélleas et Mélisande und in Così fan tutte hören und sehen zu dürfen.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Oktober 2017, die Dernière. Die Premiere war am 27. September 2017.

Von der Traumwelt zur Gutmenschen-Orgie ist es nur eine Pause. Torsten Fischer inszeniert Die Zauberflöte am Theater an der Wien

Torsten Fischer ist sicher ein großer Theatermann, ein erfahrener Theatermacher, der sein Handwerk versteht, dem wunderschöne Bilder gelingen, ein Meister der Personenführung, ein Magier des Traumtheaters. Wie schade nur, wie seltsam und leider wie abträglich seiner Kunst ist es doch, dass er sein Achtundsechziger-Trauma nicht zu sublimieren vermag und von seinem Brecht-Schaden nicht loskommt.

Wir wissen alle im Publikum, dass Die Zauberflöte recht plakativ die Freimaurer Ideologie feiert. Doch diese Feierstunde ist Regisseur Fischer nicht genug. Er muss unbedingt noch eins draufsetzen. Die Utopie der Toleranz gerät ihm dabei zum szenischen Religionsgemisch, in dem vor einer überdimensionalen Klagemauer Priester aller nur möglichen Religionen, angetan mit ihrer jeweiligen Dienstkleidung, auf Friede, Freude, Eierkuchen machen und der Darsteller des Tamino ihnen  eine Kantate vorsingt, die Liebe und Toleranz und den Schöpfer des Weltalls feiert. Der Text dieser ach so gut gemeinten Kantate, so erfährt man aus dem Programmheft, stamme von dem Hamburger Kaufmann Ziegenhagen, und Mozart habe dazu eine Klavierfassung geliefert. Mit diesem Spektakel beginnt der zweite Akt.

Mit dem ‚Hohen Lied‘ der Toleranz lässt es die Regie nicht bewenden. Zur Utopie der Toleranz kommt noch die Utopie der Emanzipation der Frauen und der Gleichberechtigung der Geschlechter.… → weiterlesen

Ein „Bühnenweihfestspiel“ im Otto Wagner-Spital. Parsifal an der Wiener Staatsoper

Im großen Saal mit seinen Jugendstil-Ornamenten schlafen die Patienten der Psychiatrie noch (bei Wagner die Gralsritter), die beiden (lesbischen?) Krankenschwestern (bei Wagner die Knappen) schlummern in fester Umarmung, der diensthabende Doktor (bei Wagner Gurnemanz) wacht in seinem Büro und hört über sein Grammophon Wagner (lautlos, den Sound liefert das Orchester aus dem Graben). Heute wird er wohl  seinen Patienten die Parsifal Sage erzählen und diese aus therapeutischen Gründen mit ihnen nachspielen. Zur Probe lässt er schon einmal die Altarkuppel aus der Otto Wagner-Kirche niederfahren. All dies erfährt der Zuschauer schon zur Ouvertüre –  und er darf großes Musiktheater erwarten.

Erwartungen, die nicht … → weiterlesen