Untergang im Wahn. Eine griechische Tragödie. Claus Guth inszeniert Händels Saul am Theater an der Wien

Biblische Mythen, Erzählungen aus dem Alten Testament, wie sie Händel in Oratorien transformiert hat, sind zur Zeit in den Musiktheatern en vogue und werden, wie zu erwarten, auf höchst unterschiedliche Weise in Szene gesetzt.

In Wiesbaden verfremdet Achim Freyer Jephtha – eine Variante des Iphigenie Mythos: für das Kriegsglück opfert der Anführer seine Tochter – zum japanischen Märchen, zum farbenprächtigen Noh-Maskenspiel. In Paris setzt man auf den  Gegenpol. Hier macht Claus Guth in einer  Übernahme seiner Amsterdamer Inszenierung aus Händels Oratorium ein Kriegsstück, das sich zum Horrorfilm steigert, präsentiert einen Anführer in seiner Hybris und  seinem Kadavergehorsam und sadistische Massen, die sich an den Vorbereitungen zum rituellen Mord an einer jungen Frau weiden.

Jetzt in Wien hat Claus Guth mit seinem Saul eine aktualisierte griechische Tragödie in Szene gesetzt, eine Tragödie, die sich ganz auf die Person des Königs Saul konzentriert – auf dessen immer stärker ausbrechende Wahnvorstellungen. Dieser Saul, der von Anfang an als pathologischer Fall vorgestellt wird, der in einem weiß gekachelten engen Raum hockt, in einer Art Zelle im Irrenhaus, der  mit seinen  Royals  schweigend, brütend, vor sich hin starrend an der Tafel sitzt, der in seinem verdunkelten Palast mit dem Speer in der Hand nach seinem Feind sucht, dem stets einer böser Geist folgt, dieser Saul steht von Anfang an auf verlorenem Posten, hat keinerlei Chancen, sich aus seinem Wahn, seinem Wahnsinn zu befreien.

Wie Claus Guth diesen rettungslos dem Wahn verfallenen Mann in Szene setzt, wie Florian Boesch diesen Mächtigen spielt, dem die Macht entgleitet, der sich selber zerstört und seinen Sohn und seine beiden Töchter mit dazu, das ist so faszinierend und zugleich so erschreckend, dass man sich dabei ertappt, gar nicht mehr auf die Musik zu hören, sondern sich ganz vom Schau-spiel gefangen nehmen zu lssen.

Die Regie verzichtet auf alle Verweise auf die biblische Erzählung, bewahrt nur die Namen der handelnden Personen und die Grundstruktur des Mythos von Saul und David, rückt den Saul Mythos in die Richtung der griechischen Tragödie, in der die Götter und ein blindes Schicksal den ‚ Helden‘ vernichten, ohne ihm  auch nur die geringste Chance zu lassen.

Auslöser aller Aggressivität und aller Wahnvorstellungen ist die Ankunft eines  Fremden, des schönen Jünglings David (in der Person des jugendlichen Countertenors Jake Arditti). Wie in Pasolinis Film Teorema oder wie in Andrea di Carlos Roman Durante fungiert der Fremde  als Katalysator, der die mühsam bewahrte Scheinwelt, hier die Scheinwelt der Royals zusammenbrechen lässt. David wird den unbedingten Haß und den selbstzerstörerischen Neid des Saul auf sich ziehen und damit dessen Wahn immer stärker ausbrechen lassen. David wird die bisher unterdrückten homoerotischen  Neigungen des Sohnes sichtbar machen, und er wird zugleich die Leidenschaften der Töchter auf sich ziehen. In einer grandiosen Szene wird die erotische Anziehungskraft, die von David ausgeht, überdeutlich. Jonathan und die Töchter Michal und Merab umklammern – so als wollten sie die Laokoon – Gruppe nachstellen und erotisieren  – alle drei zugleich David, machen ihn alle drei gleichzeitig zum Objekt der Begierde.

Und doch – so suggeriert es die Regie im Finale – wird dem Heilsbringer und neuem Herrscher das Schicksal des Saul nicht erspart bleiben. In der Schlussszene, nachdem er den Jubel des Volkes entgegen genommen  und die letzten Überlebenden der alten Dynastie, die Töchter des Saul, im Wortverstande  ins Dunkle gestoßen hat, hockt David in der weiß gekachelten Zelle des Saul. Hat  auch ihn  schon der Wahnsinn geschlagen? Ein offener Schluss.

Und die Musik? Da gibt es gar nichts  zu bekritteln. Es musiziert das Freiburger Barockorchester. Es singt und agiert der Arnold Schoenberg Chor. Es singt und spielt ein hochkarätiges Ensemble. Händel in Szene, Orchesterklang und Gesang vom Allerfeinsten. Ein großer Opernabend im Theater an der Wien.

Die Premiere war am 16. Februar 2018. Wir besuchten die Dernière am 27. Februar 2018. Die Intendanz verspricht eine Wiederaufnahme in der nächsten oder übernächsten Spielzeit.