L‘Orfeo mit Mänaden-Tanz und Marienvesper. Monteverdi im Landestheater Niederbayern Passau

Bitte keine Vorurteile. Auch in der tiefen bayerischen Provinz weiß man Musiktheater auf hohem Niveau  zu bieten, verfügt, wenn auch vielleicht nicht für alle Rollen, so doch zumindest für die Rolle des Protagonisten  über einen herausragenden jungen Sänger, der die Aufführung trägt und sie zu einem nicht erwarteten Erlebnis macht.

Im kleinen Rokoko-Theater im ehemals fürstbischöflichen Opernhaus sind nur relativ wenige Parkettplätze verfügbar und die seien, so hörte ich sagen, schon „seit Oktober“ ausgebucht, so dass die Besucher von auswärts sich mit Plätzen im ersten Rang, d.h. mit Plätzen mit sehr eingeschränkter Sicht begnügen müssen. Doch das Wenige, was ich vom Geschehen  auf der Bühne sah, ließ vermuten, dass die Inszenierung sehr ambitiös und subtil angelegt ist, dass sie nicht mit Verweisungen auf Literatur, Oper und bildende Kunst spart, auch vor Selbstironie und Groteske  nicht zurückschreckt und vor allem in der Video-Performance brilliert und sich dabei von den Arbeiten Bill Violas inspirieren lässt. Da schwebt unter einem Sternenhimmel, wobei die Sterne  Notenzeichen sind, La Musica wie eine Königin der Nacht oder wie Hoffmanns Muse herab. Da ist Orfeo ein Starsänger von heute, für den seine betuchten Freunde (vermutlich junge Banker) ein Fest in einem barocken Schlossgarten arrangiert haben  und der zum Dank eine Arie intoniert. Während der Star noch im Parkett seine Autogramme verteilt, verkündet schon La Messagiera den Tod der Euridice. Und damit ist nicht nur das Fest zu Ende. Auch mit allen Verweisen auf die Welt der Stars von heute hat es ein Ende, und es beginnt der Abstieg zu den antiken Varianten des Mythos, die bei aller Ernsthaftigkeit immer wieder ironisch gebrochen oder zur Groteske verzerrt werden. Proserpina ist eine Art Domina, die als ihr Markenzeichen einen riesigen Granatapfel hinter sich her zieht (ein Attribut des Proserpina-Mythos, das ein Großteil des Publikums wohl nur erkennt, wenn es zuvor das kleine Mythenlexikon im Programmheft studiert hat). Plutone scheint gerade aus einer Probe zu Orpheus in der Unterwelt für eine kurze Szene herübergekommen zu sein und hat anscheinend seine erotischen Bedürfnisse noch nicht unter Kontrolle. Caronte könnte auch als zwar strenger doch letztlich gutmütiger Riese in der Kinderoper auftreten.

Das Finale bietet gleich drei Varianten: das konventionelle lieto fine mit dem Auftritt eines goldbetressten Apollo (der auch als Karnevalsfigur durchkäme) und der Vergöttlichung des Orpheus,  dann die Ovid-Poliziano Variante von Orpheus, der der heterosexuellen Liebe entsagt und von Mänaden zerrissen wird und schließlich als Gipfelpunkt die christliche Variante des Orpheus-Mythos: Orpheus als Präfiguration Christi. Und dazu singt und spielt man – so meinte ich es gehört haben – das Alleluja aus Monteverdis Marienvesper. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob diese wirklich zitiert wird. Konsequent im Sinne der Verchristlichung des Mythos wäre es alle Male.

So haben wir denn in einem abgelegenen Winkel der deutschen Opernlandschaft einen höchst ansprechenden Monteverdi-Abend erlebt, in einer Regie, für die der Sänger Kobie van Rensburg verantwortlich zeichnet. Ein Sänger, der offensichtlich zugleich ein intelligenter und gebildeter Theatermacher ist.

Wir sahen die Vorstellung am 24. März, die zweite Aufführung nach der Premiere am 23. März 2013.

 

 

Vom Disinganno-Oratorium zum Schwulen-Einakter ist es nur eine Pause – in Karlsruhe. Ein desaströser Auftakt bei den Händel Festspielen 2013

Die diesjährige Festspielpremiere am Badischen Staatstheater stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Nicht nur dass wegen eines spontanen Streiks, zu dem die bekannte Gewerkschaft, die sich ungewollt mit dem Namen eines italienischen Komponisten schmückt, aufgerufen hatte, nur eine halbszenische Aufführung  möglich war. Auch die Auswahl  der beiden Premierenstücke – Händels späte englische Fassung von Il Trionfo del Tempo e del Disinganno und Gerald  Barrys The Triumph of Beauty and  Deceit – war nicht unbedingt eine Geniestreich der Intendanz.

So mühten sich denn bei Händel  zwei Damen und drei  Herren vorsichtig und ungeschickt und bei Mister Barry fünf Herren derb und deftig – allesamt  in Kostüm und Maske – um so etwas wie eine theatralische  Gestaltung der beiden Stücke. Bei Händel sangen sie dazu recht  brillant. Bei Barry war nur Schreigesang gefordert, den sie wohl ganz im Sinne des irischen Tonsetzers gekonnt realisierten.

Barrys Schwulengroteske oder – freundlich gesagt: dessen Versuch einer parodistischen oder vielleicht auch satirisch gemeinten Replik auf Il Trionfo del Tempo e del Disinganno  – verkaufen die emsigen Karlsruher Dramaturgen als „moderne Fortsetzung“ eines „Moralspiels von Händel“.  Arroganz, Dummheit, gezielte Täuschung des Publikums, Etikettenschwindel? Nehmen wir zu Gunsten des Badischen Staatstheaters das erstere an. Oder sagen wir es in aller Deutlichkeit:  einen  Schwuleneinakter als “ Fortsetzung“ einer ‚katholischen Oper‘  zu präsentieren, das  ist weder “ fortschrittlich“ noch “ aufklärerisch“ noch „tolerant“, das ist dreist und unverschämt.  Nein, das ist einfach nur einfältig und dumm.

Doch seien wir nicht so streng und so verärgert. Im Badischen  Staatstheater haben wir in den vergangenen Jahren herausragende Händel -, Wagner-  und Berlioz – Aufführungen erlebt. Da muss man auch schon mal wie jetzt einen Flop ertragen können. Zumal die Intendanz so generös ist, dass sie allen,  die den neuen Händel Flop noch einmal sehen möchten, fünfzig Prozent Rabatt auf den Kartenpreis anbietet. Herzlichen Dank, sehr verehrter Herr Intendant, ein Viertele Badischer wäre mir lieber.

Wir sahen die Vorstellung am 16. Februar 2013.

Ein Fest der Musik und des Theaters. Ariadne auf Naxos am Aalto-Musiktheater Essen

Gerade eine Woche ist es her, dass wir in einem mittelgroßen Haus im Badischen eine desaströse Ariadne erlitten haben. In Essen, welch ein Glücksfall, werden wir mehr als entschädigt. In Essen  – auch ein mittelgroßes Haus – ist alles anders. Hier präsentiert man eine geradezu perfekte Ariadne auf Naxos, eine Aufführung, die fasziniert und bezaubert, bei der alles stimmt, alles harmoniert: Musik, Gesang und Inszenierung. Ein Orchesterklang, bei dem jede Stimme klar herauszuhören ist, der nie die Sänger zudeckt, ein Orchester, das unter der Leitung von Maestro Soltesz den hochartifiziellen, den, wenn man so will, manieristischen Strauss-Klang zu zelebrieren weiß. Auf der Bühne Sängerschauspieler, die in Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung die komplexen Strauss-  und Hofmannsthal-Figuren makellos und brillant zu repräsentieren verstehen: den Komponisten – in der Person der Michaela Selinger,  die Ariadne  – in der Person der Karine Babajanyan, die Zerbinetta  – in der Person der Julia Bauer und Bacchus  -in der Person des Jeffrey Dowd – um nur die Protagonisten zu nennen.… → weiterlesen

„Circe, kannst Du mich hören?“ – Nein, ich will Euch alle nicht mehr hören. Ariadne auf Naxos im Theater Freiburg.

„Heut – hast du’s erlebt“ – wie man Strauss in Grund und Boden verhunzen kann, wie die Regie lieber das Phantom der Oper oder Rake’s Progress inszeniert hätte und mit der Ariadne nichts anzufangen wusste, wie junge Sänger und Sängerinnen trotz all der Mühe, die sie sich gaben, in ihren Rollen heillos überfordert waren, mit einem Wort: wie man in der Oper Freiburg Ariadne lieblos erledigt hat. Nein, ich habe nichts gegen die Oper Freiburg, wo ich in den letzten Jahren so manche gelungene Aufführung gesehen habe. Ich bin auch nicht so böse und verärgert wie die Dame, die neben mir saß und die die ganze Mannschaft zurück auf die Musikhochschule schicken wollte. Ich weiß, dass man in einem kleinen Haus nicht den Standard einer großen Bühne erwarten kann. Nur sollte auch in einem kleinen oder mittleren Haus wie in Freiburg ein gewisses Niveau nicht unterschritten und Peinlichkeiten vermieden werden. Nach dieser Freiburger Ariadne bin ich noch nicht einmal sonderlich verärgert, eher traurig und deprimiert. Mein Gott, sie können es halt nicht besser. Ein Glück nur, dass ich nicht so depressiv wie Ariadne bin, die die Regie in die Psychiatrie, vulgo ins Irrenhaus gesteckt hat. „Allein, was tut’s“. Das Freiburger Publikum ist begeistert (oder spielt begeistert). Ich flüchte frustriert zu Oberkirch. Gutedel und Munsterkäse sind immer gut. Freiburg ist (meist) eine Reise wert. Man sollte halt nicht Kulinarisches in der Oper suchen.

Wir sahen die Aufführung am 29. November. Die Premiere war am 24. November 2012.

Der Fall Kölner Oper

Heute liest man in der Kölner Presse, dass der Intendant nach der nächsten Saison Köln verlässt. Die neuen Sparauflagen, zu denen ihn die Stadt Köln zwingen wolle, ließen in der übernächsten Spielzeit „kaum mehr als 40 Vorstellungen “ zu. Das kommt dem Vorschlag der Staatspartei, die Oper für zwei Jahre zu schließen, recht nahe. Ja, warum braucht Köln – so fragt sich die Zugereiste – eigentlich ein Musiktheater. Es hat doch den Dom, den rheinischen Karneval, das Kölsch und, nicht zu vergessen, den FC Köln. Wer unbedingt Musiktheater will,  der soll halt nach Düsseldorf fahren.

Noch eine Neuigkeit, die auf der ersten Seite der Kölner Presse zu lesen ist, Phantasialand soll erweitert werden!